Eine Zusammenfassung der aktuellen Situation

Grundrechte für Menschenaffen

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Eine sensationelle Meldung ging kurz vor Jahresende 2016 über die Ticker der internationalen Medien: In einer bahnbrechenden Entscheidung erklärte die argentinische Richterin María Alejandra Mauricio, eine im Zoo der Provinzhauptstadt Mendoza lebende Schimpansin namens CECILIA sei keine Sache, die der Zoo besitzen könne, sondern Rechtssubjekt, sprich: eine nicht-menschliche Person, die ebendeshalb umgehend aus der Gefangenhaltung zu entlassen sei.

Hintergrund der höchstrichterlichen Entscheidung ist eine sogenannte Habeas-Corpus-Klage, die vor zwei Jahren durch die argentinische Tierrechtsorganisation Association of Officials and Lawyers for Animal Rights (AFADA) eingereicht wurde, die, in Zusammenwirken mit dem Internationalen Great Ape Project, argumentierte, die Umstände der Haltung Cecilias im Zoo - die etwa 35jährige Schimpansin lebt seit dem Tod ihrer beiden Artgenossen Charlie und Xuxa alleine - seien nicht nur gesetzwidrig, sondern auch Ursache ihres sich rapide verschlechternden Gesundheitszustandes.

AFADA hatte bereits ein Jahr zuvor Grundrechte für die im Zoo von Buenos Aires einsitzende Orang Utan-Dame SANDRA erstritten. Ein anderes Gericht hatte - erstmalig in der Geschichte der Menschheit –  ein nicht-menschliches Tier als Rechtssubjekt anerkannt. In beiden Fällen war in Südamerika Rechtsgeschichte geschrieben worden. Es war eingetreten, worauf TierrechtlerInnen weltweit seit Jahrzehnten hingearbeitet hatten, nämlich: die Anerkennung von Nicht-Menschen als Rechtspersonen.

Im Mittelpunkt des Geschehens stand zunächst SANDRA, ein 1986 im Zoo von Rostock geborener weiblicher Orang Utan, der, im September 1994 an den Zoo von Buenos Aires veräußert, seit Jahren ein einsames Dasein in einer für Orang Utans völlig ungeeigneten Umgebung zuzubringen genötigt war. Eingesperrt hinter Eisengitter und Panzerglas war SANDRA der einzige Orang Utan, den der Zoo Buenos Aires vorhielt. Der Orang Utan-Mann, mit dem sie die erste Zeit zusammenlebte, war lange schon verstorben, ein Kind, das sie von ihm zur Welt gebracht hatte, war ihr weggenommen und an einen anderen Zoo abgegeben worden. Sie hatte seither niemanden ihresgleichen mehr gesehen.

Historische Entscheidung

2014 hatte AFADA sich des Falles angenommen. Nach mehreren vergeblichen Anläufenbeantragte AFADA im November des Jahres eine richterliche Verfügung, analog zur gesetzlich vorgeschriebenen Haftprüfung bei Menschen eine Prüfung der Haftbedingungen SANDRAS anzuordnen. Die zugrundegelegte Rechtsnorm des sogenannten "Writ of Habeas Corpus" stellt die Mindestrechte eines Gefangenen sicher, wie etwa das Recht, von einem ordentlichen Gericht angehört zu werden; sieht das Gericht keinen hinreichenden Grund für die Fortdauer einer Gefangenhaltung, kann und muß es die sofortige Freilassung des Gefangenen verfügen. Während das angerufene Appellationsgericht den Entscheid zu solcher Haftprüfung an das nachrangige Gericht zurückverwies, das den Antrag in einem ersten Rechtszug abgewiesen hatte, findet sich in der Begründung hierfür der revolutionäre Satz: "Ausgehend von einer dynamischen, nicht statischen Justiz ist es angemessen, dem Tier (=SANDRA) die Eigenschaft eines juristischen Subjekts zuzugestehen". (zit.in: NhRP, 2015) In weniger verklausulierter Formulierung: Orang Utan SANDRA ist, wie jeder Mensch, Rechtssubjekt.

