Rezension

Ist die Kirche eine keusche Hure?

GRAZ. (hpd) Nicht nur der in der Überschrift gestellten Frage geht der Autor nach, sondern hauptsächlich jener, ob der Jesuit Bergoglio als Papst Franziskus nur ein "Fassadenstreicher" in der Maske des Gutmenschen ist oder ob er es mit der "armen Kirche" für die Armen, ernst meint.

Mit großem Sachverstand und viel Insiderwissen, wird im ersten Teil in klarer und sachlicher Form, der Lebensweg des Jorge Mario Bergoglio vom Chemielaboranten zum Papst aufgezeigt. Dabei steht die Ambivalenz der Personalunion eines Jesuiten mit dem Amt des Papstes im Vordergrund und hier vor allem die Ausbildung zur schlangenhaft-jesuitischen Schläue. Der Hinweis auf die eher schlichte kognitive Basis, die bei dem Showmaster Franziskus von seinen populistischen Fähigkeiten überboten wird, rundet das Bild ab. Er wird dabei mehr als Macher, denn als Denker geschildert. Das liest sich dann so: "Glaubt irgendjemand, der noch realistisch denken kann, wirklich, dass der Jesuit Bergoglio alias Papst Franziskus nach so vielen Jahren des Studiums und der Dressur durch seine Rektoren und Superioren weniger indoktriniert und jesuitisch geformt ist, als der ihm intelligenzmäßig eindeutig überlegene Professor Tondi?"

Allighero Tondi hatte den Jesuitenorden aus ethischen Gründen verlassen, kehrte aber infolge von Repressalien wieder zurück. Zuvor machte er jedoch, wie ausführlich berichtet wird, auf aufsehenerregende Details in den jesuitischen Erziehungsmethoden aufmerksam, deren Kenntnisse zur Beurteilung der zur Schaugetragenen äußeren Liebenswürdigkeit des Kirchenfürsten bedeutsam sind. Erfüllt von den Imperativen Arbeit, Gehorsam, Disziplin stand er die Gehirnwäsche der jesuitischen Zwangsanstalt des Noviziats durch und folgt nun als Papst dem Prinzip: den Kapitalismus mit all seinen Auswüchsen zu kritisieren, aber an den unsozialen Strukturen, die ihn ermöglichen nicht zu rütteln. Auf seine anthropozentrisch amputierte Sichtweise bezogen, wird dann festgestellt, dass er gegenüber einer Persönlichkeit wie Albert Schweitzer nur als kleine Nummer erscheint. Das ist, wenn man will, auch die Unterscheidung zwischen einem Herrschaftschristen und einem Kulturchristen.

Im zweiten Teil wird die Frage "Was glaubt der Papst?" gestellt. Ob er an die Dogmen der Kirche wirklich glaubt, bleibt dahingestellt. Gefragt wird jedoch, ob ein realistischer und normal denkender Mensch dieses Sammelsurium unmöglicher Dinge wie Geburt Jesu aus einer vom Heiligen Geist befruchteten Jungfrau, Dreifaltigkeit Gottes, Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Gottessohnes, Himmelfahrt Jesu und Maria usw. zu glauben vermag. Beantwortet wird die Frage dahingehend, dass Franziskus wahrscheinlich glaube, allein die Liebenswürdigkeit seiner Person würde zum Ziele führen. Mynarek stellt sich auch die Frage, ob der Papst mehr Angst vor den Evangelikalen, als vor den Atheisten habe? Da der Pontifex weniger an Europa, als an Südamerika und Asien interessiert zu sein scheint, wird herausgearbeitet, wie stark die Konkurrenz der Befreiungstheologie "Kirche von unten" gegenüber der Heuchelei des Papstes mit der immer wiedergekauten populistischen Formel der "Kirche für die Armen" ist.

Auch hier überrascht die Sachlichkeit in der kognitiven Begründung der psychologischen Raffinesse eines Systems der Täuschungen durch Immunisierungsstrategien. Dabei wird Franziskus, genau wie sein Vorgänger als absoluter Hardliner entlarvt, in ihrer konservativ-restaurativen Grundausrüstung stimmen beide jedenfalls überein. Der eine getragen von kühler Höflichkeit und der andere von schleimiger Herzlichkeit strotzend. Wenn aber die Masken fallen, bleiben von beiden - zumindest in der durchaus glaubhaft begründeten Sicht des Autors, - nur rabiate, intolerante Fanatiker und eiskalte Dogmatiker übrig. Im Falle des Jesuiten Bergoglio kommt noch der feine Instinkt für Machtausübung hinzu. Da überrascht auch nicht, dass Franziskus der Meinung ist, dass der Verstand zerstörerisch wirke und wer sich von der Vernunft führen lasse ein intellektueller Intrigant sei. War Ratzinger ein epistemischer Falschmünzer, so zeigt sich Franziskus als ein emotionaler Heuchler, der aber für einen Kulturchristen zum "Affen der Gottheit" werden kann.

Seine populistische Geschwätzigkeit, lässt ihn immer wieder ins "Fettnäpfchen" treten, wie Mynarek süffisant nachweist. So behauptet Bergoglio "Gott sei nicht katholisch" und die Kirche wäre eine "keusche Hure", er bringt seine Anhänger mit seinen "Prügelsprüchen" stark in Verlegenheit und noch mehr mit der saloppen Feststellung "gute Katholiken müssen nicht wie Karnickel sein". Letztere Entgleisung wiegt besonders schwer, weil die zynische Sexualdoktrin der katholischen Kirche, eine geistig-seelische Beziehung zwischen Mann und Frau nicht kennt. In der Tat sieht auch der Papst keinen Anlass, an dem feierlichen Eheversprechen, das nur gilt, wenn es sexuell funktioniert, etwas zu ändern.

