Islamkritik polarisiert. Den einen dient sie als Tarnung für ihre fremdenfeindlichen Ressentiments; den anderen als verpöntes Feindbild, um die Religion gegen jegliche Kritik zu immunisieren. Dabei gehört Religionskritik zu den selbstverständlichen Elementen einer offenen Gesellschaft.
Wenn wir heute in Westeuropa in weiten Teilen so etwas wie ein (vergleichsweise) "liberales und aufgeklärtes Christentum" haben, dann mit Sicherheit nicht allein aufgrund von Dynamiken, die dem Christentum selbst innewohnen. Vielmehr war Kritik maßgeblich daran beteiligt; die beißende Polemik ebenso wie das nüchterne Hinterfragen; die Verurteilung von Praktiken, wie sie im Namen der Religion vollzogen wurden, ebenso wie schonungslose Kritik an den Inhalten der Bibel. Ein ähnlich kritischer Umgang mit dem Islam würde der muslimischen Kultur sicherlich nicht schaden.
Religionskritik in Europa kann auf zahlreiche große Vorbilder zurückblicken; von Demokrit und Epikur über Voltaire und Hume bis hin zu Russell und Hans Albert. Aber auch die muslimische Geschichte kennt eine (leider weitgehend verdrängte) Tradition der Religions- und Islamkritik; von Ibn ar-Rawandi und Abu Bakr al-Razi, über Omar Khayyam bis hin zu Ali Dashti und Turan Dursun. Rationale Religionskritik ist ein Ausdruck des Bekenntnisses zur überzeugenden Kraft des besseren Arguments. In der Sache streitbar und konsequent, aber tolerant und respektvoll gegenüber dem Menschen, steht diese Art der Kritik für Aufklärung und Freiheit. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diese zivilisatorische Errungenschaft zwischen rechtem Fremdenhass, falsch verstandener Rücksichtnahme und religiöser Apologetik untergeht.
Wie aber kann eine vernunftgeleitete, humanistische Islamkritik aussehen? Wie lässt sich liberale Islamkritik von Muslimfeindlichkeit abgrenzen? Mit welchen Gegenkräften und mit welchen sachlichen Herausforderungen ist eine solche Islamkritik konfrontiert? Welche Art von Beziehung besteht zwischen liberaler Islamkritik und muslimischen Bemühungen, das Islamverständnis zu reformieren? Darf man überhaupt über "den" Islam sprechen, wo es doch so viele unterschiedliche Ausformungen gibt? Ist es legitim, eine Beziehung zwischen Islam und Islamismus herzustellen?
Auf diese grundlegenden Fragen versuche ich Antworten zu finden in einem neuen Essay, erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung:
Ufuk Özbe: Wo, wenn nicht in Europa? Für eine kritische Debattenkultur zum Islam, in: Ronald Grätz (Hrsg.): Kann Kultur Europa retten?, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 10105, Bonn 2017, S. 141-152, ISBN 978-3-7425-0105-9
16 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Jede Religion verdient hinterfragt zu werden, denn keine einzige Religion hat recht.
David Z am Permanenter Link
"Jede Religion verdient hinterfragt zu werden, denn keine einzige Religion hat recht."
Das stimmt. Aber Quantität und Qualität der schlechten Ideen sind bei Religionen genau so unterschiedlich ausgeprägt wie sie es bei politischen Ideologien sind.
Und deshalb ist es durchaus angebracht, bestimmte Religionen verstärkt zu kritisieren, so wie wir auch bestimmte politische Ideologien fokussiert kritisieren.
Klaus am Permanenter Link
Für mich sind die 3 abrahamischen Religionen sowas von inhuman, weil jede ausschließlich für sich allein das ewige Seelenheil beansprucht und dabei noch Un- oder Andersgläubige auszugrenzen, ja zu vernichten befiehlt
David Z am Permanenter Link
"Die asiatischen Religionen sind da etwa humaner???"
Ja.
"Stimmt es, dass die ortodoxen Christen nie Hexen verbrannt haben?"
Spielt das eine Rolle? Warum sprechen Sie von der Vergangenheit, wenn ich von der Gegenwart spreche? Fakt ist, dass in der religiösen Wahrnehmung der christl. Religionsstifter weder Menschen getötet noch dazu aufgerufen hat, der muslimische hingegen schon. Ein nicht ganz unerheblicher Unterschied wūrde ich meinen.
Klaus am Permanenter Link
100%ig richtig
Hans Trutnau am Permanenter Link
Freue mich auf den Anhang, Ufuk, weil der vermutl. ähnlich differenziert und gründlich ist. Danke!
Kay Krause am Permanenter Link
Ich glaube, die Gefahr liegt nicht in der Islam-Kritik, sondern in der EINSEITIGEN Islam-Kritik, und das meist auch noch aus christlicher Sicht.