SANDRA, Foto: © Archiv GAP
SANDRA, Foto: © Archiv GAP

Pablo Buompadre, Vorsitzender von AFADA, kommentierte die Verfügung des Appellationsgerichts so: "Dies ist eine historische Entscheidung. Ein Schlag gegen die Säulen einer Rechtsordnung, deren zivilrechtliche Normen Tiere als Sachen bezeichnen. Sie öffnet neue Wege nicht nur für die Menschenaffen, sondern für alle fühlenden Wesen, die sich ungerechter- und willkürlicherweise der Freiheit beraubt in Zoos, Zirkussen, Aquaparks oder Versuchslabors befinden." (zit.in: El Litoral, 2014, 19) Für SANDRA selbst bedeute der Entscheid, dass nachrangige Gerichte keine andere Möglichkeit mehr haben dürften, als ihre Freilassung, sprich: ihren Transfer in ein entsprechendes Refugium anzuordnen. In der Tat wurde kurz darauf dem Habeas Corpus-Antrag der AFADA entsprochen: am 28.1.2015 wurde verfügt, dass SANDRA in ein anerkanntes Refugium überstellt werden müsse. Die Entscheidung fiel für das Center for Great Apes Sanctuary in Wauchula, Florida, USA, in dem bereits mehrere Orang Utans aus der Entertainmentindustrie leben.

Da indes die sehr restriktiven Einfuhr- und Quarantäneregularien der US-Behörden SANDRAS Umzug auf unabsehbare Zeit verzögerten, erklärte sich im Oktober 2015 das Great Primates Sanctuary, ein Refugium des Internationalen Great Ape Project im brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo bereit, SANDRA aufzunehmen.

Inzwischen allerdings hat der Geschichtsverlauf sich selbst überholt: Am 27. Juni 2016 kündigte die Stadtverwaltung von Buenos Aires an, den kommunalen Zoo, in dem SANDRA seit 22 Jahren einsitzt, binnen eines Jahres aufzulösen. Die Gefangenhaltung und Zurschaustellung von Tieren in Zoos, so Bürgermeister Horacio Rodríguez Larreta, sei entwürdigend und längst nicht mehr zeitgemäß; der Zoo von Buenos Aires müsse ungeachtet des Umstandes, dass er eine der touristischen Hauptattraktionen der Stadt darstelle, schnellstmöglich geschlossen werden. Die derzeit vorgehaltenen rund 2.500 Tiere sollen, sofern möglich, ausgewildert bzw. in eigens eingerichtete Reservate umgesiedelt werden. Die rund fünfzig nicht auswilder- oder umsetzbaren Tiere, darunter SANDRA, sollen unter verbesserten Bedingungen auf dem Zoogelände verbleiben dürfen, würden aber nicht mehr zur Schau gestellt. Das knapp 18 Hektar umfassende Areal des Zoos soll in einen Ökopark umgewandelt werden (The Guardian, 2016).

CECILIA

CECILIA, Foto: © Archiv GAP
CECILIA, Foto: © Archiv GAP

Das am 3. November 2016 veröffentlichte Urteil zu der im Zoo von Mendoza einsitzenden Schimpansin CECILIA reicht noch weit über die Entscheidung in Sachen SANDRA hinaus: Richterin Mauricio betonte, auch nicht-menschliche Tiere besäßen abgestufte Rechte: "Wir sprechen dabei nicht über Bürgerrechte, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegt sind, sondern über die der jeweiligen Spezies zukommenden Rechte auf Selbstentfaltung und auf Leben in ihrem natürlichen Lebensumfeld." Sie verfügte die sofortige Freilassung der Schimpansin, die, in Absprache mit den zuständigen Umweltministerien, umgehend in das bereits erwähnte Great Primates Sanctuary im brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo umziehen soll.

