Knapp sechs Jahre wurde es umgebaut, saniert, renoviert und wieder zur Theaterstätte gemacht. Nach mehreren Spielzeiten der Wanderung, der Umzüge, des Spielens und des Schauens in sehr unterschiedlichen Spielstätten, kehrt das Ensemble des Gärtnerplatztheaters in München endlich wieder zurück in sein angestammtes Haus. Die Eröffnungswoche bot gleich zwei Events erster Güte.
Es ist der Vorhang selbst, der an diesem Eröffnungsabend, der Gala "Es ist soweit" (am 14. & 15. Oktober) einen Auftakt zaubert wie er passender nicht sein könnte: Teil der sanierten Bühnentechnik ist ein "Wagner-Vorhang", der – zugleich seitwärts als auch nach oben gezogen – schwungvoll den Blick auf eine neue Ära freigibt. "Der Lappen ist oben" - wie die Theaterleute sagen – das Publikum applaudiert für diesen Kniff, der Intendant tritt auf, die Show beginnt.
Was folgt ist ein reibungslos dargebotener Abend mit viel Musik und wenig (Ge)Rede. Die Kunst spricht für sich selbst – auf hervorragende Weise. Highlights aus Oper, Operette und Musical lösen einander ab – solistisch, im Ensemble, mit und ohne Chor und Ballett. Zwischen den einzelnen Nummern trägt die Schauspielerin und Kabarettistin Sigrid Hauser als Moderatorin knackig-kurze kommentierende Zitate großer Menschen vor. Dieser Verzicht auf ausufernde Anmoderationen verleiht dem Abend Dynamik und Schwung. Intendant Josef Köpplinger benennt in seiner kurzen Ansprache die "Herzensbildung" und den Einsatz für die Demokratie als zentrale Aufgaben des Theaters in der heutigen Zeit.
Die Eröffnungspremiere "Die lustige Witwe" (19. Oktober) von Franz Lehár inszeniert er selbst. Das Werk erzählt von der Rückkehr der überaus reichen jungen Bankiers-Witwe Hanna Glawari ins Pariser Leben. Von allen Männern allein wegen ihres Geldes umworben, interessiert sie sich jedoch ausschließlich für ihren früheren Geliebten Graf Danilo. Der wiederum ist zu stolz, um zu seinen Gefühlen für sie zu stehen. Er hatte das Verhältnis dazumal beendet, weil er sich allzu sehr von seiner standesbewussten Verwandtschaft unter Druck setzen ließ und Hanna einst nur ein mittelloses Mädchen aus dem Volke war. Nach ein paar Irrungen und Wirrungen durch diverse Paarkonstellationen, die eine Komödie zu bieten hat, und mit großer Intelligenz gewinnt Hanna Danilo am Ende jedoch zurück – und zwar indem sie glaubhaft vortäuscht nun eben kein Geld mehr zu haben.
Ein unausgesprochener Spruch aus dem Alten Testament begleitet die Bühnenerzählung auf Schritt und Tritt: Stark wie der Tod ist die Liebe – so schrieb Salomon in seiner erotischen Abhandlung über das Fleischliche. Und bei Josef Köpplinger wird einmal mehr deutlich, was damit gemeint ist: Der Tod ist und bleibt die stärkste Kraft alles Lebendigen. Er ist die letzte Konsequenz des Lebens und das einzige verlässliche Versprechen. Einzig die Liebe sei die Kraft, die ihm wenigstens phasenweise etwas entgegenzusetzen weiß. Sinnigerweise deutet in diesem Fall bereits der Werktitel an, dass es der Tod ist, der der Liebe auf die Sprünge hilft. Denn erst Hannas Witwenschaft macht den Weg frei für eine Verbindung mit Danilo. Um diesen direkten Zusammenhang zwischen Liebe und Tod zu veranschaulichen, dichtet Köpplinger in seiner Inszenierung den Tod als stumme Rolle (verkörpert von James Cooper) hinzu. Er begleitet Hanna bei der Beerdigung ihres Mannes, er tanzt Walzer mit ihr, er schwirrt durch nahezu jede Szene und mimt gar den Jäger in der pantomimischen Illustrierung des Vilja-Liedes. Mit Blumen wirbt er noch um Hanna, um sie ganz auf seine Seite zu ziehen, bis Danilo endlich zu seiner Liebe steht. Die ersten Töne des "Lippen schweigen"-Duett verbannen den Tod endlich aus der Szenerie. Für diesen einen Augenblick hat ihn die Liebe übertrumpft. In den Glücksrausch der Verlobung von Danilo und Hanna bricht jedoch die Nachricht von der Ermordung des Habsburger Thronfolgers und dem beginnenden Ersten Weltkrieg. Alle Männer stürzen hinaus und Hannas letzter Gesellschafter, der Tod, kehrt auf die Bühne zurück. Auch dies ist eine Dazudichtung der Regie. Das Schlussbild sorgt daher für kurze Irritation im Saal. Der Großteil des Publikums reagiert mit Gelassenheit.
