Die Bayerische Staatsoper hat einen neuen "Tannhäuser"

Augen zu und durch

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Tannhäuser: Opernballett und Chor der Bayerischen Staatsoper
Tannhäuser

Ein warmer Frühsommer-Nachmittag. Ein gewisses Knistern liegt in der Luft und der Wagnerianer an sich schaut nach München, blickt auf die Bayerische Staatsoper. Die erste "Tannhäuser"-Premiere seit 1994 wird mit großen Erwartungen herbeigesehnt. Das Haus ist bis auf den letzten Hörer-Platz ausverkauft und die Premierenvorstellung ein musikalisches Fest, bei dem echte Fans voll auf ihre Kosten kommen.

Das Bayerische Staatsorchester wird seinem Ruf als einem der besten wieder einmal gerecht: Makellos, vom ersten bis zum letzten Ton sauber intoniert, zu innigem Piano wie aufbrausendem Forte gleichermaßen in der Lage. GMD Kirill Petrenko kreiert dort unten im Orchestergraben ein erotisches Knistern, das sich bis in den letzten Rang auf das Publikum überträgt.

Klaus Florian Vogt straft mit seinem Tannhäuser-Debut alle bösen Zungen lügen, die ihm das wagner’sche Metall in der Stimme abzusprechen suchen. Vogt kann auch dunkel, er kann dreckig, düster und rau. Und er bewältigt eine der anspruchsvollsten und vielseitigsten Partien seines Fachs mit Bravour und nicht zuletzt beeindruckender Textverständlichkeit. Leider, so muss man einräumen, mit deutlich vernehmbarem Dauer-Support aus dem Souffleur-Kasten (Maestro suggeritore: Michael Mader).

Elena Pankratova als Venus verkörpert mit götterglühender Stimme die Liebe selbst. Warm und lockend umgarnt sie den Minnesänger, der ihrer einnehmenden Kraft nur mit Mühe zu entkommen vermag. In Anja Harteros, der anderen Frau, Elisabeth, findet sie eine würdige Gegnerin. Auch sie verführt mächtig entflammend, wenngleich eher unbewusst und weniger zielgerichtet. Denn während sich die Energie und das Verlangen der Venus auf Tannhäuser fokussiert, geht es Elisabeth in erster Linie um die Flucht durch Heirat aus einer prüden Sekte, die ihr die Erfüllung des Traums von einem Schicksal als Ehefrau und Mutter, zu verwehren droht. Und so schwankt sie zwischen Wolfram und Tannhäuser, den beiden Sängern, von denen keiner in der Lage ist, sie zu befreien.

In Christian Gerhahers Wolfram von Eschenbach schließlich hört man den Liedsänger voll durch – und das tut der Rolle richtig gut. Wandlungsfähig zeigt sich dieser Wolfram. Er dröhnt mal aggressiv und laut inmitten der Jägerschar des ersten Aktes, um dann im dritten Akt unerhört zärtlich zu versuchen, Elisabeth vor dem Suizid zu bewahren. Georg Zeppenfeld ist einmal mehr der stimmlich zuverlässige Landgraf mit kräftig-dunklem Bass und väterlicher Ruhe.

Der perfekt einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper (Leitung Sören Eckhoff) präsentiert sich in Bestform und verleiht der Vorstellung den letzten Schliff an Feierlichkeit und Glanz.

Tannhäuser
Tannhäuser: Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Ensemble der Bayerischen Staatoper; Foto: Wilfried Hösl / Bayerische Staatoper

Das Regieteam um Romeo Castellucci hat viel Arbeit in diese Inszenierung gesteckt. Und auch bei der Ausstattung lässt man sich in München nicht lumpen. Unzählige halbnackte Amazonen mit wechselfarbigen Langhaarperücken räkeln und wälzen sich zwischen Vorhängen, turnt Yoga-Figuren und schießen Pfeile in alle Richtungen. Venus verteilt sich im ersten Akt als glibberige Masse über die halbe Bühne. An der Sünden Last schleppen sich die Pilger in Form vergoldeter Steine ab. Selbst Kinder und Tiere wurden untergebracht!

Nachdem sich in den ausgedehnten Pausen zwischen den Akten die Fragen und Interpretations-Ansätze in allen Foyers schier überschlagen haben, löst der letzte Akt alle Rätsel bezüglich der szenischen Konzeption auf. Während nämlich auf der hinteren Wand in der Gruft eine Zeitanzeige nacheinander dieZeit ("Hier vergehen hundert Jahre", "Hier vergehen tausend Jahre" usw.) zählt, trägt sich das moderne Regietheater in immer schneller fortschreitenden Verwesungsprozessen selbst zu Grabe: Ein Leichenpaar nach dem anderen wird herein gekarrt, aufgebahrt und wieder hinaus geschoben. Bis die Asche-Häuflein von Elisabeth und Tannhäuser zuletzt zusammengekippt werden. Man erinnert sich an Schlingensief in Bayreuth, wo der verwesende Hase noch etwas mit der Musik zu tun hatte – darüber ist Castellucci in München längst hinaus.

Wer sich von alledem nicht ablenken lässt oder eh schon den Blick auf die Bühne meidet, hört eine Romerzählung, wie sie nur wenige lebende Wagner-Tenöre unserer Zeit zustande brächten.

Falls es die Idee hinter all diesen Einfällen war, die Musik aus dem Bewusstsein des Publikums zu verdrängen, dürfte die Bayerische Staatsoper wohl nicht der rechte Ort dafür sein. Die Vorstellungen werden bis zur Dernière ausverkauft bleiben. Die Wagnerianer werden nach München pilgern: Denn bei solch einem musikalischen Rausch hilft jederzeit die Devise: Augen zu und durch!