Die Umzugskosten in das drei Flugstunden von Mendoza entfernte Refugium in Brasilien trägt die spanische Sektion des Great Ape Project. Deren Direktor Pedro Terrados Pozas, der mit großem persönlichem Engagement an der Freilassung Cecilias mitgewirkt hatte, gab der Hoffnung Ausdruck, die historische Entscheidung der Richterin Mauricios möge ein erster Schritt sein hin zu einem ganz allgemein anständigeren Umgang mit nicht-menschlichen Lebewesen. Interessanterweise umfasste das Urteil auch eine Aufforderung an die Behörden der Provinzhauptstadt Mendoza, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, die Lebensbedingungen all jener Tiere nachhaltig zu verbessern, die nach dem Wegzug Cecilias im örtlichen Zoo verbleiben müssten. Im Schlusswort ihres Urteils zitierte Richterin Mauricio den deutschen Philosophen Immanuel Kant: "Wir können das Herz eines Menschen danach beurteilen, wie er Tiere behandelt."

Great Ape Project

Die Forderung, den Großen Menschenaffen – Orang Utans, Gorillas, Schimpansen und Bonobos – bestimmte Grundrechte zu verschaffen, die bislang ausschließlich für den Menschen gelten, geht zurück auf eine Initiative der italienischen Philosophin Paola Cavalieri und des australische Bioethikers Peter Singer. In dem von ihnen zusammen mit einer Reihe weiterer Wissenschaftler aus aller Welt, darunter Richard Dawkins oder Jane Goodall, im Jahre 1993 begründeten Great Ape Project forderten sie, den Menschenaffen das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit zuzuerkennen. Die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Großen Menschenaffen sei im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar - die Erbgutunterschied etwa zwischen Schimpansen und Menschen bewegen sich je nach Meßmethode im minimalen Prozent- oder gar nur im Promillebereich - und damit moralisch zu verwerfen. "Bildlich ausgedrückt", so der Primatologe Volker Sommer, "sind Menschen, Schimpansen und Bonobos Geschwister, Gorillas sind ihre gemeinsamen Cousins, und Orang-Utans sind etwas weiter entfernte Großcousins." (Sommer 2012, 17). Letztlich gebe es kein vernünftiges Argument, den Großen Menschenaffen solche Grundrechte zu verweigern.

Die Forderung nach elementarer Gleichstellung der Großen Menschenaffen setzt einen menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsverlauf fort: Anfangs bezogen sich ethische Empfindungen fast ausschließlich auf die eigene Sippe, danach auf gesellschaftliche Teilgruppen, später auf sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft; schließlich, mit der UN-Menschenrechtserklärung, auf alle Menschen. "Weshalb", so der Philosoph Michael Schmidt-Salomon, "sollten wir hier haltmachen? Weshalb sollten wir die Interessen leidens- und freudefähiger Primaten ignorieren, bloß weil sie keine Menschen sind?" (Schmidt-Salomon 2015, 5). Der historische Moment sei gekommen, um nach Nationalismus, Rassismus, Ethnozentrismus und Sexismus auch die Schranke des Speziesismus zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt. Wie im Falle "unmündiger" Menschen, die nicht für sich selbst sprechen und ihre Rechte nicht selbst zu formulieren in der Lage sind, sollten Rechtsansprüche von Menschenaffen durch Sachwalter - anerkannte Tierschutz- bzw. Tierrechtsorganisationen etwa im Zuge des vielerorts bereits erkämpften Verbandsklagerechtes - vertreten werden können.

Bezugnehmend auf die Forderungen des Great Ape Project stellte Neuseeland 1999 per Gesetz die Großen Menschenaffen unter besonderen Rechtsschutz, gefolgt wenig später von der Inselgruppe der Balearen, die als autonome Gebietskörperschaft Spaniens einen noch weiter gefassten Rechtsschutz verfügten.

