Die Münchner Opernfestspiele haben in dieser Saison mit keinem geringeren Werk als Richard Wagners "Tristan und Isolde" eröffnet – und das mit einer absoluten Star-Besetzung in den Titelrollen. Auch ohne monatelange Pandemie-bedingte Abstinenz ein Event, das den musikalischen Vollrausch garantiert.
Es ist der Abend der leisen und sanften Töne. Anja Harteros bleibt mit ihrer Isolde musikalisch nicht einen Deut hinter all den großen Erwartungen zurück, die ihre Fans an dieses Rollen-Debut gerichtet haben. Ausgehend von ihrem lyrischen Sopran entfaltet sie die gesamte Bandbreite dieser Figur von der verletzten verliebten Frau über die unerbittliche Verhandlerin bis hin zur selbstbestimmt Sterbenden. Durch ein Höchstmaß an Textverständlichkeit und nahezu schauspielerische Interpretation der anspruchsvollen wagner'schen Text-Phrasen gelingt ihr ein unverwechselbares Porträt der irischen Prinzessin.
Jonas Kaufmanns Tristan-Debut gleicht einer Offenbarung. In eine Partie, deren reines Durchhalten bis zum Schlusston bereits als Heldentat anerkannt ist, legt er ein schier unerschöpfliches Maß an Hingabe und Glut. Mit dem letzten Atemzug im dritten Akt noch einmal "Isolde" zu rufen, ist schon eine Kunst für sich. Doch bei Kaufmann ergreift selbst an dieser Stelle noch einmal eine Welle der Leidenschaft den Saal.
Dem Liebespaar zur Seite stehen Okka von der Damerau, die mit einer beeindruckend powervollen Brangäne stützender Kraftquell und allwissende Mahnerin zugleich ist, sowie Wolfgang Koch, der als loyaler Gefährte Tristans einen Kurwenal mit selten gehörten Piano-Passagen vorstellt.
In Bestform präsentiert das Bayerische Staatsorchester dieses Werk, welches im Zeitalter seiner Komposition zunächst als unspielbar gehandelt wurde. Entgegen dem Trend von vor einigen Monaten, in welchem man bestrebt war, Werke zu kürzen, um in einem pausenlosen 90-Minuten-Akt die Kontakt- und Ansteckungsmöglichkeiten des Publikums weitestgehend einzuschränken, ist hier die ungekürzte Partitur zu hören. Mehr ist in diesem Fall wirklich mehr – nämlich mehr der Erklärung einer unerklärlichen Liebe im zweiten Akt vor dem großen Duett.
Kirill Petrenko, der bei diesem Groß-Projekt als muskalischer Leiter den Taktstock schwingt, steht unverkennbar auf der Seite der Liebe. Ungebremst stürmt er mit dem gesamten Klangkörper durch den Liebestod hinein in die euphorische Erlösung. Fernab jeder akademisch-verklemmten Bestrebung, auf dem trockenen Boden der Tatsachen kleben zu bleiben, zeigt er den Mut, sich der Versuchung hinzugeben und ermöglicht es dem Publikum, abzuheben und so seelisch berauscht das Opernhaus zu verlassen, wie es das ur-eigentlichste Ziel dieses Stoffes ist.
Die Inszenierung (Regie: Krzysztof Warlikowksi) ist hingegen sehr darum bemüht, den Aspekt des Schlachtfeldes in der Liebe hervorzuheben. Das Bühnenbild (Ausstattung: Małgorzata Szczęśniak) zeigt einen einheitlichen Un-Ort. Gleich einem Wartesaal mit kaltem Flair fängt es ein wenig von dem ein, was die Oper ohnehin zur Genüge zeigt: Langsames Hinarbeiten auf das Unausweichliche. Ganz gleich ob an Bord eines Schiffes oder im Saal einer Burg – die Figuren bewegen sich etwas steif durch den Raum. Umrahmt werden sie von Statisterie, die einerseits Kriegsveteranen, andererseits Krebspatienten auf der Palliativ-Station darstellen zu wollen scheint. Das Thema ist weniger der Tod als vielmehr das Sterben als Prozess.
So werden die Liebenden denn auch nicht etwa beim verbotenen Koitus erwischt, sondern beim gemeinsamen Suizid-Versuch. Dass es genau das ist, woran sie scheitern, zeigt ihre Unfähigkeit, gemeinsam zu leben. Selbst ihr letztes Tun tun sie aneinander vorbei. Isolde sinkt neben Tristan zu Boden – lediglich die Video-Projektion (Kamil Polak) im Hintergrund zeigt an, was hätte sein können: Ein Paar, das nebeneinander auf dem Bett liegt und sich verschmitzt zuzwinkert.
Die Message des Abends: Wahre Liebe ist durch nichts aufzuhalten. Und gute Musik bleibt gegenüber jeder Regie unkaputtbar.
Durch die Pandemie hat die Dankbarkeit des Publikums indessen zugenommen. Man ist weicher geworden. Ein solcher Abend ist kostbar. Länger dauert das Anstehen um Karten, aufwändiger ist der Theaterbesuch. Wir würden der Kunst alles verzeihen, wenn wir nur das Orchester in voller Besetzung hören dürfen. Die Buh-Rufe sind aus dem Saal verschwunden. Etwaige Schwachstellen werden mit höflichem, wohlwollendem Applaus bedacht. Hoffentlich markiert das nicht das Ende sondern einen aussichtsreichen Neubeginn…