Humanistischer Salon Nürnberg

Bauplan der Freiheit - Humanismus in der politischen Bildung

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Anton Pototschnik
Anton Pototschnik

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Helmut Fink stellt Anton Pototschnik vor.
Helmut Fink stellt Anton Pototschnik vor.

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Claus Gebert am Monochord
Claus Gebert am Monochord

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Der humanistische Verein TeamFreiheit unterstützt deutsche und österreichische Schulen bei der Prävention politischer und religiöser Radikalisierung. Im Humanistischen Salon Nürnberg stellte Anton Pototschnik das Bildungskonzept des Vereins vor: Wie Storytelling hilft, die Kostbarkeit säkularer Werte zu vermitteln.

"Würden wir uns heute nicht in einem freien Land wie Deutschland treffen", begann Anton Pototnik, "müssten wir uns heimlich treffen. Und wir wären voller Angst, dass das hier passiert..." Auf seinen Vortragsfolien ist ein Blaulicht zu sehen. Es ertönen Sirenen. "Wir hätten Angst, dass die Geheimpolizei kommt, um uns wegen Kritik am Regime oder wegen Blasphemie in einen Folterkeller zu verschleppen."

Der österreichische Ingenieur und Humanist Anton Pototschnik erzählte am Sonntag beim Humanistischen Salon Nürnberg eine eindringliche Geschichte der gesellschaftlichen Fortschritte in Europa. Und er erzählte sie so, wie er sie Jugendlichen ab 15 Jahren erzählt, wenn Lehrkräfte ihn einladen, um den Wert von Säkularität und Rationalität, Demokratie und Rechtsstaat zu vermitteln.

Vor ihm saßen diesmal jedoch humanistisch Interessierte, dessen Durchschnittsalter ein paar Jahrzehnte über seinem sonstigen Publikum lag. Sie hatten sich von Moderator Helmut Fink einstimmen lassen auf die Themen des Vortrags. Vor ihnen stand noch Kaffee oder ein Teller vom Brunchbuffet und sie hatten noch die ungewöhnlichen Klängen eines Instruments im Ohr, das der Musiker des Salons, Claus Gebert, als Ersatz für den Flügel mitgebracht hatte, auf dem er sonst die Veranstaltungen begleitet und das sich vom Monochord ableitet.

Wer sich für die Arbeit des österreichischen Vereins Teamfreiheit interessiert, findet auf seiner Website alle Informationen - zu den Ideen hinter "Frieden ist kein Wintergarten", zum Buch "Bauplan der Freiheit", zu den Vorträgen in Deutschland und Österreich und zu Unterrichtsmaterialien und Lerntools.

Sie waren sicher nicht gekommen, weil sie überzeugt werden wollten vom Wert der Wissenschaft oder den Vorteilen der Trennung von Staat und Kirche oder davon, dass die Gewaltenteilung eine gute Idee ist. Nein, dem Redner war gespannte Aufmerksamkeit gewiss, weil die Frage allgemein als dringlicher empfunden wird: Wie überzeugt man die junge Generation von den Errungenschaften freier Gesellschaften?

Kann Storytelling dabei helfen? Eine betont einfach geschriebene Geschichte darüber, wie sich die Werte und Institutionen, die uns heute schützen, entwickelt haben? Pototschnik hat die Erfahrung gemacht, dass er die Jugendlichen damit erreicht. Mit einer Geschichte, wie sie auch im Buch "Bauplan der Freiheit" beschrieben ist, das er gemeinsam mit seinem Bruder geschrieben hat.

Ihre Geschichte startet im Mittelalter. Mit Hans, dem jungen Kaufmannssohn, der in die Leibeigene Konstanze verliebt ist. Mit dem Grafen, dessen Eigentum Konstanze ist, und der Hans die Bitte abschlägt, sie heiraten zu dürfen. Und mit dem Bischof, der Hans erklärt, es sei gottgewollt, dass der Graf über ihm stehe und mehr Rechte habe als er und Konstanze.

Es ist eine Geschichte, in der Hans durch die Jahrhunderte wandert und Reformer und Revolutionäre trifft, von Renaissance-Denkern über Philosophen der Aufklärung und Kämpfer für die Demokratie bis zu Frauenrechtlerinnen auf einer Demo. Und eine Geschichte, in der die steile, starre und heilige Hierarchie der mittelalterlichen Gesellschaft immer weltlicher und flacher wird - bis zum Happy End, an dem Hans und Konstanze beide gleichberechtigt und frei über ihr Leben bestimmen können.

"Wichtig ist uns vom TeamFreiheit die Komplexitätsreduktion", betonte Pototschnik vor den rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörern im Nürnberger Café PARKS. "Wir erklären 2000 Jahre europäische Geschichte sehr einfach und komprimiert." Ihr Bildungsprojekt heißt "Frieden ist kein Wintergarten" und sein Ziel ist, dass die jungen Leute die Freiheit, die sie genießen, nicht für selbstverständlich halten. Und dass sie die weltanschaulichen Fundamente kennenlernen, die die Entwicklung bis hin zu universellen Menschenrechten ermöglichten.

Denn humanistisches Denken war ja nicht nur historisch die Grundlage des sozialen und politischen Fortschritts, sondern ist auch wichtig für den Erhalt und die Stabilität der Strukturen und Werte, die sich in Europa daraus entwickelt haben.