Nach diesen ersten Erfolgen aber verlor das Great Ape Project im Jahre 2008 fast schlagartig sein bis dahin aufgebautes Momentum. Der Grund dafür lag in der frustrierenden Entwicklung, die das Projekt in Spanien genommen hatte: eine parlamentarische Initiative mit dem Ziel, den besonderen Status der Großen Menschenaffen für das ganze Land legislativ anzuerkennen, war unmittelbar vor ihrem Durchbruch noch auf ganzer Linie gescheitert. Die spanische Regierung, die vom Parlament aufgefordert worden war, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, war letztlich vor der katholischen Kirche des Landes eingeknickt, die in einer beispiellosen Hetzkampagne dagegen zu Felde gezogen war. Die Rede war von einer "Rebellion gegen die Wurzeln Europas, gegen die christliche Anthropologie, gegen Vernunft und Natur" (zit.in: Remele, 2012, 172). Die spanischen Medien übernahmen flächendeckend die Position des Klerus: die mit so großen Hoffnungen für die Affen verbundene Sache war vom Tisch.

Auch im deutschsprachigen Raum zählt die katholische Kirche seit je zu den erbittertsten Gegnern des Great Ape Project: 2003 etwa erschien im kircheneigenen Bonifatius-Verlag eine flammende Theologenschrift, in der unter Verweis auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen eine Einbeziehung von Nicht-Menschen in die Gemeinschaft der Gleichen kategorisch ausgeschlossen wurde (Herberhold/Söling, 2003).

"Was sind wir dann noch?"

Erwartungsgemäß sprachen und sprechen sich auch Zoobetreiber und sonstige Profiteure der Gefangenhaltung von Wildtieren entschieden gegen die Forderungen des Great Ape Project aus. Jörg Adler etwa, bis 2015 Direktor des Zoos in Münster und Kurator eines örtlichen Instituts für Theologische Zoologie: "Grundrechte für Menschenaffen einzufordern bedeutet, Menschenaffen zu Menschen zu machen. Was sind wir dann noch?" (zit.in: Waggonik, 2013) In ausdrücklich theologischer Diktion weist auch Bernhard Blaszkiewitz, langjähriger Direktor des Berliner Zoos, auf den grundlegenden "Wertigkeitsunterschied" zwischen Mensch und Tier hin: "Der Mensch hat den Schöpfungsauftrag bekommen, die Natur und die Tiere zu bewahren, sie aber auch zu benutzen. Insofern ist das, was heute von Tierrechten geredet wird, Unsinn. Es gibt Menschenrechte, keine Tierrechte." (zit.in: Bonifatiuswerk, 2012).

Tatsächlich stünde eine rechtliche (Teil-)Gleichstellung von Menschen und Menschenaffen in unauflösbarem Widerspruch nicht nur zum zentralen Diktum der katholischen und jeder sonstigen Kirche, sondern auch zu dem der Institution Zoo, das da – hier in den Ausführungen des Münchner Tierparks Hellabrunn - lautet: "Sein Selbstverständnis zieht der Mensch aus der Abgrenzung zum Tier. Der Mensch erfährt sich als Mensch, indem er sich im Unterschied zum Tier sieht, sich von ihm abgrenzt." Nirgendwo werde diese Grenze erfahrbarer als gerade im Zoo: "Auf der einen Seite Zoobesucher, auf der anderen Seite, in Gehegen eingeschlossen, Tiere, deren Anderssein den Besuchern vor Augen geführt wird. Zoos spiegeln das Verhältnis von Mensch und Tier." (Zedelmaier /Kamp, 2012, 12).

Dass Zoos dieses Verhältnis keineswegs nur "spiegeln" sondern als Anschauungsorte einer als unverzichtbar definierten Grenzziehung zwischen Mensch und Tier auf Dauer fortschreiben – und in klassischem Zirkelschluß ebendaraus ihre Existenzberechtigung herleiten -, bleibt unerwähnt. Der ethologische wie auch evolutionsbiologische Erkenntnisgewinn der zurückliegenden dreißig und mehr Jahre scheint an Zoodirektoren ebenso spurlos vorübergegangen zu sein, wie der im gleichen Zeitraum immens vorangeschrittene tierethische Diskurs.

