BERLIN. (hpd) Erotik und Religion - das scheinen zwei kaum miteinander in Übereinstimmung zu bringende Lebensteile zu sein. Doch das war nicht immer so und trifft auch heute nicht auf jede Religion zu. Die beiden österreichischen Wissenschaftler Anton Grabner-Haider und Franz M. Wuketits haben aktuell einen kleinen Band mit Aufsätzen zu diesem Thema bei Alibri herausgegeben.
"In den letzten Jahrzehnten erleben wir in den westlichen Kulturen viele neue Orientierungen des Lebens, der religiösen Weltdeutungen und auch der erotischen Beziehungen zwischen den Geschlechtern." Mit diesem Eingangssatz in der Einleitung umreißt Anton Grabner-Haider das Spannungsfeld, in dem sich das Buch um Aufklärung bemüht.
Haben Sexualität und Religionen überhaupt etwas gemeinsam? Wenn man den Ausführungen des Theologen, Philosophen und Kulturwissenschaftlers Anton Grabner-Haider Glauben schenkt, dann ist das sehr wohl der Fall. Denn ursprünglich waren es eher erotisch aufgeladene Fruchtbarkeitsriten, aus denen sich später religiöse ergaben. Zum Teil sind sie es noch bis heute.
Welche eine große Macht der Sexualität innewohnt zeigt sich unter anderem auch daran, dass jede der uns bekannten Kulturen das sexuelle Verhalten der Menschen reglementiert (Vgl. S. 9). Dabei wurden (und werden) Tabus errichtet, die zum Beispiel die Sexualität zwischen nahen Anverwandten regeln (verbieten). Um einige dieser Tabus - wie zum Beispiel der Umgang mit der Homosexualität - wird auch aktuell noch immer in harten gesellschaftlichen Debatten gerungen.
Grabner-Haider schreibt: "In der westlichen Gesellschaft erkennen wie heute aber zwei gegenläufige Trends… Zum einen erleben wir deutliche Lernprozesse in den sexuellen Beziehungen, eine Humanisierung dieser Beziehungen und eine erotische Lebenskultur… Gleichzeitig erleben wir auch den gegenläufigen Trend der Verrohung und der Verwilderung in den sexuellen Beziehungen." (S. 11) Für diese "Verrohung und Verwilderung" macht der Autor das "Internet und Twitter" verantwortlich. Dabei jedoch lässt er außer Acht, dass es genau auch diese sozialen Medien vielen jungen Menschen in eher sexualfeindlichen Gesellschaften ermöglicht, etwas über ihre und andere Sexualität zu lernen. Es ist richtig, dass es im Internet viele Schmuddelecken gibt, die jungen Menschen ein völlig falsches Bild von der Sexualität vorgaukeln. Nur ist daran nicht das “Internet und Twitter” verantwortlich, sondern fehlende Aufklärung von Eltern und Lehrern.
Franz M. Wuketits ist Evolutionsbiologe und fragt daher vor allem danach, ob sich aus der biologisch bedingten natürlichen Sexualität ein ethischer Anspruch ergibt. "Die Biologie der Sexualität hat … mit mit romantischen Vorstellungen von ewiger Liebe und Treue wenig zu tun." (S. 22) Trotzdem sind langandauernde Partnerschaften noch immer das Ideal auch der menschlichen Gattung. Obwohl klar ist, "dass die menschliche Sexualität eine große Variationsbreite aufweist, sowohl im Hinblick auf die Intensität sexuellen Erlebens aus auch hinsichtlich der sexuellen Verhaltensweisen." (S. 23) Schon allein deshalb kann davon ausgegangen werden, dass jeder Versuch - insbesondere durch religiöse Würdenträger - die Sexualität in ein Korsett aus moralischen Normen zu pressen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muss.
