BERLIN. (hpd) Nachdem die EU ihre Außengrenzen soweit abgeriegelt hat, dass sie auf dem Landweg kaum noch zu überwinden sind, fliehen immer mehr Menschen aus den Krisenregionen übers Mittelmeer. 2015 so viele wie nie. Laut UNHCR kamen seit Jahresbeginn über 500.000 allein in Griechenland an.
Mytilini, die Hauptstadt von Lesbos, Ende August. Das Hafenbecken ein weitgestreckter Halbkreis, neoklassizistische Gebäude säumen die Uferstraße, das Meer leuchtet türkis in der Mittagssonne. Postkartenidylle – auf den ersten Blick. Der zweite stolpert über Zelte auf einer Grünfläche, über vereinzelte Grüppchen, die erschöpft auf dem Rasen oder auf der Kaimauer sitzen. Kaum jemand ist unterwegs, erst in der Nähe des Fährhafens wird es voller. Bevor der Eingang erreicht ist, der versteckt in einer Kurve liegt, weht ein beißender Geruch herüber: Die öffentliche Toilette ist defekt und bleibt es, obwohl hier Tausende auf ihre Registrierung oder ein Fährticket warten.
Am Rand des riesigen, asphaltierten Platzes stehen dicht an dicht einfache Iglu-Zelte, davor Familien mit kleinen Kindern, die Haut von der Sonne verbrannt. Schatten spenden einzig die Arkaden des Hafengebäudes, in dem sich die Passkontrolle für Reisende zwischen Griechenland und der Türkei befindet.
Die Fahrt mit dem Schiff dauert anderthalb Stunden und kostet hin und zurück zehn Euro – tausend bis zweitausend der Platz in einem der überfüllten Schlauchboote für die gleiche Strecke. Bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, sind dieses Jahr bereits 3.135 Menschen umgekommen, davon ca. 123 in griechischem Seegebiet.
Gelingt die Überquerung, landen die Boote häufig an Küstenabschnitten im Norden, einige im Süden, oft weit von den zentralen Registrierungs- und Aufnahmestellen entfernt, die in und um Mytilini liegen. Da es selten genügend Busse gibt, machen sich die Menschen zu Fuß auf den bis zu ca. 65 km langen Weg durch die Berge, in nasser Kleidung, ohne ausreichend Wasser oder Nahrung. Lokale Initiativen und freiwillige Helfer versuchen, sie so gut es geht, mit dem Nötigsten zu versorgen.
Die beiden offiziellen Camps – das gefängnisartige First Reception Center in Moria und das provisorisch auf einem Verkehrsübungsplatz errichtete Kara Tepe – sind heillos überfüllt, es fehlt an Unterbringungsmöglichkeiten, sanitären Anlagen, Lebensmitteln, Wasser. Die meisten der Ankommenden sind gezwungen, sich selbst zu versorgen – wenn sie die Mittel dazu haben. Wenn nicht, hungern sie und schlafen auf der bloßen Erde. Viele sind verzweifelt: "Wir wollen doch nur leben", dieser Satz ist oft zu hören.
Auch aufgrund der ökonomischen und sozialen Krise Griechenlands sind die örtlichen Behörden nicht imstande, angemessen mit der humanitär prekären Lage umzugehen. Es fehlt an Personal, an Material, an finanziellen Mitteln.
Eines der größten Probleme: der Mangel an Registrierungsmöglichkeiten, der dazu führt, dass sich immer mehr Menschen auf der Insel stauen. So ist das Port-Police-Office – ein einzelner Container – über Wochen nur mit drei Beamten besetzt. Manchmal auch nur mit zweien. Oder einem. Die Begründung von offizieller Seite auch hier: die zu hohen Kosten. Als es Anfang September wegen der langen Wartezeiten und der katastrophalen Bedingungen zu Protesten kommt, werden diese von der Polizei brutal niedergeschlagen. Dazu werden zusätzliche Kräfte aus Athen angefordert, die transportiert, untergebracht und versorgt werden müssen. Günstiger als die Aufstockung der Registrierungsstellen?
Die Frage der Relation stellt sich gleichermaßen bei den Ticket-Preisen. Nachdem die regulären Fähren auf Tage hinaus ausgebucht sind und es zu immer längeren Wartezeiten kommt, werden Extra-Schiffe eingesetzt. Obwohl mit staatlichen Geldern gefördert, sind die Reedereien in ihrer Preispolitik frei. Wie Betroffene berichten, werden statt 45,50 – wie für die Strecke Mytilini/Athen üblich – bis zu 60 Euro aufgerufen. Selbst für Kinder oder Babys, die normalerweise umsonst reisen, gibt es keinerlei Ermäßigung. Erst als das publik gemacht wird, sinkt der Tarif wieder.
Durch das gemeinschaftliche Engagement lokaler Initiativen und größerer und kleinerer Hilfsorganisationen, bessert sich die Situation insgesamt etwas. Das Registrierungsverfahren wird beschleunigt, so dass Mitte September in wenigen Tagen 30.000 die Insel verlassen können, NGOs leisten verstärkt humanitäre Hilfe, bauen Zelte und sanitäre Anlagen auf. Doch da der Bedarf nach wie vor die Kapazitäten um einiges übersteigt, bleibt die Lage kritisch.
Daher gab es einen Aufruf der Gruppen auf Lesbos, die sich seit Jahren engagieren, um die Situation für die Ankommenden erträglicher zu machen, Versorgungslücken zu schließen und sichere Räume zu schaffen. Gerade im Winter sind sie auf Hilfe angewiesen. Nicht nur auf materielle.
Aus diesem Grund hat die Initiative Respekt für Griechenland das Projekt Volunteers for Lesvos ins Leben gerufen. Ein Team z.T. wechselnder Freiwilliger wird die lokalen Organisationen über einen längeren Zeitraum vor Ort unterstützen. Die Arbeit selbst wird ehrenamtlich sein, allerdings müssen die Kosten für Anreise und Unterkunft aufgebracht werden. Spenden sind also willkommen.
Mehr Informationen unter respekt-für-griechenland.de
Spendenkonto: Respekt für Griechenland, GLS Bank, IBAN DE42 4306 0967 1175 7746 01.
Als Spendenzweck bitte angeben: Flüchtlinge auf Lesbos