HIASL

Etwa zeitgleich mit der Gesetzesinitiative in Spanien unternahm der österreichische Verein gegen Tierfabriken (VgT) den Versuch, einem im Wiener Tierschutzhaus untergebrachten Schimpansen namens HIASL auf gerichtlichem Wege Personenrechte zu verschaffen. Der Schimpanse war 1982 im Alter von zehn Monaten von einem Tierhändler im westafrikanischen Sierra Leone eingefangen und nach Österreich verbracht worden. Zusammen mit einem weiteren Schimpansenbaby - ein Mädchen, das später den Namen ROSI erhielt -, war HIASL an das österreichische Pharmalabor Immuno verkauft worden, das ihn in der Hepatitis- und AIDS-Forschung einzusetzen beabsichtigte. Just am Tag vor Ankunft der Tiere in Wien am 28.4.1982 unterzeichnete die Republik Österreich allerdings das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES), so dass die Einfuhr der Schimpansen, für die die erforderlichen Papiere nicht vorgelegt werden konnten, illegal wurde. Vom Zoll beschlagnahmt, wurden HIASL und ROSI wurden auf Vermittlung des Wiener Tierschutzvereins an eine private Pflegestelle in Wien verbracht, wo sie in Gesellschaft menschlicher Kleinkinder aufwuchsen.

HIASL, Foto: © Archiv GAP
HIASL, Foto: © Archiv GAP

Es folgten jahrelange Rechtsstreitigkeiten um die Eigentumsverhältnisse an HIASL und ROSI. Immuno klagte auf Herausgabe und bekam letztlich recht: die beiden Schimpansen, inzwischen sechs Jahre alt, sollten dem Labor zurückgegeben werden. Laut Österreichischem Allgemeinen Gesetzbuch, so die Begründung des Gerichts, gälten sie als "Sachen", die insofern keine eigenen Interessen haben könnten. Einen Widerspruch des Wiener Tierschutzvereins lehnte das Gericht im September 1989 zwar ab, es wurde aber nichts unternommen, die Tiere zu beschlagnahmen und an Immuno auszuhändigen: sie verblieben auf ihrer privaten Pflegestelle.

Mit Übernahme der Firma Immuno durch den US-Pharmakonzern Baxter im Jahre 1999 wurden die Schimpansenexperimente eingestellt. Die Eigentumsrechte an HIASL und ROSI wurden offiziell dem Wiener Tierschutzverein übertragen, der die Tiere in einem eigens für sie eingerichteten 400qm-Gehege im Wiener Tierschutzhaus unterbrachte.

2007 aber geriet auch der Tierschutzverein in finanzielle Schieflage. HIASL und ROSI liefen Gefahr, in einem drohenden Konkursverfahren als Vereinsvermögen gewertet und meistbietend verkauft oder versteigert zu werden. Mit Hilfe eines Rechtswissenschaftlers der Universität Wien wurde beim zuständigen Bezirksgericht beantragt, für HIASL eine formale Sachwalterschaft zu bestellen. Schimpansen, so die Argumentation, müssten aufgrund ihrer engen Verwandtschaft mit dem Homo sapiens und ihrer hohen kognitiven Fähigkeiten bereits nach geltendem Recht als Personen eingestuft werden bzw. zumindest im Analogieschluss grundlegende Rechte zugesprochen bekommen. Dem Schimpansen HIASL - im Verfahren mit Vor- und Zuname als MATTHIAS PAN bezeichnet – müsse das Recht auf Leben, auf Freiheit und Unversehrtheit zugestanden werden.

Offenbar heillos überfordert zog sich das Bezirksgericht auf die Behauptung zurück, es könne den Antrag nicht behandeln, da erst Geburtsurkunde, Staatsbürgerschaftsnachweis und Meldezettel des MATTHIAS PAN vorzulegen seien. Die Frage, ob er eine Person sei oder nicht, sei unbestritten von akademischem Interesse, müsse insofern aber nicht beantwortet werden. Im Ergebnis eines aufwändigen Berufungsverfahrens beschied das übergeordnete Landesgericht, dass eine Berufung im vorliegenden Fall gar nicht möglich sei, wogegen ein sogenannter Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof (OGH), das Höchstgericht für Zivil- und Strafsachen in Österreich, eingelegt wurde. Mit Hilfe verfahrenstechnischer Winkelzüge um Parteistellung und Rechtsmittellegitimation wurde letztlich auch vom OGH ein Berufungsrecht abgelehnt. Auch eine daraufhin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erhobene Klage führte nicht zum gewünschten Erfolg: die Straßburger Richter lehnten es im April 2010 letztinstanzlich ab, sich inhaltlich mit dem Fall zu befassen: HIASL, so ihre formale Begründung, könne sich nicht ausweisen und äußern, letztlich seien auch die Antragsteller nicht legitimiert, für einen Schimpansen, der vor dem Gesetz als Sache gelte, Rechte zu erstreiten.

