Menschen täuschen ihre Rechtfertigungen vor, sie finden heraus, was sie wollen, indem sie eine Methode nutzen, mit einer anderen rechtfertigen sie ihr Verlangen dann. Es gibt keine Evolution-der-Elefanten-Fee, die a) versucht herauszufinden, was am besten für Elefanten ist und dann b) evaluiert, wie man es am ehesten vor dem Evolutions-Aufseher rechtfertigen kann, der c) die reproduktive Fitness nicht verringert sehen will und d) bereit ist, die Sache mit dem schmerzlosen Tod abzunicken, sofern es nicht irgendwelche Gene schädigt.
Da ist niemand in diesem System, der für den Elefanten spricht.
Menschen, die oft zutiefst in Sorge um das Wohlergehen von Tieren sind, könnten sehr überzeugend darin sein, zu erklären, wieso diverse Nettigkeiten die reproduktive Fitness nicht schmälern würden. Leider nutzt die Evolution der Elefanten einen anderen Algorithmus, sie selektiert nicht nette Gene, von denen man plausibel behaupten kann, dass sie der Reproduktiven Fitness nicht schaden. Das eigentliche Prinzip bleibt: Gene, die sich mehr replizieren, werden in der nächsten Generation häufiger vorkommen. Wie der Regen, der stets nur nach unten fällt und dabei vergleichbar gleichgültig.
Ein Mensch, der in die Natur blickt, beginnt sofort an all die Wege zu denken, auf denen wir Organismen designen würden. Und dann beginnen wir Gründe zu rationalisieren, warum unsere Verbesserungen die reproduktive Fitness erhöhen würden – ein politischer Instinkt, der versucht, die eigene bevorzugte Option bestmöglich mit den Werten des Chefs auf Linie zu bringen.
Und so sieht man Amateur-Evolutionsbiologen alle möglichen Arten von wunderbaren und vollkommen falschen Vorhersagen machen. Denn Amateurbiologen und Evolution nutzen gänzlich unterschiedliche Algorithmen, die ihr Handeln bestimmen.
Ein menschlicher Ingenieur hätte vielleicht Geschmacksnerven konstruiert, die in der Lage sind, exakt zu bestimmen, welche Menge eines Stoffes wir bereits zu uns genommen haben und wie viel wir noch bräuchten. Wenn Fett knapp wäre, würden Mandeln oder Cheeseburger hervorragend schmecken, doch wenn sich beginnendes Übergewicht oder ein Mangel an Vitaminen abzeichnete, würden wir Salat bevorzugen. Doch es gibt niemanden, der intelligent vorausplant und ein allgemeines System für alle Gelegenheiten gestaltet. Es war ein gegebener Fakt der Umwelt unserer Vorfahren, dass Kalorien knapp waren. Gene, deren Organismen Kalorien liebten, wurden häufiger. Der Regen fällt nach unten.
Wir sind nicht mehr und nicht weniger als das körperliche Zeugnis davon, welche Organismen überlebten und sich fortpflanzen konnten und nicht, welche Organismen überleben sollten.
Die menschliche Retina ist verkehrt herum konstruiert: Die lichtempfindlichen Zellen sind hinten und die Nerven kommen von vorne und gehen durch die Retina ins Hirn. Daher der blinde Fleck. Für einen menschlichen Ingenieur sieht das schlichtweg dämlich aus. Und andere Organismen haben von sich aus Retinas ohne diesen Fehler entwickelt, also warum nicht die menschliche Retina redesignen?
Das Problem ist, dass es nicht eine einzige Mutation gibt, die die komplette Struktur der Retina verändern kann. Ein menschlicher Ingenieur kann mehrere Teile eines Systems simultan verändern oder für zukünftige Veränderungen vorausplanen. Doch falls eine einzelne Mutation einen lebenswichtigen Bestandteil eines Organismus zerstören kann, ist es irrelevant, welche wundervollen Dinge eine Fee auf der Grundlage dieser Mutation bauen könnte – der Organismus verendet und die Häufigkeit der Gene nimmt ab.
Wenn man die Position der Retina-Zellen verändert, ohne dabei die Nerven und die optischen Verbindungen neu zu programmieren, würde das ganze System nicht mehr funktionieren. Es ist egal, dass dies aus der Perspektive eines menschlichen Ingenieurs ein Schritt voran auf dem Weg zu einer kompletten Überarbeitung der Retina wäre. Der Organismus ist blind. Evolution hat keine Voraussicht, sie ist schlicht die gefrorene Erzählung, welche Organismen sich fortpflanzen konnten. Evolution ist so blind wie eine nur halb überarbeitete Retina.
Finde eine Uhr in der Wüste, so William Paley, und du kannst die Existenz eines Uhrmachers annehmen. Es gab einst jene, die dies leugneten, jene die dachten, dass Leben "einfach so passiert", ohne, dass es irgendeinen Optimierungsprozess geben müsste, dass Mäuse spontan aus Stroh und Dreck erzeugt würden.
