BERLIN. (hpd) Kunst oder Magie, l’art pour l’art oder Staunen über den Überfluss und die Fülle der Welt rund um die steinzeitlichen Künstler? Die Ausstellung “Felsbilder der Sammlung Frobenius. Kunst der Vorzeit” im Berliner Martin-Gropius-Bau mit über hundert Exponaten öffnet den Sinn für viele Fragen. Wann hörte die Steinzeit auf? Führt ein direkter Weg in die Moderne?
Wie geträumt im Hintergrund die fast bergartigen Silhouetten der riesigen weißen Elefanten, davor ein Gewimmel an Menschen und Tieren. Rappantilopen mit ihren Blessen und pferdeartigen Mähnen, Kudus mit gewundenen Hörnern, ein Krokodil in der Draufsicht, Zebras mit und ohne Streifen. Durch die Szenerie zieht sich ein Zickzack-Band: ein Fluss? Rechts unten in dem fast sieben Meter langen Panorama Pflanzen mit fächerartigen Blättern – Palmen? Andere Pflanzen mit löffelartigen runden Blättern. Dazwischen langbeinige schmale Gestalten. Eine Schwangere, die die Hände über dem Kopf verschränkt, dann Eilende mit Tierköpfen, andere mit Hörnern eines Gnus als Kopfschmuck. Das Gemälde, das sich aus vielen Papierbögen zusammensetzt, hat kein eindeutiges Zentrum. Es offeriert dafür eine Vielzahl von Perspektiven. Wiedergegeben werden die Felsmalereien an einem Felsüberhang in Mutoko in Simbabwe. Eine von fast 5000 Felsmalereien, die Leo Frobenius zwischen 1912 und 1938 größtenteils in Afrika, aber auch in Europa, in Spanien, Frankreich und Skandinavien, in Indonesien und Australien mit einer Crew künstlerisch ausgebildeter Mitarbeiter und vor allem Mitarbeiterinnen kopieren ließ.
Nachdem sie über ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit geraten waren, wurden die empfindlichen Papierbögen, aus denen sich die Bildwerke zusammensetzen, restauriert und die Arbeiten digitalisiert. Manche geben Malereien wieder, die vor Ort längst nicht mehr vorhanden sind. Rekonstruiert werden konnte auch die Geschichte einer Ausstellungstournee. Denn der Afrika-Forscher Leo Frobenius hatte sie schon in den dreißiger Jahren auf Tournee geschickt, um Gelder für die Fortsetzung seiner Dokumentation der Felsbildkunst einzuwerben.
War der Mensch zuerst ein homo pictor?
Beweisen wollte er die Existenz einer Weltkunst in schon üppiger Blüte längst vor unserer kunsthistorisch erfassten Kunst und in Afrika lebendig noch fast bis in die Gegenwart hinein. Die über 30 Stationen der Amerika-Tournee, die 1932 im New Yorker Museum of Modern Art begann, ermöglichte Alfred H. Barr, Gründungsdirektor des Moma. Er wollte seinerseits anschaulich machen, wie viel die moderne Kunst mit der ältesten aller Kunstepochen gemein hat. Der Kunsthistoriker Pierre Guéguen fand immerhin schon 1931, ein Jahr zuvor, über Picasso, “man müsse, um entsprechendes zu seinen plastischen Erfindungen zu finden, zu den Baum-Tieren, den fliegenden Rüben, den Hülsen-Menschen mit den vielästigen Geschlechtsteilen der wunderbaren prähistorischen Malereien zurückblicken”. Vor allem auf den Surrealismus soll die weltweit bekannt gewordene Felsbildkunst gewirkt haben. Barr schrieb im Katalog zur Ausstellung im Moma: “Selbst im Faksimile evozieren sie die Atmosphäre eines vorsinflutlichen Uranfangs, eines anstrengenden Eden, in dem Adam die Tiere malte, ehe er sie benannte.”
Tatsächlich waren drei der rund ein Dutzend als Kopisten tätigen MitarbeiterInnen von Frobenius Willy-Baumeister-Schüler, und auf dessen Bildern finden sich zoomorph unbestimmte Formen, ja, abstrakte Formen, deren Entsprechung im alten Afrika Frobenius wohl “Formlinge” genannt hätte, eine Bezeichnung für nicht eindeutig bestimmbare Gebilde, die aber auch Lagerplätze oder Nahrungsspeicher darstellen können. Willy Baumeister gehörte mit Miró, dessen chiffreartigen Zeichen ebenfalls Anklänge an die prähistorische Kunst zulassen, der Künstler-Gruppe “Altamira” an. Der Maler Wols arbeitete mit 17 Jahren als Zeichner bei Frobenius. Doch was hier was bewirkte, wird schwer eindeutig nachzuweisen sein.