HERCULES und LEO

Eine dem HIASL-Vorstoß vergleichbare Rechtsinitiative wurde Ende 2013 in den USA auf den Weg gebracht: die Tierrechtsorganisation Nonhuman Rights Project (NhRP) erhob vor dem State Supreme Court im US-Bundesstaat New York Klage auf Anerkennung zweier in einem Versuchslabor der State University at Stony Brook gehaltenen Schimpansen als Rechtspersonen.

Gründer und Hauptaktivist des NhRP ist der Bostoner Rechtsprofessor Steven M. Wise, der, zusammen mit einer Gruppe an Anwälten, seit mehr als dreissig Jahren gegen die untragbaren Zustände in der US-Massentierhaltung kämpft. Wise und seine Mitstreiter bezogen sich in ihrer Klage auf das oben erwähnte "Writ of Habeas Corpus", ein auch im US-amerikanischen Rechtssystem verankertes Instrument zur Freisetzung einer Person aus ungerechtfertigter Haft. Das Writ (=Gerichtsverfügung) geht zurück auf einen Fall aus dem Jahre 1772: ein in England entflohener schwarzer Sklave namens James Somerset war wieder eingefangen worden und sollte auf einem Schiff nach Jamaika deportiert werden. Britische Sklavereigegner verfassten eine Petition an den Obersten Gerichtshof in London, die Deportation auszusetzen; sie argumentierten, es habe gemäß der seit 1679 rechtsgültigen Habeas-Corpus-Akte jede inhaftierte Person das Recht auf unverzügliche Haftprüfung vor einem ordentlichen Gericht. Der Oberste Gerichtshof folgte der Petition, womit er stillschweigend den Personenstatus Somersets anerkannte, den dieser als Sklave bis dahin nicht hatte. Somerset kam letztlich frei, sein Fall trug wesentlich zur Beendigung der Sklaverei im angelsächsischen Raum bei.

Das NhRP nimmt ausdrücklich bezug auf die Abschaffung der Sklaverei in den USA im Jahre 1865:  "Es ist nicht lange her", so Wise, "dass die Meinung vorherrschte, menschliche Sklaven seien keine Rechtspersonen, sie seien einfach Besitz ihrer Eigentümer." Es sei an der Zeit, nunmehr den nächsten Schritt zu tun und anzuerkennen, dass auch die Großen Menschenaffen nicht länger als Eigentum menschlicher Besitzer gelten und von ihnen ausgebeutet werden dürften. Die Tiere seien "keine Sachen, die jemandem gehören können, sondern kognitive, komplexe und autonome Rechtspersönlichkeiten." (zit.in: NYT, 2013) Die Schimpansen HERCULES und LEO, an denen die auf mehrere eigenständige Verfahren verteilte Klage festgemacht war, hätten im Erfolgsfalle beschlagnahmt und in ein Reservat für Menschenaffen verbracht werden können.

Während die NhRP-Anläufe regelmäßig von den angerufenen Gerichten abgeblockt wurden, erzielte ein im März 2015 erneut gestarteter Versuch einen wegbereitenden Erfolg: Mit höchstrichterlicher Anordnung (Order to Show Cause) wurde Stony Brook verpflichtet, rechtlich ausreichende Gründe vorzulegen, die eine weitere Gefangenhaltung der Schimpansen und damit eine fortdauernde Einschränkung ihrer körperlichen Autonomie rechtfertigen. Im Zuge der gerichtlichen Anhörung teilte Stony Brook mit, die beiden 9jährigen Schimpansen nicht weiter für biomedizinische oder sonstige Experimente verwenden zu wollen: Eine laufende Versuchsreihe sei ohnehin gerade beendet worden. Eine Überstellung der Tiere in das Primatenschutzzentrum Save the Chimps in Fort Pierce, Florida, wurde jedoch gezielt unterlaufen: HERCULES und LEO wurden in das New Iberia Research Center im Bundesstaat Lousiana verbracht, in dessen formalem Besitz sie stehen - Stony Brook hatte sie angeblich nur "ausgeliehen" -, so dass sie der New Yorker Gerichtsbarkeit entzogen waren.

