Rezension

Salafisten im Kontext

Der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker geht in seinem Buch "Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam" auf die Entwicklung des Salafismus im historischen, politischen, sozialen und theologischen Sinne ein. Das Buch ist als Gesamtdarstellung auf engem Raum konzipiert, bringt entsprechend komprimiert wichtige Inhalte, hätte aber noch ein Mehr an analytischen Einschätzungen verdient gehabt.

Nach jedem islamistischen Anschlag findet sich die Formulierung "Salafisten" in den Medien. Doch was ist mit der Bezeichnung genau gemeint? Sind alle auch Dschihadisten? Wie steht es um den Kontext zum Islam? Und was hat das mit Saudi Arabien zu tun? Diese und andere Fragen angehen will Rüdiger Lohlker, der als Professor für Islamwissenschaft an der Universität Wien lehrt. In dem Buch "Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam" geht er von der Hypothese aus, dass "es ein gedankliches Milieu gibt, in dem sich Salafismus, Wahhabismus und Dschihadismus mischen und berühren. Zu widersprechen ist dabei der auch von Islam-Kritikern gern vorgetragenen Annahme, Salafismus, Wahhabismus und Dschihadismus drückten irgendeine Form des authentischen Islam aus" (S. 10). Für den Autor besteht in dieser Einschätzung ein Gleichklang eben von "Islam-Kritikern" und Salafisten - nur jeweils mit unterschiedlichen Bewertungen mal im positiven, mal im negativen Sinne müsste dabei noch hinzugefügt werden.

Der Autor beginnt sein Buch nicht mit einer üblichen Einleitung, sondern mit "Begriffe, Irritationen, Ordnungsversuche", womit er inhaltliche Ordnung für das spätere Verständnis schaffen will. "Salafismus" sieht Lohlker als breite religiöse Strömung mit unterschiedlichen Formen, wovon der saudische Wahhabismus nur eine randständige Variante sei. Dschihadismus gilt ihm demgegenüber als Bezeichnung für Gewaltbereite. Gleichzeitig nutzt Lohlker aber für alle drei Phänomene den Oberbegriff "Salafismus", was etwas verwirrt, denn so ist "Salafismus" mal eine Sammelbezeichnung, mal ein Typ bzw. Unter-Typ von eben dieser Sammelbezeichnung. Danach geht er auf den Ursprung und die Geschichte des Salafismus vor allem im 19. Jahrhundert ein. Hier hätte er wohlmöglich die Differenzen zum heutigen Salafismus, der deswegen mitunter in der Fachliteratur "Neo-Salafismus" genannt wird, etwas deutlicher herausarbeiten können. Dem folgen dann Ausführungen zum Verhältnis des Salafismus zum Wahhabismus und zu Saudi-Arabien.

Danach finden sich Ausführungen zu den salafistischen Bewegungen und Netzwerken in verschiedenen Regionen, angefangen von der islamischen Welt, dann in Europa und schließlich speziell in Deutschland. Auch die internationale Kooperation wird über den Gesichtspunkt "salafistische Internationale" ausführlicher behandelt, wobei die Bedeutung von Fernsehkanälen, Schulen oder Stiftungen mit im Zentrum steht. Die besondere Theologie des Salafismus, aber auch die Abgrenzungen von ihm bilden danach den Schwerpunkt. Und schließlich geht es noch einmal gesondert um die Entwicklung vom Wahhabismus zum Dschihadismus. Das Buch endet mit der Einschätzung: "Die Suche nach dem einen Islam vernebelt den Salafisten den Blick für die vielfältige, pluralistische Potenz der Geschichte des islamischen Denkens. Vielfach wäre eine Überwindung der … 'Modernisierung' des Islams zielführender als die Konstruktion eines anderen homogenen Islam, sei er noch so moderat, liberal etc., wie er als erhoffter 'Reformislam' durch die Medien geistert" (S. 161).

Lohlker hatte sich wohl eine Gesamtdarstellung auf engem Raum vorgenommen. So etwas hat immer Vor- und Nachteile: Einerseits bekommt man relevante Informationen komprimiert geliefert, andererseits wirken manche interessanten Ausführungen etwas oberflächlich. So verhält es sich hier auch. Dies beginnt bereits bei der Definition und Typologie, wobei die Aufteilung von Quintan Wiktorowicz merkwürdigerweise nicht näher erörtert wird. Und es endet bei Ausführungen zur Finanzierungsfrage, wo man lesen kann: "Es gibt nur wenig gesicherte Erkenntnisse …" (S. 101). Durch die Arbeit hindurch zieht sich die Fachkompetenz von Lohlker. Hier und da hätte man sich aber auch mehr analytische Zuspitzung gewünscht. Dies gilt etwa für den Kontext von Saudi-Arabien und Salafismus, wozu es u.a. heißt: Es gibt "genügend Hinweise auf eine verdeckte staatliche Förderung dschihadistischer Gruppen" (S. 147), ohne einen solchen Sachverhalt näher zu erörtern. Das Buch bringt eine Fülle von Informationen, mehr Analyse wäre aber wünschenswert gewesen.

Rüdiger Lohlker, Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam, München 2017 (C. H. Beck-Verlag), 205 S., ISBN 978-3-406-70609-7, 14.90 Euro