Kann es unter diesen Umständen überhaupt eine religiöse "Sexualmoral" geben? Natürlich nicht - darauf kann und sollte man getrost verzichten - schreibt Wuketits. Im Gegenteil rät er dazu, seine Sexualität zu (er)leben. Denn "zufriedene Menschen, die ein im Rahmen ihrer Möglichkeiten freudvolles Leben führen, neigen im Allgemeinen weniger dazu, Unheil zu stiften und sich von gefährlichen politischen und religiösen Finsterlingen blenden zu lassen." (S. 31)
In dem längsten Beitrag des Buches "Sexualität und Religion: Konfliktfelder und Divergenzen" von Anton Grabner-Haider entwickelt der Autor aus der Geschichte ein Bild, wie die abrahamitischen Religionen die Sexualität für viele Jahrhunderte erfolgreich aus dem menschlichen Leben verbannen konnten. Eine wirklich hervorragende historische Abhandlung ist hier entstanden, die in kurzer und knapper Form einen Überblick gibt über den Wandel der Religionen und den Umgang mit der Sexualität. Allerdings behandelt das letzte Drittel des Artikels dann "Konfliktfelder der Erotik" und geht dabei in einer moralisierenden Form auf die bereits oben erwähnten "Abgründe" der Sexualität in der Gesellschaft ein. Dieser Teil passt meines Erachtens nicht in den Kontext des Buches. Weder hat "käufliche Liebe", der damit verbundene "Menschenhandel" oder die "Kinderschändung durch Erwachsene" etwas mit der oder den Religionen zu tun. Auch wenn Grabner-Haider nach eigenen Worten damit vor einer Fehlentwicklung warnen möchte. (siehe S. 119)
Susanna Berndt lieferte zwei Beiträge zu dem Buch. In der "Fundamentalkritik der christlichen Sexualmoral" arbeitet sie eher kulturgeschichtlich das Zusammenwirken (oder besser: Auseinanderwirken) von Religionen und Sexualität heraus. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der christlichen Religion. Sie schreibt über das Menschenbild, das die katholische Kirche verbreitet, es sei ein "Menschenbild, nach dem nicht nur jedwede sexuelle Vereinigung außerhalb der Ehe eine Sünde darstellt, sondern ebenso Selbstbefriedigung und Homosexualität." (S. 132) Ein solches Menschenbild, dass neben den genannten Verboten "sich teilweise kompromisslos gegen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch wendet, im Missbrauch von Kindern und Jugendlichen keine Straftat sieht und das Weib als 'Dienerin des Mannes' sieht, leistet keinen Beitrag zu einer humanen Gesellschaft." (S. 141)
In ihrem zweiten Aufsatz, "Impulse zu einer erotischen Kultur", versucht Susanna Berndt, einen Ausblick auf die erotische Zukunft unserer Gesellschaft. Sie plädiert für einen ungezwungenen, lebensbejahenden Umgang mit dem eigenen Körper. "Wer seinen eigenen Körper kennt und annimmt, um seine erogenen Zonen weiß und sich im wahrsten Sinne wohl fühlt in seiner Haut, wird schnell das Bedürfnis verspüren, das Liebesspiel mit jemandem zu teilen." (S. 149) Sie sieht unter anderem auch in einigen - wie sie es nennt - spirituellen Angeboten in der heutigen Gesellschaft die Möglichkeit, seine Sexualität auszuleben. So verweist sie zum Beispiel auf die asiatische Kultur, die der Erotik einen viel höheren Stellenwert hat.
Der letzte Beitrag stammt von der jungen Wiener Philosophin Lisz Hirn, die fragt "Darf ich bitten, oder wollen vorher tanzen?" Sie befasst sich mit der Sexualität in der Moderne und verweist auch darauf, dass mit dem Erstarken der christlichen Glauben- und Sittenlehre, die die menschliche Sexualität allein auf die Fortpflanzung reduzieren wollte, eine Pervertierung der Sexualität einherging. (Vgl. S. 155) Heute - so Hirn - gehört es zum allgemeinen Selbstverständnis, dass sowohl Kinder als auch Menschen in fortgeschrittenem Alter Sexualität als etwas Beglückendes empfinden. "Die Erkenntnis, dass Sexualität nicht nur ein Vorrecht und eine Selbstverständlichkeit der jüngeren Generation ist, dringt immer mehr in das gesellschaftliche Bewusstsein ein." (S. 159) Da es hier jedoch einzig um das Erleben von Intimität und Nähe geht und gegen das christliche Bild von Sex, der allein der Fortpflanzung dient, ist auch das eine Bewegung, die sich gegen die Sexualmoral der Kirchen wendet.
Siehe auch das Interview mit dem Herausgeber Anton Grabner-Haider im hpd.
Anton Grabner-Haider / Franz M. Wuketits: Erotik und Religion. Aschaffenburg 2015, Alibri. 165 Seiten, kartoniert, 14,00 Euro, ISBN 978–3–86569–185–9
Das Buch ist auch bei unserem Partner denkladen erhältlich.
1 Kommentar
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Klingt interessant; kann wohl vielen Menschen ans Herz gelegt werden; obschon m.E. viele Gläubische in meinem Bekanntenkreis den fragwürdigen Vorgaben ihrer Religion bzgl. Sexualität nicht mehr folgen.