BONN. (hpd) Der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger gibt in seinem kurzen Buch “Jihadismus. Ideologie, Prävention und Deradikalisierung” einen zusammenfassenden Überblick zum Thema. Den Autor gelingt es auf engem Raum die wichtigsten Informationen zusammenzutragen und auch einen Einblick in die Präventionsarbeit zu liefern.
Der Begriff “Jihadismus” findet anlassbezogen in den Medien weite Verbreitung. Doch was ist mit der Bezeichnung genau gemeint? Wie steht es um das Verhältnis von “Jihadismus” und “Salafismus”? Und was hat das Ganze mit dem Islam zu tun? Wer Antworten zu diesen Fragen auf engem Raum finden will, kann zu dem Buch “Jihadismus. Ideologie, Prävention und Deradikalisierung” greifen. Autor ist der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, ein Mitbegründer des Netzwerks “Sozialer Zusammenhalt”, das im Bereich “Jihadismus” konkrete Präventionsarbeit leistet.
Bei den Gesprächen mit Familienangehörigen und Freunden von Gefährdeten musste er immer wieder Antworten auf bestimmte Fragen geben und Stellungnahmen zu spezifischen Themen vortragen. Aus dieser Erfahrung heraus konzipierte Schmidinger seine Abhandlung zum “Jihadismus”, die er denn auch als “Einführungsbuch” (S. 9) eines Politikwissenschaftlers vorstellt. Man findet darin komprimiert die wichtigsten Informationen zu einem umstrittenen Thema:
Zunächst geht es um die Definition von Begriffen, erst allgemein bezogen auf den “Politischen Islam”, dann aber auch auf den “Jihadismus”. Dieser weise zwei Besonderheiten auf: “Er betreibt takfir, d.h., er erklärt andere MuslimInnen zu NichtmuslimInnen.” Und: “JihadisInnen … sehen den Jihad als individuelle Pflicht (…) jedes einzelnen Muslims, da sich der Islam ohnehin seit der Abschaffung des Khalifats … im Krieg mit den Ungläubigen befinde” (S. 12).
Danach macht Schmidinger auf die Grundlagen und die Vielfalt des Islam aufmerksam und skizziert kurz dessen Präsenz in Österreich. Dem folgend geht er ausführlicher auf das Verhältnis von Religion und Politik ein, betont aber auch hier bezogen auf den Islam, dass es über einen Minimalkonsens hinaus einen Pluralismus von Meinungen gebe. Den “Politischen Islam” deutet Schmidinger als Abwehrreaktion gegenüber der Moderne, als “eine moderne Reaktion auf die Moderne – allerdings eine, die sich partiell bestimmter islamischer Traditionslinien zumindest selektiv bedient” (S. 34).
Danach geht der Autor im Schnelldurchgang auf die Entwicklung des Islamismus ein, wo Organisationen wie die “Muslimbruderschaft” oder Vordenker wie Sayyid Qutb thematisiert werden. Bei den Ausführungen zu “Al-Qaida” und dem “Islamischen Staat” verdienen die vergleichenden Betrachtungen besonderes Interesse, denn deren ideologische und strategische Differenzen sollten bei einer Gesamteinschätzung nicht ignoriert werden.
Schmidinger behandelt auch die in Fußgängerzonen bekannten Aktionen von Islamisten: “Die netzwerkartig organisierte Lies!-Kampagne wurde ab 2011 zu einer der wichtigsten Rekrutierungsmethoden für politisch-salafistische Gruppen. Viele der darüber angeworbenen Jugendlichen und Erwachsenen radikalisierten sich rasch in Richtung Jihadismus” (S. 73). Welche Ursachen darüber hinaus noch zu einer derartigen Entwicklung beitragen können wird dann noch kurz mit abstrakten Ausführungen zu Identitätsangeboten und mit konkreten Fallbeispielen von Gesprächspartnern im Deradikalisierungsprojekt deutlich.
Gerade die letztgenannten Erfahrungsberichte machen den besonderen Reiz des Buches aus. Schmidinger beklagt die geringe öffentliche Förderung einschlägiger Projekte: “Es stellt sich die Frage nach dem politischen Willen, dafür auch finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen” (S. 122).
Zutreffend macht der Autor deutlich, dass konkrete Deradikalisierungsarbeit in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen werden müsse. Dazu formuliert er zum Schluss nur sehr allgemein und spricht schlaglichtartig über die “neoliberale Entsolidarisierung” und von der “Entfremdung von dieser Gesellschaft” (S. 123). Zwar handelt es sich hier um einen bedeutenden Einflussfaktor, aber eben nicht um den einzigen Gesichtspunkt. Bei dem berechtigten Hinweis darauf, dass es im Islam einen Pluralismus gebe, gewichtet der Autor nicht stark genug die dortigen Anschlusspotentiale für den Islamismus bzw. Jihadismus. Das berechtigte Anliegen, für Ressentiments keinen Stoff zu liefern, sollte nicht zur Ignoranz gegenüber derartigen Wirkungsfaktoren führen.
Thomas Schmidinger, Jihadismus. Ideologie, Prävention und Deradikalisierung, Wien 2015 (Mandelbaum-Verlag), 125 S.