Jährlich pilgern Millionen Katholiken an den Fuß der Pyrenäen und hoffen, von der Jungfrau Maria und dem Heilwasser von Krankheiten erlöst zu werden. Ein Irrglaube.
Religionen und Glaubensgemeinschaften leben von Symbolen und Ritualen. Und dem Glauben an Wunder. Ohne den Wunderglauben gäbe es keine Religionen. Brennpunkte des Wunderglaubens sind Wallfahrtsorte.
Muslime sind zum Beispiel verpflichtet, einmal im Leben die Pilgerfahrt Hadsch nach Mekka zu unternehmen. Viele glauben, ohne diese Pilgerfahrt das ewige Leben zu verspielen. Für Katholiken ist das Pendant zu Mekka der Pilgerort Lourdes. Jährlich pilgern vier bis sechs Millionen Gläubige an den Fuß der Pyrenäen.
Das Bauerndorf verdankte seinen Aufstieg zum Mekka der Katholiken einem Wunder. 1858 erschien der 14-jährigen Müllerstochter Bernadette Soubirous in einer Grotte wiederholt die in Weiß gekleidete Jungfrau Maria, die um die Taille einen hellblauen Schal trug. In der kleinen Höhle begann Wasser zu sprudeln, das laut Maria eine heilenden Wirkung haben soll.
Weiter trug Maria dem Mädchen auf, eine Kirche zu bauen. Diese eigentümliche Geschichte löste ein Erdbeben in der katholischen Kirche aus und wurde neben dem Vatikan zum wichtigsten PR-Instrument. Ein Glücksfall, der auf einem umstrittenen Wunder fußt.
Der Pilgerort als PR-Instrument
Denn die Geschichte ließe sich auch so erzählen: Ein psychotischer Teenager leidet in einem Krankheitsschub unter Halluzinationen, bei denen ihr eine weiße Gestalt erscheint, die sie als Jungfrau Maria wahrnimmt. Sie erzählt es dem Pfarrer, der hocherfreut ist über den Besuch der heiligen Dame in seinem gottverlassenen Kaff.
Er verbreitet die Kunde von der Erscheinung. Mit viel Erfolg, wie wir heute wissen. Seither pilgern Heerscharen von Katholiken an den angeblich heiligen Ort. Sie hoffen auf ein religiöses Erweckungserlebnis und legen der Mutter Gottes in der Grotte all ihre Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen zu Füßen. Religiöse wie alltägliche.
So weit, so harmlos, könnte man meinen. Doch die Geschichte mit Lourdes hat einen Haken, denn aus der Quelle fließt laut Jungfrau Maria Heilwasser. Nun beginnt der zweite Teil des Wunderglaubens. Lourdes zieht nämlich jährlich Zehntausende von Kranken und Gebrechlichen an, die kanisterweise Wasser abfüllen und auf eine Wunderheilung hoffen.
Das ist ein religiöser Missbrauch, den die Kurie im Vatikan gern in Kauf nimmt. Dass ein angebliches Heilwasser Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Krebs heilen soll, glaubt wohl kein vernünftiger Mensch. Hier wird fahrlässig mit den Ängsten und Hoffnungen von Gläubigen gespielt.
Spontanheilung für kurze Momente
In ihrer Euphorie erleben nämlich viele Kranke eine "wundersame Spontanheilung". Adrenalin und Glückshormone fluten ihre Körper, betäuben die Schmerzen und regen das Nervensystem an. Leute an Krücken werfen ihre Stöcke weg, machen ein paar Schritte und fallen jubelnd auf die Knie, um der Jungfrau Maria für die Heilung zu danken.
Doch wenn sie nach der anstrengenden Reise abgekämpft zu Hause angekommen sind, versagen die Beine ihren Dienst wieder. Und dann bricht bei ihnen eine Welt zusammen, die Hoffnung wird zerstört. Der Rückfall raubt ihnen vielleicht den Mut, sie rutschen in eine Depression ab. Und wenn es ganz schlimm kommt, glauben sie, als Gläubige versagt zu haben, zu wenig gottesfürchtig gewesen und dafür bestraft worden zu sein.
So kann der Glaube an eine wundersame Glaubensheilung zum Teufelskreis werden. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Registriert wurden bisher gegen 7.000 Fälle von angeblichen Wunderheilungen. Die Zahl der Gläubigen, die überzeugt sind, eine Spontanheilung erlebt zu haben, dürfte ein Mehrfaches betragen.
Bisher 70 Heilungen anerkannt
Die katholische Kirche hat bisher lediglich 70 Heilungen als solche anerkannt. Doch auch bei diesen Fällen ist Skepsis angebracht, dass die Jungfrau Maria oder das Quellwasser die Heilung bewirkten. Denn auch in der Medizin sind Spontanheilungen bekannt, die sich medizinisch nicht erklären lassen. Diese Fälle liegen aber im Promillebereich.
Es ist ja schon kurios, dass die katholische Kirche einen großen Aufwand betreibt, um die Meldung von Pilgern über ihre angebliche Wunderheilung zu prüfen. Vermutlich will sie sich davor schützen, den schwerkranken Gläubigen falsche Hoffnungen zu machen. Doch das ist ein Feigenblatt, wie die riesigen Pilgerströme zeigen.
Die einzig wirksame Lösung wäre, die Erscheinung der Jungfrau Maria in der Grotte von Lourdes als Aberglauben zu bezeichnen. Der Vatikan würde aber einen Teufel dafür geben, die Strahlkraft des Pilgerortes zu entheiligen. In Zeiten der Skandale braucht der Papst Lourdes mehr denn je.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.