Auch wenn die Bemühungen um HERCULES und LEO - desgleichen um zwei weitere privat gehaltene Schimpansen namens TOMMY und KIKO - zu keinem greifbaren Erfolg führten, kam den NhRP-Aktivitäten doch enorme Signalwirkung zu. Niemals zuvor in der Geschichte der USA wurde die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu seinen engsten Verwandten derart breit diskutiert. Selbst das Verwaltungsrecht wurde überarbeitet: Am 14. September 2015 traten neue und unerwartet restriktive Regularien des zuständigen U.S. Fish and Wildlife Service in Kraft, die invasive biomedizinische Forschung an Großen Menschenaffen hinfort praktisch verunmöglichen.

Grundgesetzinitiative

Einen etwas anderen Weg als das NhRP beschreitet das im Jahre 2011 von der in Oberwesel am Rhein ansässigen Giordano Bruno-Stiftung (GBS) wiederbelebte Great Ape Project. Die GBS, ein Zusammenschluß von Philosophen, Wissenschaftlern und Künstlern im Leitbild von evolutionärem Humanismus und Aufklärung, brachte 2012 eine Grundgesetzinitiative auf den Weg, die auf folgenden Überlegungen beruhte: Nach Artikel 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland genießen Menschen das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Ein Tier kann bisher nicht Träger dieser Grundrechte sein. Nach Artikel 20a des Grundgesetzes schützt der Staat allerdings im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere. Der Tierschutz ist damit als Rechtsprinzip in der Verfassung verankert.

Die staatliche Schutzpflicht bezieht sich dabei vor allem auf höher entwickelte Tiere, deren Leidens- und Empfindungsfähigkeiten einen verantwortungsvollen Umgang mit ihnen erfordern. Insofern gilt für den Tierschutz als Staatsziel ein abgestuftes Schutzniveau, das sich an der jeweiligen Bewusstseinsfähigkeit orientiert. Die wissenschaftliche Forschung hat in den letzten Jahrzehnten hohe genetische Übereinstimmungen von Großen Menschenaffen und Menschen belegt. Für alle Großen Menschenaffen gilt, dass sie ähnlich empfindungs- und leidensfähig sind wie der Mensch. Sie besitzen Selbstbewusstsein, sind zu vorausschauendem Denken und intelligentem sowie altruistischem Handeln befähigt. Folglich müssen sie einen Rechtsstatus erhalten, der der "Menschenwürde" nahe kommt und durch Gesetze mit Verfassungsrang geschützt werden. Die GBS-Initiative forderte deshalb eine Grundgesetzänderung, die dem Entwicklungs- und Personenstatus der Menschenaffen gerecht wird. Das Grundgesetz solle in Artikel 20a durch einen zweiten Absatz mit folgendem Wortlaut ergänzt werden: "Das Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird geschützt." In Zusammenhang mit dieser Grundgesetzänderung müsse auch das Tierschutzgesetz überarbeitet werden. So solle § 8 des Tierschutzgesetzes eine klarstellende Regelung enthalten: "Tierversuche an Menschenaffen sind verboten." Am 23.4.2014 reichte die GBS einen entsprechenden Antrag beim Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages ein, der Anfang Juli 2015 - erwartungsgemäß - abgelehnt wurde. Dessen ungeachtet vermochte die GBS-Initiative die gesellschaftliche Debatte über Tierethik stark voranzutreiben. (Eine Neuauflage der GBS-Grundgesetzinitiative ist für 2017 geplant.)

