Trennung von Staat und Kirche

Einen richtigen Ansatz neu denken!

Betrachten wir als eines von vielen Beispielen für eine veränderte Rolle des Staates die Umweltpolitik. Hier haben wir längst eine Durchdringung der Sphären von Staatsgewalt und organisierter Zivilgesellschaft. Umweltverbände sind – gesetzlich legitimiert - aktiv an Planung und Gestaltung von öffentlichen Projekten beteiligt. Sie haben recht weitgehende Mitwirkungs- und Verbandsklagerechte, die mit einem überkommen Staatsverständnis kaum zu vereinbaren sind. Gerade hier stehen Grüne hier für ein neues Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft, das sich vom alten Trennungsgedanken von Staat und Gesellschaft schon längst weit entfernt hat.

Der Staat unterstützt längst auf allen Ebenen zivilgesellschaftliches Engagement, er subventioniert Standorte für die Wirtschaft und schafft Rahmenbedingungen für technische Innovation als Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung. Warum sollen nicht auch Kirchen – wie andere zivilgesellschaftliche Kräfte - behandelt werden.

Gestaltung von Vielfalt braucht einem intervenierenden Staat und keinen Nachtwächterstaat, der sich rechtfertigen muss, wenn er mehr als eine Taschenlampe in die Hand nimmt.

Von der Volkskirche zur religiösen Minderheit

Noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts waren rund 95 Prozent der Bevölkerung der alten Bundesrepublik Mitglieder der evangelischen- oder der katholischen Kirche. Das hat sich dramatisch verändert. Nach den neuesten Zahlen aus dem Jahre 2015 (für das Jahr 2014) ist die Zahl auf rund 58 Prozent gesunken. In ein paar Jahren wird sie auf unter 50-Prozent-Marke sinken. Dann ist die alte Identität von Bürger und Christ endgültig Geschichte; Fiktion ist sie schon längst. In den fünf neuen Bundesländern und den drei Stadtstaaten sind die großen Kirchen zusammen längst zur Minderheit geworden.

Der Widerspruch zwischen der tradierten Rechtslage und der gesellschaftlichen Realität wird immer offenkundiger und kann auf Dauer auch nicht von den politisch Verantwortlichen ignoriert werden. Die Kirchen laufen in Gewändern herum, die ihnen längst viel zu weit geworden sind. Es wäre allerdings ein gefährlicher Trugschluss, diese historische Entwicklung von der Volkskirche zur religiös-weltanschaulichen Vielfalt als Einladung zu begreifen, die alte kirchenloyale Politik des Staates in ihr Gegenteil zu verkehren und eine staatliche Politik gegen die Kirchen anzustreben. Deren Größe, die Vielzahl ihrer Mitglieder und die Stärke der vielen Organisationen in kirchlicher Trägerschaft verbannen derartige Gedanken in das Reich autoritärer Phantasien.

Vom Staat im Staate zur zivilgesellschaftlichen Kraft

Wir sollten allen Widrigkeiten zum Trotz nicht darauf warten, bis irgendwann einmal ein neuer Verfassungsauftrag formuliert ist. Das geltende Recht lässt genügend Spielräume, die eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen in praktische säkulare Politik umzusetzen. Grundlage ist dabei nicht der Wunsch, Religionsgemeinschaften in die privaten Nischen zu verbannen: das hätte nichts mehr mit staatlicher Neutralität zu tun. Es geht darum deren rechtlich privilegierte Sonderrolle gegenüber allen anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu beenden.

Ein strenger Laizismus ist aus der revolutionären Tradition Frankreichs und dem frühbürgerlichen Verfassungsverständnis der USA wohl begründet. Ob er jedoch ein Zukunftsmodell für Deutschland sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Die Frage ist nicht, ob der Staat die eine oder andere kirchliche Tätigkeit unterstützt oder nicht und ob er dabei hilft, den morschen Turm einer Dorfkirche festzuschrauben, damit er nicht samt Glocke herunterfällt. Die Frage ist, ob er dabei Kirchen exklusiv bevorzugt und andere – beispielsweise Weltanschauungsgemeinschaften und kleinere auch - nicht christliche - religiöse Gruppen benachteiligt. Wenn beispielsweise kirchliche Wohlfahrtsverbände Sterbehospize betreiben, ist das in Ordnung, solange kein Monopol entsteht. Wird jedoch (beispielsweise einem buddhistischen Anbieter) genau dies unmöglich gemacht, ist das ein Skandal.

