Kardinal Gerhard Ludwig Müller geschasst

Befreiung und Blamage

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Erzbischof Müller nach einem Pontifikalamt in Rom mit Jugendlichen im Gespräch
Erzbischof Müller nach einem Pontifikalamt in Rom mit Jugendlichen im Gespräch

Endlich hat er eingegriffen. Italienische Medien haben es unisono berichtet, und der Vatikan hat die Meldungen bestätigt: Papst Franziskus hat sich von einem Kardinal befreit, der ihm seit langem auf die Nerven gegangen ist, wie ich aus Rom höre. Im Ernst: Der Anstellungsvertrag mit dem Amtschef der Glaubenskongregation, dem deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller, lief gestern (2. Juli 2017) ab und wird nicht mehr verlängert. Müller, bisher einflussreichster Amtsträger, sitzt vor der Tür. Eine Blamage sondergleichen.

Nach menschlichem Ermessen ist Müllers Karriere damit zu Ende. Wahrscheinlich wird er in irgendeine Ecke abgeschoben. Franziskus hat ihm den Kardinalspurpur belassen, und ein Kardinal, vor allem ein unter vatikanischem Zeitmaß so junger wie der noch nicht einmal 70jährige Müller, muß beschäftigt werden. Ende der Karriere? Müller kann abwarten, vielleicht hat der junge Mann eine Chance bei einem künftigen Konklave. Fürs Erste ist er weg vom Fenster.

Recht so. Es ging einfach nicht mehr. Müller hatte sich von Franziskus distanziert und dem Papst, ein sehr seltener Vorgang, öffentlich widersprochen und dessen Verhalten wie Lehre gerügt.

Müller war nichts anderes als ein Nepot des Herrn Ratzinger. Und Ratzinger hat gewusst, warum er diesen Mann gefördert hat: Müller hatte schon früh alles getan, um Ratzingers "Gesammelte Werke" und päpstliche Gesten zu preisen, wahrhaftig eine mühselige Tätigkeit, denn Benedikt XVI., schwächster Papst seit Jahrzehnten, hat bekanntlich so gut wie nichts erreicht.

Ein "bornierter Scharfmacher" (Hans Küng) hatte es schließlich geschafft. Seit Jahren schon hatte Müller, ein recht unrühmlicher Bischof von Regensburg, jede Gelegenheit genutzt, sich bei seinem Landsmann Ratzinger einzuschleimen. Müller lobte Benedikt XVI., bei dem es nun wirklich nicht viel zu loben gab, so oft sich die Chance bot, er pries dessen theologische Qualitäten, sorgte sich um die Herausgabe von Ratzingers "Gesammelten Werken", richtete einen eigenen Forschungslehrstuhl ein, um dem Geheimnis des Ratzingerschen Denkens auf den Grund zu kommen. Nun ja, so sorgt man (mit dem Geld Anderer) für die Zukunft einer Theologie, die von sich aus keine Kraft zum Überleben hat.

Die anhängliche Affinität scheint freilich die Wahrnehmung des Nepoten Müller erheblich beeinträchtigt zu haben. Kein Ruhmesblatt für den Träger eines so wichtigen vatikanischen Amtes, kein Beleg für Kompetenz. Ein Beispiel: Müller hat allen Ernstes in Deutschland eine "Pogromstimmung" gegenüber dem Katholizismus ausgemacht. Eine geschmacklose Wortwahl, eine Verantwortungslosigkeit gegenüber der deutschen Vergangenheit und Gegenwart, eine Verdrängung jeder Erinnerung an die realen Pogrome, die Müllers Kirche zu verantworten hat

Was hatte diesen Oberhirten wohl zu seinem verantwortungslosen Geschwätz getrieben? Ich nehme an, er wollte Geschichtsklitterungen in die richtigen Bahnen lenken: "Christenverfolgung" als neuestes Stichwort.

Aufgeklärtes Denken hat aber keine Pogrome nötig. Hat etwa Nietzsche den Staatsanwalt bemüht, steht Kant für Scheiterhaufen, Lessing für die Verfolgung Andersdenkender? Nein, derlei hat allein – eine historische Tatsache – das klerikale Lager zu verantworten.

Freilich: Privilegien machen immobil und arrogant. Wer ein Leben lang auf seinen "geistlichen" Beruf hingehätschelt worden ist, macht sich als Geisterfahrer gut, als ein Meister der wundergleichen Täuschungen, der allein auf der richtigen Spur zu fahren glaubt. Doch den Zugang zur Realität hat er längst verloren. Müller pfiff im Wald. Unter dem Vorwand, den intaktesten Glauben zu vermitteln, baute dieser Kardinal Dämme, ein Biberchen seltsamer Art, das ringsum die Bäume des freien Denkens und Argumentierens fällte, um den eigenen Dammbau zu stabilisieren.

"Polarisierung" hieß das, was Müller verstand: Seitenhiebe auf alles, was seiner Karriere im Weg stand. Kein Wunder, dass sich die Betroffenen - von den Piusbrüdern bis hin zu "Wir sind Kirche" – ausnahmsweise einmal einig waren über diesen Mann, der an die Spitze seiner Überlegungen meist Machterhalt und Machtgewinn gesetzt hat. Dafür nahm er in Kauf, dass der öffentliche Religionsfriede gestört und Andersdenkenden noch nicht einmal ihre Menschenwürde gelassen wurde.

Ein Beispiel: "Der Gottesglaube führt zusammen und baut auf, der Atheismus dagegen trennt die Menschen und führt in den Abgrund." Und: "Wie die atheistischen Ideologien im 20. Jahrhundert, Kommunismus und Nationalsozialismus, zeigten, führt die Leugnung Gottes zu Hass, Unfrieden, Streit und Zerstörung." Und: "Ohne den christlichen Glauben an Gott den Schöpfer, Erlöser und Versöhner der Menschen gibt es kein neues Europa." Und weiter: "Sonst gelangen wir wieder dorthin, wohin uns die atheistischen Diktaturen das vergangenen Jahrhunderts geführt haben."

Diese Aussagen sind nicht nur schamlos, sie sind historisch und aktuell fragwürdig. Unter anderem mutet die Behauptung, Gottesglaube verbinde, angesichts der enormen Zahl religiöser Kriege und Konflikte in Vergangenheit und Gegenwart geradezu grotesk an. Erst recht ärgerlich ist die verkürzende Darstellung von Nationalsozialismus und Kommunismus als atheistische Ideologien. Nebenbei: Wer hat Hitler gewählt und gestützt? Die relativ wenigen Atheisten in Deutschland oder Millionen Kirchengläubige? Versuchte Müller, die im Namen des Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus begangenen Verbrechen dem Atheismus anzulasten, um hieraus die grundsätzliche Gefährlichkeit atheistischer Weltanschauungen abzuleiten, der er den angeblich Frieden stiftenden Charakter des Glaubens entgegenhält, ist dies eine Geschichtslüge.

Papst Franziskus hat zu Recht die Reißleine gezogen. Ob damit alle Müllers im Vatikan gezügelt sind, ist eine andere Frage. Das Problem bleibt.