Sentience Politics

Im Juni 2016 reichte die schweizerische Antispeziesismusorganisation Sentience Politics, ein Projekt der Stiftung für Effektiven Altruismus eine kantonale Volksinitiative in Basel-Stadt ein mit dem Ziel, Primaten ein verfassungsmäßiges Recht auf Leben und Unversehrtheit zuerkennen zu lassen. Alleine im Kanton Basel werden jährlich rund 300 nicht-menschliche Primaten primär zu Forschungszwecken eingesetzt (Sennhauser, 2016). Mit entsprechender Erweiterung von §11 der Verfassung des Kantons Basel-Stadt würden Primaten als Grundrechtsträger beim Recht auf Leben und Freiheit den Menschen gleichgestellt. Ihr Leben und ihre Gesundheit wären geschützt, unabhängig von einem möglichen Nutzen. Zudem könnten diese Rechte vor einem Gericht eingeklagt werden.

Die Volksinitiative von Sentience Politics basiert auf den gleichen Überlegungen wie das Great Ape Project, unterscheidet sich allerdings in zwei Punkten von diesem: Zum einen geht der Initiative um sämtliche nicht-menschlichen Primaten, wovon die Großen Menschenaffen lediglich eine Untergruppe darstellen. Zum anderen fehlt in der Volksinitiative – aus rein pragmatischen Gründen - die Forderung nach einem Recht auf Freiheit: Mit dem Recht auf Leben und Integrität wird das gefordert, was am wenigsten umstritten und daher am leichtesten durchzusetzen ist.

Zuerkannte Rechte, so Sentience Politics, sind nicht notwendigerweise an Pflichten gebunden: Kleinkinder oder Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, gleichwohl nicht in der Lage, Pflichten wahrzunehmen, verfügen sehr zurecht über unveräußerbare Grundrechte. Wie bei diesen Menschen könnten Grundrechte von Primaten durch eine speziell beauftragte Person bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) oder einer anderen Vormundschaftsbehörde wahrgenommen werden.

"Tiere sind keine Sachen", heisst es seit 2003 im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB). Dennoch, so der Zusatz im Gesetzestext, gelten für Tiere die auf Sachen anwendbaren Vorschriften. Sie können deshalb gezüchtet, gehandelt, transportiert, deformiert und getötet werden, sofern es das Tierschutzgesetz erlaubt. In der Buchhaltung spricht man insofern von "lebendem Inventar". Entscheidend ist also weniger, ob Tiere Sachen sind, sondern ob sie vor dem Gesetz Personen sind.

Die schweizerische Volksinitiative versteht sich als wesentlicher Schritt auf dem Weg der Antidiskriminierung: Erstmals könne die Bevölkerung eines Kantons über die Ausweitung von Grundrechten auf eine nicht-menschliche Spezies abstimmen. Jedenfalls ermögliche sie eine kritische Reflexion zu den kulturell bedingten Schranken, mit denen empfindungsfähige Lebewesen von fundamentalen Rechten ausgeschlossen werden. (SP, 2016) (Die Volksinitiative ist noch nicht abgeschlossen, Stand 4.1.2017)

Türöffner

Zur viel und kontrovers diskutierten Frage, was den Einsatz gerade für Menschenaffen (bzw. nicht-menschliche Primaten in weiterem Sinne) rechtfertigt, durch deren allfälligen Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Menschenaffen auf der einen von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus letztere  keinerlei Nutzen bezögen ist in aller Pragmatik zu sagen: irgendwo muß man anfangen. Zudem -  und das ist das Entscheidende - stellen Menschenaffen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben "auf der anderen Seite", sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze durchlässig, könnte das ein "Türöffner" sein, der letztlich allen Tieren zugute käme: Ist erst einmal Bewusstsein dafür geschaffen, dass den Menschenaffen bestimmte Grundrechte zustehen, können auch die Interessen anderer Tiere nicht mehr übergangen werden. Es wäre dies ein revolutionärer erster Schritt hin zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das Verhältnis des Menschen zu nicht-menschlichen Tieren. (Stucki, 2016)


Literatur/Quellen: