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Evolutionstheorie: Nur selten Thema in der Lehrerausbildung

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Für den Unterricht in der Grundschule werden LehrerInnen zum Thema Evolution nur unzureichend ausgebildet

Im Sachunterricht der Grundschulen sollen unter anderem naturwissenschaftliche Phänomene vermittelt und erklärt werden. Die Evolutionstheorie ist bisher sehr selten Teil des Schulcurriculums. 

Eine Analyse der Modulhandbücher1 deutscher Hochschulen zeigt nun, dass sie oft selbst in der Ausbildung der angehenden Lehrkräfte fehlt, obwohl sie von zentraler Bedeutung für das Verständnis aller Prozesse in der belebten Natur ist. Der Vergleich des Umgangs deutscher Hochschulen mit dem Thema Evolution zeigt große Unterschiede und Überraschungen. 

"Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution" (Dobzhansky)

Die Bedeutung der Evolution hat in der Wissenschaft stetig zugenommen. Die Evolutionstheorie wird in Deutschland meist erst ab der achten Klasse unterrichtet, obwohl biologiedidaktische Studien nahelegen, dass Evolution schon ab der Grundschule unterrichtet werden kann und sollte. Die Bereitschaft, die Evolution als Erklärung für die Artenentstehung und -vielfalt anzuerkennen, hängt von Faktoren wie Bildungsgrad und Religiosität ab. Nicht überraschend: ungebildete, stark religiöse Menschen wissen weniger über die Evolution und sind seltener bereit sie anzuerkennen. Im Gegensatz zur Evolution wird der christliche Schöpfungsmythos in jedem Bundesland in Deutschland behandelt. 

Dass das Evolutionswissen mit der Evolutionsakzeptanz zusammenhängt, zeigt sich sowohl an Schülerbefragungen als auch an Lehrerstudien. Grundschullehrkräfte haben schlechtere Ergebnisse bei Evolutionsakzeptanz und Evolutionswissen erzielen können als ihre Gymnasialkollegen. Dies liegt vor allem in der unterschiedlichen Ausbildung begründet.

Nur etwa die Hälfte der deutschen Hochschulen vermittelt die Evolution verpflichtend für Sachunterrichtlehrkräfte. 

Von den 35 untersuchten Hochschulen2 sahen laut den Modulhandbüchern etwa die Hälfte die Evolution verpflichtend, 10 Prozent optional und 40 Prozent gar nicht vor (siehe Abbildung 1). Dabei gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen den Regionen. 

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Die Hochschulen im katholisch geprägten Süden waren eher bereit, die Evolution verpflichtend in die Curricula aufzunehmen, als das Hochschulen im Norden Deutschlands taten (siehe Abbildung 2). Über die Gründe lässt sich nur spekulieren.

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In den Universitäten der neuen Bundesländer fand die Evolution viel seltener Eingang in die Modulhandbücher als in den westdeutschen Hochschulen (siehe Abbildung 3). Nur 14 Prozent der ostdeutschen Sachunterrichtsstudierenden behandeln die Evolutionstheorie verpflichtend – verglichen mit knapp 59 Prozent auf westdeutscher Seite. 

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Hinzu kommt, dass längst nicht alle späteren SachunterrichtslehrerInnen auch Sachunterricht wirklich studiert haben. GrundschulpädagogInnen, die beispielsweise Deutsch und Mathe als Hauptfächer gewählt haben, werden nur einzelne Seminare oder Vorlesungen zum Sachunterricht besuchen und später die volle Lehrbefähigung für den Sachunterricht haben.

Selbst innerhalb des Sachunterrichtsstudiums kann man durch die Wahl eines gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunktes Evolutionsinhalte umgehen, obwohl diese laut Modulhandbuch vorgesehen sind. 

Die Nichterwähnung der Evolution in den Modulhandbüchern bedeutet keinesfalls, dass die Evolution nicht doch an den Hochschulen unterrichtet wird  

All diese Zahlen sind nur Indizien für das (Nicht-)Vorhandensein der Evolutionstheorie in der Ausbildung der Grundschulpädagogen. Die Modulhandbücher sind, ähnlich wie viele Lehr- und Bildungspläne, kompetenzorientiert und nicht inhaltsgebunden formuliert. Sie lassen den Dozenten Freiheiten, welche Schwerpunkte sie setzen möchten, ohne konkrete Vorgaben zu machen. Dass die Evolution eher Eingang in die Modulhandbücher der Hochschulen im Süden Deutschlands findet, kann also daran liegen, dass dort die Studieninhalte klarer vorgegeben sind als im Norden.

Die Problematik der Sachunterrichtslehrkräfte ist, dass der Sachunterricht sämtliche gesellschaftswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Inhalte abzudecken versucht. Da in der Grundschule (neben dem immer mehr ressourcenfordenden Bildungsauftrag) Grundrechenarten und die Alphabetisierung im Mittelpunkt stehen, werden die Gesellschafts- und Naturwissenschaften verglichen zu den weiterführenden Schularten weniger vertiefend unterrichtet. 