"Freiheit ist wie Luft", sagte Pototschnik "Solange sie da ist, ist sie selbstverständlich. Wenn sie weg ist, merkt man's zwar sehr schnell, aber dann ist es oft auch schon zu spät." Deswegen gelte es, verstärkt mit Wertschätzung über die Geschichte dieser Freiheiten zu sprechen, wie sie aufeinander aufbauen und sich gegenseitig stützen.

Aber man müsse auch über frühe Warnzeichen für einen drohenden Verlust von Freiheit reden. Über Politikverdrossenheit, über das Gefühl von Bedrohung und über den gefährlichen Wunsch nach dem "starken Mann".

Die Schülerinnen und Schüler müssen die Rezepte kennen, mit denen "starke Männer" Demokratie und Rechtsstaat aushebelten. Wie sie Sicherheit versprächen im Austausch gegen Freiheiten. Wie ihre Macht wachse, indem sie die Pressefreiheit beschneiden und die Verfassungrichter entmachten.

Und darüber, dass überall, wo das passiert, auch die humanistische Weltsicht an Boden verliere. Ob in Erdogans Türkei, in Putins Russland oder Orbans Ungarn - wo "starke Männer" die Macht erlangen, gewännen theozentrische Weltbilder wieder an Bedeutung, warnte Pototschnik. Auch in Trumps USA zeichnet sich ein ähnliches Erstarken ab.

Foto: © Karin Becker
Foto: © Karin Becker

Seinen Blick in die europäische Geschichte unterbrach Pototschnik auf diese Art immer wieder für Exkurse in die Gegenwart. Bei der Behandlung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, erklärte er, wie religiöse Regeln von Verfassungen verdrängt wurden, die von Menschen für Menschen gemacht waren. Dass heute Menschen in Europa vor Scharia-Gerichten und ihren religiösen Regeln Gerechtigkeit suchen, kann daher nur als Rückschritt gesehen werden.

Die historische Betrachtung der Heiligen Inquisition als einem Versuch jegliche Opposition gegen die Kirche zum Schweigen zu bringen, nutzte Pototschnik für einen Vergleich mit dem Agieren von religiösen Fundamentalisten heute. Auch hier gehe es um Terror, der Abweichler mundtot machen soll. "Deswegen arbeiten wir vom TeamFreiheit auch mit liberalen Muslimen zusammen, die sich für eine freie, säkulare Gesellschaft einsetzen", erklärte Pototschnik.

Als er über den Durchbruch erzählte, den die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte darstellte, warnte er auch vor jeder Ausnahme von der Universalität dieser Rechte. Dass die USA nach 9/11 die Menschenrechte ausgesetzt habe für Leute, die sie verdächtigten "feindliche Kämpfer" zu sein, sei ebenfalls ein solcher Rückfall gewesen, meinte Pototschnik. Auch im Kampf gegen Fundamentalismus und Terror lägen Gefahren für die Freiheit.

"Eine Frage, die ich in Schulen gerne stelle, ist: Darf man Terroristen foltern?" Welcher Anteil der Schülerinnen und Schüler diese Frage mit Ja beantworteten, sei von Schule zu Schule ein bisschen unterschiedlich, aber oft würde bis zur Hälfte der jungen Leute sagen: Ja, bei Terroristen müsse man die Samthandschuhe ausziehen. Die dürfe man auch foltern.

Gerade weil viele das glaubten, sei es so wichtig zu vermitteln, wie gefährlich es ist, irgendeine Gruppe von den Menschenrechten auszunehmen. Denn wer entscheide denn, ob jemand zu dieser Gruppe gehört? Alle Länder, die sich von Freiheit wegbewegten, würden die Definition, wer ein Terrorist ist, beständig ausweiten - bis auch alle kritischen Journalisten und alle Oppositionellen zur Gruppe der Terroristen dazugehörten. "Das ist genau das, was gerade in der Türkei passiert!"

Nach Pototschniks nachdrücklichem Plädoyer für eine humanistisch geprägte politische Bildung und einer regen Diskussion über seinen Vortrag, klang die Veranstaltung mit dem emotional berührenden Song aus, den die österreichische Band Wolfsrachen für das Projekt komponiert hat und das der Initiative "Frieden ist kein Wintergarten" ihren Namen gab. Seine erste Strophe:

Frieden ist kein Zuckerschlecken und kein Steckenpferd
Den gibt's auch nicht im Tetrapack, sonst wär er nichts wert
Frieden ist kein Glaube und auch kein Verein
Frieden ist kein Sammlerstück, man kann ihn auch nicht leih'n
Frieden ist keine Smartphone-App, kein Abo und kein Club
Kein alter Schatz im Keller, so wie beim Trödeltrupp
Frieden ist kein Kunststoffrasen, Frieden kann allein
Im Boden unserer Freiheit gedeih'n

Der gastgebende Humanistische Salon Nürnberg lädt am 19. März zu seinem nächsten Termin im PARKS: einer Diskussion zwischen Dieter Birnbacher und Frank Erbguth zum Thema "Entscheidungen über Leben und Tod - Embryonenschutz, Organspende, Suizidbegleitung". Zudem gibt es am 14. Mai einen Extratermin im Nürnberger CPH: Hamed Abdel-Samad spricht dann über die Frage: "Ist Religion Privatsache? - Religionsfreiheit und ihre Grenzen".