Kommentar zum Beschluss 1 BvR 1555/14 vom 27.11.2017

Bundesverfassungsgericht weigert sich, über Einrichtung von Ethikunterricht zu entscheiden

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Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Das Sitzungssaalgebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

Eine Mutter aus Baden-Württemberg hatte darauf geklagt, dass für ihre Kinder ein Ethikunterricht an der Grundschule eingerichtet wird. Bislang gibt es Ethik in Baden-Württemberg erst ab der 7. Klasse. Die Mutter berief sich darauf, dass religiös gebundene Kinder mit dem Religionsunterricht einen moralischen Unterricht erhalten, konfessionsfreien Kindern dagegen kein entsprechender moralischer Unterricht gewährt wird.

Nachdem die Verwaltungsgerichte bis zum Bundesverwaltungsgericht (Az: 6 C 11.13, Urteil v. 16.04.2014) den Anspruch der Mutter abgelehnt hatten, hatte diese 2014 das Bundesverfassungsgericht angerufen. Mit dem Beschluss vom 27.11.2017 hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden, die Sache nicht zur Entscheidung anzunehmen.

Der Beschluss ist für das Bundesverfassungsgericht nur peinlich und gegenüber der Mutter eine Unverschämtheit. Auf 10 Seiten erklärt das Bundesverfassungsgericht mit zum Teil absurden Argumenten, warum es sich inhaltlich zur Sache nicht erklären will.

So meint das Bundesverfassungsgericht, es sei nicht klar, ob sich die Vorgerichte ausreichend mit den verfassungsrechtlichen Fragen befasst hätten, obwohl sowohl aus der Beschwerde selber wie auch aus dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eindeutig hervorgeht, dass es in allen drei Instanzen und auch im vorhergehenden Verwaltungsverfahren immer nur um die Frage ging, ob es einen auf dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG beruhenden Anspruch auf Einführung von Ethik gibt, da andere Rechtsgrundlagen nicht bestehen.

Dann führt das Gericht aus, der Gesetzgeber hätte im Bereich der schulischen Bildung einen weiten Gestaltungsspielraum. Das ist zwar zutreffend, der Gesetzgeber hat jedoch nicht den Spielraum unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz einer Gruppe – hier religiösen Schülern – einen moralischen Unterricht zu gewähren, den er einer anderen Gruppe – hier konfessionsfreien Schülern – verweigert. Zu prüfen, ob dieser Spielraum wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 GG überschritten war, wäre die Aufgabe des Bundesverfassungsgericht gewesen.

Im Grunde argumentiert das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle so, dass es darauf hinweist, dass es hier ein Problem gibt und dies als Grund dafür anführt, sich mit dem Problem nicht zu beschäftigen. Eine solche Argumentation ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten.

Obwohl sich das Bundesverfassungsgericht ja eigentlich mit den aufgeworfenen Rechtsfragen nicht befassen will, kommt es dann doch nicht darum herum, Stellung zu beziehen. Es bestreitet, dass überhaupt eine relevante Ungleichbehandlung vorläge.

In dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Mannheim und dem Bundesverwaltungsgericht war es klar, dass der Ethikunterricht ein gleichwertiger Unterricht zum Religionsunterricht ist. Zutreffend sind die zwei Gerichte auch davon ausgegangen, dass eine dem Religionsunterricht gleichwertige moralische Erziehung in den anderen Grundschulfächern nicht vorgenommen werden kann. Dies zweifelt das Bundesverfassungsgericht nun an. Es nimmt an, die moralische Erziehung der Schüler könne nebenbei in den sonstigen Unterrichtsfächern statt finden. Einen spezieller Unterricht sei dafür gar nicht nötig. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz läge daher nicht vor. Eine These, die vorsätzlich völlig an der Realität in der Schule vorbeigeht.

Offensichtlich will sich das Bundesverfassungsgericht mit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht beschäftigen. Die Gründe hierfür liegen nicht in dem, was das Bundesverfassungsgericht ausführt. Vielmehr dürfte für den Unwillen des Bundesverfassungsgerichts ausschlaggebend gewesen sein, dass es schwierig ist, mit einer juristisch überzeugenden Argumentation den Anspruch auf Erteilung eines Ethikunterrichts abzulehnen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, Art. 7 Abs. 3 GG sei ein Privileg für die Religionen. Es gewähre diesen ein besonderes Recht an der Schule ihre Mitglieder zu unterrichten. Als ein solches grundgesetzlich gewährtes Privileg gehe es dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG vor und erlaube es, diesen zu durchbrechen.

Wenn dies richtig wäre, dann hätten Konfessionsfreie allerdings keinen Anspruch auf Einführung eines Ethikunterrichtes.

Die Frage, ob es einer Privilegierung der Religionen durch Art. 7 Abs. 3 GG gibt, war die für den Streit rechtlich entscheidende Frage, eine verfassungsrechtliche Frage, zu deren Klärung des Bundesverfassungsgericht berufen gewesen wäre. Es hat sich geweigert, diese ihm übertragene Aufgabe wahrzunehmen.

Die These, Art. 7 Abs. 3 GG sei ein Privileg der Religionen und Weltanschauungen, ist falsch.

Die historische Betrachtung der Entstehung des Religionsunterrichts an der Schule und seiner verfassungsrechtlichen Institutionalisierung in Art. 149 WRV und dem fast wortgleichen Art. 7 Abs. 3 GG zeigt, dass der Staat mit der Einführung und Aufrechterhaltung des Religionsunterrichtes als ordentlichem Schulfach auch nach der Trennung von Staat und Kirche 1918 seinen eigenen moralischen Erziehungsauftrag an die Kirchen delegiert hatte. Dieser Unterricht war daher kein Privileg für die Kirchen, sondern eine Inpflichtnahme der Kirchen durch den Staat. Die Kirchen wurden verpflichtet – und waren dazu auch gerne bereit – die allgemeine moralische Erziehung der Kinder für den Staat zu leisten. Dies war in einer Situation, in der über 95% der Bevölkerung christlich waren, auch problemlos möglich. Die christliche Moral war zugleich auch die staatliche Moral. Ein spezieller staatlicher Ethikunterricht machte in einer solchen Situation keinen Sinn (vgl. hierzu meinen Aufsatz: Ethikunterricht, Lebenskundeunterricht, Religionsunterricht. Moralische Erziehung an der Schule im rechtlichen und sozialen Wandel, in: Religion und Weltanschauung im Recht, Alibri-Verlag)

Es ist klar, dass in einer geänderten sozialen Situation, wie sie heute besteht, in der nur noch 55% der Bundesbürger Mitglieder einer christlichen Kirche sind, dieses Modell nicht mehr funktionieren kann und der Auftrag zur ethischen Bildung der Schüler an den Staat zurückfällt. Da der Religionsunterricht nie ein Privileg war, ist es ebenso klar, dass Konfessionsfreie aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz einen Anspruch darauf haben, dass der Staat seinen ihm obliegenden moralischen Erziehungsauftrag auch ihnen gegenüber wahrnimmt und einen Ethikunterricht einrichtet, solange es Religionsunterricht als Pflichtfach an der Schule gibt.

Zu diesem Ergebnis wollte das bekanntermaßen äußerst religionsfreundlich eingestellt Bundesverfassungsgericht aber offensichtlich nicht kommen. Bei der Lektüre des Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes drängt sich die Frage auf, wofür wir in Deutschland ein Bundesverfassungsgericht haben? Für solche Beschlüsse braucht man es auf jeden Fall nicht.

Der Beschluss zeigt erneut, dass man vor dem Bundesverfassungsgericht für Konfessionsfreie nichts erreichen kann.