Der Sachunterricht: Ohnehin schon eine Herausforderung für Lehrkräfte und deren Ausbilder

Da der Sachunterricht ein immenses Themenspektrum bietet, von dem einzelne Aspekte behandelt werden können, nicht müssen, stellt es Pädagogen vor eine Herausforderung. Wenn die Evolutionstheorie verpflichtend unterrichtet werden muss, könnte anderes, wie beispielsweise das Uhrzeitlesen oder die Menschenrechte, aus dem Unterricht gestrichen werden. Daher sucht man die Lösung in kompetenzorientierten Ausbildungsplänen. Es wird sich mehr darauf fokussiert, wie unterrichtet wird und weniger was. Die genauen Inhalte eines vorgegebenen Themenfeldes wählt die Lehrperson später selbst aus. Allerdings ließen sich evolutionäre Inhalte schon jetzt in bestehende Themengebiete des Sachunterrichts integrieren, ohne ganze Lehrpläne grundsätzlich neu zu formulieren. So enthält jeder Sachunterrichtslehrplan Themengebiete zur Natur oder der Zeit im Wandel. Des Weiteren enthalten Lehrpläne neben verpflichtenden Inhalten auch Vorschläge. Das Thema "Wald" taucht beispielsweise in 13 Bundesländern verpflichtend oder als Unterrichtsvorschlag auf. Es drängt sich also die Frage auf, warum nicht auch die Evolution neben anderen spezifischen Themen zumindest eine Erwähnung findet. Der Erfahrung nach werden die in Lehrplänen enthaltenden Unterrichtsbeispiele von Schulbuchverlagen aufgegriffen und so mit größerer Wahrscheinlichkeit unterrichtet.

Wenn die Evolution erst am Ende der Sekundarstufe II erstmals vermittelt wird, bietet das kaum noch Gelegenheit der Vernetzung mit anderen biologischen Disziplinen. Schon jetzt haben viele Lernende Misskonzepte zur Evolution und das späte Unterrichten fördert diese nur.

Die Evolutionstheorie muss endlich sowohl in den Grundschulen als auch in der Ausbildung der Grundschullehrkräfte ankommen

Die Befürchtung einiger Experten, dass das Thema Evolution andere wichtige Themen verdrängen könnte, ist unbegründet. Nichts ist ohne Geschichte und nichts entstand ohne eine Entwicklung. In einem Unterrichtsfach wie dem Sachunterricht, das alles von Geschichte, Erdkunde, Politik zu Chemie, Biologie und Physik abzudecken versucht, ist das Thema Evolution gerade prädestiniert dazu, fächerverbindende Bezüge aufzuzeigen. Nur wenn man angehenden Grundschullehrkräften die spannende Welt der Evolution vermittelt, können sie diese auch in die Klassenzimmer tragen.


Fußnoten:

Untersucht wurden die entsprechenden Dokumente der LehrerInnenausbildung der jeweiligen Hochschule. Je nach Hochschule wurden diese neben den Prüfungsordnungen uneinheitlich als Modulhandbücher, Studienverlaufspläne oder Studienordungen bezeichnet. Zudem wurden die Modulverantwortlichen zum Sachverhalt befragt.

 Liste der untersuchten Hochschulen: HU Berlin, Bielefeld, Bremen, Chemnitz, TU Dortmund, Dresden, Duisburg-Essen, Erfurt, Flensburg, JWG Frankfurt, PH Freiburg, JL Gießen, ML Halle Wittenberg, Hamburg, L Hannover, PH Heidelberg, Hildesheim, PH Karlsruhe, Kassel, Köln, PH Ludwigsburg, Lüneburg, TU München, WWU Münster, CvO Oldenburg, Osnabrück, Paderborn, Potsdam, Rostock, Saarbrücken, PH Schwäbisch Gmünd, Siegen, Vechta, PH Weingarten, Wuppertal

Verwendete Literatur:

Die BA/MA/Staatsexamen Sachunterricht-Modulhandbücher der jeweiligen Hochschulen 

Campos, R.; Sá-Pinto, A. (2013): Early evolution of evolutionary thinking. Teaching biological evolution in elementary schools, in: Evolution. Education and Outreach, 6:25. 

Dobzhansky, T. (1973): Nothing in biology makes sense except in the light of evolution. The American Biology Teacher, 3, 125–129.

Fiedler, D., Tröbst, S., Großschedl, J., Harms, U. (2018): EvoSketch: Simple simulations for learning random and probalistic processes in evolution, and effects of instructional support on learners' conceptual knowledge, in: Evolution. Education and Outreach.

Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (2013): Perspektivrahmen Sachunterricht. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Graf, D.; Soran, H. (2011): Einstellungen und Wissen von Lehramtsstudierenden zur Evolution: ein Vergleich zwischen Deutschland und der Türkei. In D. Graf (Hrsg.), Evolutionstheorie: Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich, Heidelberg, S. 141–161.

Großschedl, J.; Konnemann, C.; Basel, N. (2014): Pre-service biology teachers’ acceptance of evolutionary theory and their preference for its teaching. Evolution: Education and Outreach, 7(18), 1–16.

Großschedl et al. (2018): Angehende Biologielehrkräfte. Evolutionsbezogenes Wissen und Akzeptanz der Evolutionstheorie, in: ZfDN.

Hermann, R. (2018): Preservice elementary teachers' willingness to specialize in science and views on evolution, in Evolution. Education and Outreach, 11:7.

Leopoldina (2017): Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (Hrsg.): Evolutionsbiologische Bildung in Schule und Hochschule: Bedeutung und Perspektiven, Halle (Saale).

Moore, R.; Cotner, S.; Bates, A. (2009): The influence of religion and high school biology courses on students' knowledge of evolution when they enter college, in: the journal of effective teaching, 9:2, S. 4–12. 

Nadelson, L. S. (2009): Preservice teacher understanding and vision of how to teach biological evolution. Evolution: Education and Outreach, 2(3), 490–504.