Wenn wir fragen, wer näher an der Wahrheit war – die Theologen, die für einen Schöpfergott argumentierten, oder die intellektuell unbefriedigten Atheisten, die für das spontane Entstehen von Mäusen argumentierten, dann müssen die Theologen wohl als Sieger betrachtet werden: Evolution ist nicht Gott, aber sie ist näher an Gott als reine, zufällige Entropie. Mutation ist zufällig, Selektion hingegen nicht. Das soll nicht heißen, dass es eine intelligente Fee gibt, die eingreift und selektiert. Es bedeutet, dass es eine statistische Korrelation ungleich null zwischen den Genen und der Reproduktionshäufigkeit eines Organismus gibt. Über einige Millionen Jahre entwickelt sich diese Korrelation zu etwas sehr Mächtigem. Kein Gott, aber näher an einem Gott als das Bildrauschen auf einem Fernsehbildschirm.
Auf vielfältige Weise ähnelt Evolution der Theologie. "Götter sind ontologisch von Kreaturen zu unterscheiden", sagte Damien Broderick, "oder sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie erdacht wurden." Und in der Tat, der Former des Lebens selbst ist nicht lebendig. Evolution ist körperlos, wie die jüdisch-christliche Gottheit. Omnipräsent in der Natur, immanent im Fall jedes Blattes. So vielgestaltig wie die Oberfläche der Erde. Milliarden Jahre alt. Nicht erschaffen, natürlich aus den Strukturen der Wirklichkeit hervorgegangen. Klingt das das nicht ziemlich wie etwas, was man über Gott sagen würde?
Und doch, der Schöpfer hat kein Bewusstsein. In mancher Hinsicht ist sein Werk, gemessen an menschlichen Maßstäben, armselig. Er ist in sich selbst zerstritten. Und am wichtigsten von allem: Er ist nicht nett.
In einer gewissen Weise entdeckte Darwin Gott. Einen Gott, der daran scheiterte, den Vorstellungen der Theologen zu genügen und dergestalt ohne Würdigung bleiben musste. Wenn Darwin herausgefunden hätte, dass das Leben von einer intelligenten Macht geschaffen worden war – ein körperloses Bewusstsein, welches uns liebt und das uns mit Blitzen bewirft, wenn wir nicht in seinem Sinne handeln – wie hätten die Leute wohl reagiert? „Meine Güte! Das ist Gott!“
Doch stattdessen entdeckte Darwin einen seltsamen, fremdartigen Gott, nicht wirklich unaussprechlich und unverständlich, doch genuin anders als wir. Evolution ist kein Gott, doch wenn sie es wäre, wäre sie nicht Jehovah. Sie wäre H.P. Lovecrafts Azatoth, das blinde, idiotische Chaos im Zentrum aller Dinge, umgeben vom dünnen Klang monotonen Flötenspiels.
Was man vielleicht hätte vorhersagen können, wenn man wirklich einmal in die Natur geblickt hätte.
So viel zu den Behauptungen einiger der Religiösen, dass sie an eine nicht klare definierte Gottheit mit demzufolge hoher Wahrscheinlichkeit glauben. Jeder, der wirklich an eine nur vage definierte Gottheit glaubte, hätte den seltsam unmenschlichen Schöpfer erkannt, als Darwin „Aha!“ sagte.
So viel zu den Behauptungen einiger der Religiösen, dass sie unschuldig auf den Moment warten, in dem die Wissenschaft Gott entdeckt. Die Wissenschaft hat den irgendwie-gottgleichen Schöpfer der Menschheit bereits entdeckt – doch er war nicht das, was die Religiösen hören wollten. Sie warteten auf die Entdeckung ihres Gottes, des hochspeziellen Gottes, dessen Existenz sie herbeisehnten. Sie werden in Ewigkeit warten, denn die große Entdeckung wurde bereits gemacht und der Gewinner ist Azatoth.
Nun gut, also mehr Macht für uns Menschen. Ich mag es, einen Schöpfer zu haben, der dümmer ist als ich.
Definitiv besser, als ein Haustier zu sein.
Aus dem Englischen von Tobias Wolf (Originaltext)
Erstveröffentlichung: shbh-gbs.de
1 Kommentar
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Eine gute Übersetzung, denke ich.
"Gene für die Konstruktion von (stetig besseren) Rasseln müssen irgendwie häufiger im Klapperschlangen-Genpool geworden sein. In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass Klapperschlangen mit besseren Rasseln häufiger überlebten, im Gegensatz zu den Alternativ-Annahmen, dass sie sich erfolgreicher fortpflanzen konnten oder Geschwister hatten, welche sich erfolgreicher fortpflanzen konnten, etc." 'Irgendwie'? Der erste Teil der Erklärung geht eigentlich nicht ohne den scheinbaren 'Gegensatz': Häufigeres Überleben BEDEUTET erfolgreicheres Fortpflanzen und damit häufiger Gene für bessere Rasseln im Genpool.
Und das Eingangsbild ist arg generalisiert; ich vermisse schmerzlich endosymbiotische Verbindungen zwischen Bakterien und Eukaryoten.