Bühne (Rainer Sinell) und Kostüme (Alfred Mayerhofer) bleiben in der Entstehungszeit der "Witwe". Wir befinden uns im Paris des Fin de Siecle, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Ausladende Roben, Fräcke, Uniformen, Zylinder und die Grisetten – natürlich – in Rot/Schwarz. Eine große Treppenbrücke verbindet szenisch die Pariser Seine (die im Hintergrund lautlos auf der Leinwand plätschert) und einem Ballsaal in dem sich die Tragödien der Beteiligten entwickeln. Das Amüsier-Lokal Maxim wird durch eine herunterfahrende Leuchtschrift angedeutet, im 3. Akt dann mit einer kleinen Bühne auf der die schmucken Grisetten (Damen wie Herren des Balletts im Grisetten-Korsett!) das Tanzbein schwingen.
Ebenso gelungen ist die konsequente Kürzung der Sprechdialoge, vor allem der etlichen Kalauer, die das Stück gelegentlich zur harten Nervenprobe machen. Der Witz ist soweit vorhanden, dass man mit den Protagonisten lacht und kein selbstläuferndes Schenkelklopfen entsteht. So kommt die traditionelle Stärke des Genres Operette, das Fröhliche neben das Traurige zu stellen, klar zur Geltung. Tod und Endlichkeit schwingen jedoch werkimmanent bereits so präsent mit, dass ihre Personifizierung etwas aufgesetzt wirkt. Wenngleich James Cooper die Tod-Rolle hervorragend gestaltet, wenn er eindringlich mimt, tanzt und das Geschehen begleitet.
Musikalisch champanisiert der Abend! Camille Schnoor (Hanna Glawari) und Daniel Prohaska (Graf Danilo) überzeugen als sich wiederfindendes Traumpaar. Er torkelt zunächst verkatert durch den Saal und fällt ihr später umso selbstbestimmter in die Arme. Sie ist neckisch und bringt ihn listig dazu, zu seinen Gefühlen zu stehen. Ein leichtes Kratzen in der Höhe macht Prohaska spielend wett durch Schmiss im Maxim und sanfte Erotik bei "Lippen Schweigen". Die, gemessen an der Rolle der Hanna, noch sehr junge Camille Schnoor, erweist sich als adäquate Besetzung – Gänsehaut beim Vilja-Lied ist garantiert. Etwas mehr Kraft in der Stimme wäre ein lohnenswerter Zugewinn, jedoch könnte sich hier auch Anthony Bramall am Pult mehr als Stütze des Sängers verstehen. Dies ist jedoch Nörgeln auf hohem Niveau, schließlich muss auch eine neue Akustik im alten Saal erst wieder vollends erschlossen werden.
In der Rolle der Valencienne schließlich fechten Soubrette und Feministin einen harten Kampf aus. Valencienne ist verheiratet und liebt einen anderen. Scheidung ist für sie als Frau noch nicht möglich, durch Trennung würde sie ihren Stand verlieren, als Grisette jedoch darf sie kokettieren. Jasmina Sakr verkörpert die "anständige" Frau des angehenden 20. Jahrhunderts mit darstellerischer Würde und großem gesanglich Stil. Als ihr Liebhaber Rosillon schwingt sich Lucian Krasznec zu tenoralen Höhenflügen auf und liefert pausenlosen unerschütterlichen Schmelz.
Das übrige Ensemble sowie Chor, Ballett und Statisterie bringen die nötige Stimmkraft auf und berauschen in den großen Szenen so, dass keine Wünsche offenbleiben. Das Ensemble über das "Studium der Weiber" (und hier auch der Männer) ist zweifelsohne der Höhepunkt.
Herauszuheben ist die schauspielerische Leistung von Sigrid Hauser, die als aktenschleppende Hilfskraft Njegus (eine oft gekürzte oder gestrichene Rolle) die Vorstellung ganz entscheidend mitträgt. Mit Timing und akrobatischem Geschick sowie beneidenswerter Körperbeherrschung und Präsenz ist sie das Salz in der Suppe dieser Premiere. Das Konzept der Darbietung führt eindrucksvoll vor Augen, was Köpplinger zur Eröffnung als das Profil des Hauses beschreibt: Es ist das Zusammenwirken und Gleichbehandeln mehrerer Bühnenkunstgattungen. Diese "lustige Witwe" ist große Oper, schauspielerische Komödie, opulent ausgestattete Operette und Tanz in einem.
1 Kommentar
Kommentare
Wolfgang Graff am Permanenter Link
Exzellenter Kommentar, schöne Fotos. Man meint, man wäre dabei gewesen.