David Z am Permanenter Link
Warum sollte man nicht einseitig kritisieren? Wir kritisieren bestimmte Ideologien doch auch stärker als andere. Oder glauben Sie etwa, dass alle Ideologien gleichermassen kritikwūrdig sind?
Jens am Permanenter Link
Ja. Denn mit einer Ideologie gehen auch immer Dogmen einher, die man hinterfragen muss. Bei Religionen wirken die Dogmen stärker, da man sie, weil gottgegeben, nicht hinterfragen darf.
Ilse Ermen am Permanenter Link
Danke, Herr Özbe, für diesen wunderbar formulierten, ausgewogenen Essay "Wo, wenn nciht in Europa", den ich umgehend weiterempfehlen werde.
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Keine Hasspredigten gegen den Islam - klar. Aber schonungslose Kritik an der allzu religionsfreundlichen BRD, dem zu religionsfreundlichen BVerfG, dem allzu religionsfreundlichen mainstream.
David Z am Permanenter Link
Ich verstehe Ihre Position nicht. Kritik am Islam indem wir den Weihnachtsmarkt kritisieren?
Wolfgang am Permanenter Link
"Süßer die Kassen nie klingeln,
als zu Weihenachtszeit?"
Wer wird denn unser gutes Geschäft versauen ? Mit Lug und Betrug erreicht man die besten Geschäftsabschlüsse und gehört einmal schonungslose Kritik dazu. Das Problem aber ist bekannt: Gläubige wissen nicht und wollen auch nicht wissen, was sie da eigentlich glauben. Wenn vom Christentum von der Würde des Glaubens geschwafelt wird, dann gehe ich K....!
Thomas Göring am Permanenter Link
"Keine Hasspredigten gegen den Islam." - Wie bitte? Wie wäre es stattdessen mit "Keine Schere im Kopf!"?
Wenn im Namen einer Religion oder Ideologie Menschen wie auch immer drangsaliert oder sogar liquidiert werden, dann ist so etwas ohne Wenn & Aber immer wieder schonungslos anzuprangern. Und wenn eine Religion/Ideologie Derlei auffallend mehr aufweist als die andere(n), dann ist sie eben auch dementsprechend schärfer anzugreifen, ohne aber dabei das Tun der anderen ganz zu vergessen (bzw. so zu tun, als gäbe es das gar nicht).
Es gibt m.M.n. keinen menschlich vertretbaren Grund, von solchen Schandtaten etwa dadurch abzulenken, dass man sich selber und Anderen ständig eilfertig einsuggeriert, eine klipp & klar formulierte Kritik dieser betreffenden Religion/Ideologie & Praxis samt derer evtl sonstiger tätlicher Auswüchse sei "nur blindwütiger Hass" ("Islamhass", "Kirchenhass", "Kommunistenhass", "Feindpropaganda", etc.) oder gar eine (psychiatrisch relevante) "Phobie".
Wer hier regelmäßig den Blick zu trüben bzw. ritualhaft das Thema zu wechseln oder sogar die Geschehnisse herunterzuspielen bzw. zu beschweigen versucht, dient – unwissentlich oder sogar bewusst – letztlich nur der Sache solcher religiöser bzw. ideologischer Bestrebungen. Und Letztere freuen sich über ihnen dienende "nützliche Idioten".
David Z am Permanenter Link
"Wo wenn nicht in Europa"
Das sehe ich anders. Der dominierende und lauteste Islam in Europa ist der konservative Islam. Und wie wir aus Studien wissen mit Tendenz steigend, grade auch in den Folgegenerationen. Da täuschen auch all die löblichen Vorstösschen Einzelner wie Atres, Tibi, Korchide etc nicht drūber hinweg.
Und selbst wenn, was in Europa in Sachen Modernisierung des Islam passiert, wird in der Islamischen Welt bestenfalls belächelt, meist jedoch als korrupt, unauthentisch, ja als "islamophob" wahrgenommen.
Das soll nicht heissen, dass Islamkritik in Europa unnötig wäre. Sie ist nötig. Fūr unser eigenes lokales Zusammenleben. Aber es ist mMn naiv zu glauben, wir wūrden damit eine weltweite "Gedankenrevolution" auslösen können.
Deshalb bin ich genau der entgegengesetzten Meinung. Die Modernisierung muss aus den islamischen Zentren kommen: Saudi Arabien, Ägypten, Pakistan etc.
Dass das eine enorm schwierige und schmerzhafte Aufgabe ist und voraussichtlich noch sehr lange dauern wird, ist klar. Ein Grund mehr, sich ūber die politischen Implikationen klar zu werden, die ein unaufgeklärter, anti-moderner Islam nach Europa bringt.
Ilse Ermen am Permanenter Link
Eine Empfehlung für fundierte Islamkritik, ausnahmsweise mal von Links, ist die "Aktion 3.Welt Saar", (aw3saar punkt de) die auch das "Kompetenzzentrum Islamismus" leitet.