Nachdem die MIZ vor einem Jahr einen Blick auf Religion und Kirche in der DDR geworfen hatte, stellt der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe die Frage, was sich 30 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten "im Osten" diesbezüglich verändert hat. Das gezeichnete Bild ist vielschichtig, aber eines zeichnet sich deutlich ab: Verliererinnen sind die Frauen.
Zunächst geben fünf kurze Interviews Auskunft über einzelne Entwicklungen: Horst Groschopp nimmt die säkulare Feierkultur ins Auge, die Ärztin Viola Hellmann fasst die Veränderungen hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruches zusammen, Elke Prinz berichtet über die Selbstbestimmungskämpfe homosexueller Menschen, Viola Schubert-Lehnhardt beantwortet die Frage, was aus dem "wissenschaftlichen Atheismus" geworden ist, und Jana Steinhaus – in der DDR geboren, aber während des Transformationsprozesses aufgewachsen – gibt ihre Erfahrungen in dieser Veränderung wieder (und verrät nebenbei, was sie dazu gebracht hat, heute in der säkularen Szene aktiv zu sein).
Gerhard Czermak untersucht den Einigungsvertrag einschließlich der vorhergehenden Diskussionsprozesse und ruft dabei in Erinnerung, mit welch fragwürdigen juristischen Winkelzügen die Regierung beispielsweise die Kirchensteuer im "Beitrittsgebiet" etablierte.
Die größten Veränderungen erlebten jedoch die Frauen, wie Ursula Schröter zeigen kann. In der DDR waren mehr Frauen berufstätig (und damit wirtschaftlich weniger abhängig), es gab eine bessere Kinderbetreuung und das Familiengesetzbuch von 1965 galt weltweit als eines der modernsten. Indem jedoch das damals in der Union vorherrschende, noch stark an "Küche, Kinder, Kirche" orientierte Frauenbild als Standard gesetzt wurde, erschien dieser Zustand als "Abweichung", die es zu korrigieren galt. (Die konservativen Erfolge waren freilich von begrenzter Dauer: Mittlerweile hat das modernere Familienmodell auch im Westen Einzug gehalten.)
Beiträge von Karsten Krampitz (zur protestantischen Kirche in der späten DDR) und Gunnar Schedel (zum Agieren der Konfessionslosenverbände nach 1990) vervollständigen den Schwerpunkt.
Aufklärung und Sterbehilfe
In der Serie "Aufklärung" entwirft Hanna Vatter eine feministische Kritik an der Aufklärung. Ihre zentrale These: Der emanzipatorische Ansatz wurde vom Patriarchat erfolgreich eingehegt. Gegen die Feudalherrschaft kämpften Revolutionäre und Revolutionärinnen noch gemeinsam, nach dem Erfolg wurden letztere wieder weitgehend aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen (was sich beispielsweise im Code civil manifestiert). Es blieb bei der Kontrolle der Frau durch gesellschaftliche Institutionen.
In der Rubrik "Staat und Kirche" geht es um die Zukunft des assistierten Suizids. Dieter Birnbacher zeigt, dass auch nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil keineswegs gesichert ist, dass das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen hinreichend Berücksichtigung findet. Bundesgesundheitsminister Spahn verfolgt in dieser Frage seine ganz eigene, an den ethischen Vorstellungen der Kirchen orientierte Agenda.
Mubarak Bala und Friedrich Engels
Mubarak Bala ist ein nigerianischer Aktivist, der sich für Religionsfreiheit einsetzt. Seitdem er öffentlich, vor allem in den sozialen Medien, propagiert, dass ein "Abfall" vom Glauben und Kritik am Islam heute auch in Nigeria völlig normal sein sollten, wird er bedroht. Im April wurde Bala schließlich verhaftet und verschwand für einige Zeit. Leo Igwe berichtet anlässlich dieses Falls über Repressionen gegen Atheisten im bevölkerungsreichsten Land Afrikas.
Friedrich Engels hätte dieses Jahr seinen 200. Geburtstag gefeiert. Axel Rüdiger erinnert an den Denker, der heute oft nur noch als sidekick von Karl Marx wahrgenommen wird. Dabei geht der Ansatz, die Kritik der Religion mit der Kritik der Ökonomie zu verbinden, um eine emanzipatorische Entwicklung anzustoßen, wesentlich auf Engels zurück.
Daneben gibt es die üblichen Rubriken Blätterwald, eine Buchbesprechung, die Internationale Rundschau und die Glosse Neulich... (beim ausgestopften Teenager).