Angesichts der für sie insgesamt günstigen Rechtslage und einer parteiübergreifenden Lobby wird diese Auseinandersetzung mit den Großkirchen - auch um maßvolle säkulare Reformen - eine schwierige Angelegenheit. Evangelische und Katholische Kirche sind gerade in den Parteien bestens vernetzt. Das Engagement vieler Menschen in den Kirchen für soziale Belange, den Schutz von Benachteiligten und Flüchtlingen hat zudem auch linke Parteien dazu gebracht, sich jeder kritischen Stellungnahme zur Privilegierung und Alimentierung politisch "zurückzuhalten". Diese ängstliche Sorge vor einer möglichen Schwächung der Kirchen überlagert hier bis in die Basis der Parteien hinein die Kritik an der Haltung gerade der katholischen Kirche in Fragen der Gesellschaftspolitik. Säkulare sind angesichts dieser Gemengelage gut beraten, die parteiinternen Diskussionen mit viel Geduld und Verständnis, keinesfalls jedoch im Duktus der Kirchenkämpfe der letzten beiden Jahrhunderte zu führen.

Säkulare sollten sich aber umgekehrt auch nicht hinter die Fichte führen lassen. Es ist falsch zu behaupten, die Kirchen säßen aufgrund der Rechtslage am längeren Hebel. Der Staat besitzt auf allen Ebenen äußerst wirksame Mittel, um störrische Kleriker zu Kompromissen zu bewegen. So spendiert der Fiskus den Kirchensteuerpflichtigen rund 3 Milliarden Euro im Jahr. Die Kirchensteuerzahlerinnen - insbesondere mit hohem Einkommen - erhalten von den rund 10 Milliarden gezahlten Euro fast ein Drittel zurück und werden auf diese Weise auch mit den Steuern von Religionsfreien bei Laune gehalten. Eine Verfassungspflicht für soviel Großzügigkeit gibt es nicht, das gilt auch für viele der ungezählten sonstigen Wohltaten; das Land Berlin subventioniert z.B. den ev. Kirchentag 2017 mit 8,4 Millionen Euro.

Was spricht also dagegen, endlich mit einer kritischen öffentlichen Debatte zu beginnen und auf deren Grundlage endlich die Sonderrechte der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften - nach und nach - zu beenden? Die zweifelsohne auf lange Sicht unumgänglichen Änderungen des Grundgesetzes werden ohnehin nicht (allein) durch Koalitionsbeschlüsse umgesetzt. Diese grundlegende Reform wird primär das Ergebnis eines gesellschaftspolitischen Diskussionsprozess sein, der einer mehr als überfälligen rechtlichen Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirchen vorangeht.

Gestaltung von Vielfalt: Gleichstellung statt Privilegierung

Die beiden Großkirchen werden sich damit abfinden müssen, ihren Platz in der Zivilgesellschaft mit anderen teilen zu müssen. Je länger sie diese Debatte blockieren, umso unvermittelter und heftiger werden die Reformen zu einem späteren Zeitpunkt kommen.

Eine ehrliche Gleichstellung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit den beiden christlichen Großkirchen verschafft (gerade auch nicht-christlichen) Gemeinschaften endlich die Möglichkeit, sich mehr Gehör zu verschaffen. In den Rundfunkräten würden dann nicht länger nur katholische oder evangelische Würdenträger sitzen, sondern auch einmal andere Gruppen. Dann ist auch Schluss damit, dass sich bei der gesetzlichen Durchsetzung "Stiller Feiertage" das Christentum faktisch als Staatsreligion geriert und allen anderen seinen Willen aufzwingt.

Vielfalt heißt dabei gerade nicht, Glaubensgemeinschaften ins Private zu verbannen. Vielfalt mutet Gläubigen und Säkularen aber gleichermaßen zu, ihre Auffassungen als Angebot in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen, aber zugleich darauf zu verzichten, mit Hilfe des Staates dem jeweils anderen seinen Willen aufzuzwingen oder an der Teilhabe am öffentlichen Leben zu behindern.