Im dritten Teil kommt eine strukturelle Aporie hinzu. Vorab aber geht es Mynarek darum, was der Papst tut oder was er versäumt, dabei fällt die Liste dessen was er nicht tut, aber tun müsste, ziemlich lang aus. Nach dieser Liste versage der Papst beim kirchlichen Arbeitsrecht, bei der Kirchensteuer, bei der Frage des freiwilligen Verzichts auf unberechtigte Kompensationszahlungen, weil Macht Geld kostet. Er versäume einen Beitrag zur Beendigung von staatskirchlichen Verhältnissen zu leisten und versaget eklatant bei einer effektiven Hilfeleistung für Flüchtlinge und hier besonders bei der Verwendung leer stehender Kirchen (auch für Nichtchristen) und schließlich sogar bei der Klärung des Verhältnisses des Vatikans zur Mafia.

Während der Jesuit Jorge Mario Bergoglio als Franziskus auf dem Papstthron, durch Populismus vielen unangenehm auffällt, besticht der Autor durch wissenschaftliche Korrektheit, gestützt auf Erfahrungswissen. Sehr pikant ist dann das Kapitel "Der Herr der Sprüche" - Irritierendes, Ketzerisches, Sensationelles in einigen Aussagen des Papstes. Sicher kann man nicht erwarten, dass Franziskus kognitiv auf der gleichen Stufe steht wie ein so fundierter Religionswissenschaftler, als der sich Hubertus Mynarek immer wieder beweist. Aber der oberste römisch-katholische Würdenträger scheint auch ein gestörtes Verhältnis zu der genuinen Bedeutung von Religion zu haben, wenn er sich in seiner überheblichen Dekadenz zu dem Satz hinreißen lässt: "Der wie ein Spray in der Luft liegende Pantheismus ist nichts, nichts was Bestand hat". Damit darf man einem Experten wie Mynarek - selbst mit dem Pantheismus sympathisierend - nicht kommen, er kontert dann auch entsprechend. Auf die clownesken Sprüche die im Endergebnis an Häresie grenzen, wie "Kirche als keusche Hure" und "Gott ist nicht katholisch", war er zuvor bereits religionswissenschaftlich eingegangen.

Sicher kann man von einem Funktionär einer Konfession, auch wenn es die größte christliche ist, nicht erwarten, dass dieser den Sinn des Phänomens Religion in seiner ganzen Breite erfasst, aber mit der Theologie der römisch-katholischen Kirche sollte er schon vertraut sein. Aber gerade hier weist Mynarek nach, dass Franziskus über keine besonders hohe theoretische Intelligenz verfügt und schreibt wörtlich: "Was aus des Papstes erster, ursprünglicher, noch vor der Dressur durch die jesuitische Erziehung vorhanden und sich im Unterbewusstsein partiell behaupteten Natur von Zeit zur Zeit hervorbricht, zeigt uns einen ganz anderen Menschen, einen Ketzer sogar, der sich Luft macht und Dinge ausstoßen kann, die nun gar nicht von kirchlich-frommen Ohren angehört werden sollten, wie die, dass 'Gott nicht katholisch', 'die Kirche eine keusche Hure' ist, und dass man echtes Glück, gelungenes Leben ohne Glaube an Gott, Christentum und Kirche erreichen kann."

Für Mynarek ist dann auch kaum zu glauben, und darauf wird deszitiert eingegangen, dass dieser selbige Mann trotz seiner oben zitierten Aussage in seinem Urteil über den Pantheismus ganz engstirnig-fundamentalistisch ist und er fragt sich, ob der oberste aktuelle Lehrer der Christenheit von den großen Pantheisten wie Heraklit, Plotin, Johannes Scotus Eriugena, Giordano Bruno, Baruch de Spinoza, Fichte, Schelling, Hegel bis hin zu Albert Einstein noch nie etwas gehört habe. Auf die erkenntnistheoretischen Defizite des Papstes wird hingewiesen, wenn dieser dem Pantheismus “immanente Transzendenz” als Mangel unterstellt. Hier macht Mynarek unmissverständlich klar, dass es keine Transzendenz ohne Immanenz gibt. Schon auf Seite 179 hat er darauf hingewiesen, dass eine philosophische Transzendenz nicht mit der verengten theologischen verwechselt werden darf, und hier in Bezug auf den Pantheismus meint er wörtlich: "Eine Transzendenz ohne Immanenz, lieber Papst, kann nur rhetorisch, homiletisch, dogmatisch oder abergläubisch-spinös behauptet werden, in der Realität kommt sie nicht vor."

Wenn Mynarek dann aber schreibt "Sicherlich ist Franziskus ein guter Mensch" (S.107), fragt man sich, ob das nicht ironisch gemeint ist, angesichts der Tatsache, dass der Papst zwar nach Lampedusa fährt um den Flüchtlinge in seiner zur Schau getragenen Liebenswürdigkeit Trost zu zusprechen, aber keine materielle Hilfe leistet und dazu auch nicht dafür sorgt, dass die Klöster Flüchtlinge aufnehmen, egal welchen Glaubens sie sind. Als Detail am Rande wird auch angeführt, dass die Rolle des Bergoglio in der Zeit der Herrschaft der argentinischen Militärjunta immer noch ungeklärt ist!

Ein in jedem Falle lesenswertes Buch über die am Hofe des Papstes scheinbar gepflegte Heuchelei.


Hubertus Mynarek, Papst Franziskus. Die kritische Biografie (Tectum-Verlag Marburg 2015), 334 S., 19, 95 Euro, ISBN 978–3–8288–3683–2