Jan Hus: Ein Justizmord mit Folgen

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Bildnis Jan Hus von Johann Agricola, 1562
Bildnis Jan Hus von Johann Agricola, 1562

STEISSLINGEN. (hpd) Am 6. Juli 1415, heute vor 600 Jahren, ist der böhmische Theologe Jan Hus bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen des Konzils von Konstanz verbrannt worden. Der Geleitbrief des Königs Sigismund, der ihm Sicherheit zugesagt hatte, erwies sich als unzureichend: Die Politik der weltlichen Obrigkeit ging schließlich Hand in Hand mit der klerikalen, das Opfer war ein Einzelner. Und die Partnerschaft zwischen Staat und Kirche, wie sich das Zusammenspiel heute preist, atmete auf. Die Gefahr war in Flammen aufgegangen.

Damit aber die Anhänger des Ermordeten keinen Zugang zu möglichen Reliquien erhalten konnten, wurde die Asche des Jan Hus ins Wasser geworfen. Weggeschwemmt, das Ganze.

Ein im Wiener Haus- Hof- und Staatsarchiv einzusehender Holzschnitt aus der Chronik des Ulrich Richenthal von 1483 gibt dieses Ereignis wieder. Die Sieger, die tonangebende Partei in der damaligen Kirche wie ihre Mittäter auf der weltlichen Seite, haben ganze Arbeit geleistet, meinen sie. Dabei glimmt die Glut unter der Asche einfach weiter, und der tote Abweichler lebt in seinen Anschauungen und in seiner Tapferkeit über die Jahrhunderte fort. Die angeblichen Sieger? So viele Anstrengungen, so viele Denunziationen, so viele Klageschreiben, so viel Tinte, so viel Geist, so viel guter Wille für das angeblich Wahre, so viele subtile Grausamkeiten, Rechtsbeugungen, Foltern, so viel Feuer – und doch kein dauerhafter Erfolg.

Die hohen Herren hatten sich entscheidend getäuscht. Ihre Pläne blieben erfolglos. Das Problem Jan Hus wuchs nach diesem Justizmord, der hätte Frieden sprich: Grabesruhe bringen sollen, in ungeahnte Dimensionen. Die so genannten Hussitenkriege in den Jahren 1419 bis 1439 sprachen eine deutliche Sprache. Die viel zitierte "Einheit der Kirche", die Einheit des "christlichen Abendlandes" war vor aller Augen so gut wie liquidiert.

Böhmen, aus dem Hus stammte, war stets ein Ketzerland par excellence, das sich gegen eine Welt in Waffen zu wehren verstand und die ganze Christenheit zur Feindin hatte, ohne selbst wirklich besiegt werden zu können. Der Name des Jan Hus aus Prag und seiner Anhänger, der Hussiten, erhob sich zum Schreckgespenst für ein ganzes Jahrhundert, sogar zur ersten großen Weltangst vor Umsturz und Revolution. Ein Einzelner: Hus, dessen theologische Ansichten heute weithin überholt sind, der aber keine von ihnen widerrufen hat, obgleich er den Ketzertod vor Augen hatte, steht ungebeugt zu seiner im forschenden Gewissen begründeten Überzeugung. Und das heutige Tschechien verehrt in dem Prediger und Universitätslehrer Hus, dem heimlichen Patron seiner Heimat, unverrückt einen großen Helden und Märtyrer der Nation.

Auf meinem Schreibtisch liegt seit Jahrzehnten eine historische Gedenkmedaille. Auf ihr sind Worte des Jan Hus wiedergegeben: "In hundert Jahren werdet Ihr Gott und mir antworten müssen." Der Ermordete hat Recht behalten: Die Geschichte hat die Namen seiner Richter und Henker längst vergessen, seinen Namen nicht. Die erwünschte damnatio memoriae ist nicht eingetreten. Und so stehen wir Kirchen- und Gesellschaftskritiker noch immer auf seinen Schultern. Dies ist eine dankbare Erinnerung wert, auch noch nach 600 Jahren.