Neulich auf dem Spielplatz spricht mich eine Freundin etwas spitz an: "Ich weiß gar nicht, was du gegen Homöopathie hast. Sie schadet doch niemandem. Wir in unserer Familie schwören seit Jahren darauf, und sie hat immerhin keine schädlichen Nebenwirkungen." Das sagen viele, und in einem Punkt haben sie sogar Recht: Es sind ja keine wirklichen Inhaltsstoffe in den homöopathischen Zuckerkügelchen – sie können also tatsächlich nicht direkt schaden. Zumindest nicht, wenn nicht wie in den USA zufällig doch noch giftiges Belladonna aus der Tollkirsche enthalten ist und kleine Babys schwere gesundheitliche Probleme bekommen oder sogar daran sterben. In der Regel enthalten Globuli allerdings zum Glück tatsächlich nichts außer Zucker.
Homöopathen macht dies nichts aus. Sie glauben, dass es gar nicht auf den Wirkstoff, sondern auf eine Energie oder Information ankommt, die irgendwie auf die Information oder Energie unseres Körpers wirken soll. Wir wissen aber, dass sich Samuel Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie, darin getäuscht hat: Er wusste es einfach nicht besser. Heute ist dagegen sicher bekannt, dass in den Kügelchen wirklich nichts – also auch ganz bestimmt keine Information oder Energie – enthalten ist. Allenfalls der Glaube, es sei doch ein Wirkstoff enthalten, sorgt womöglich für einen Effekt.

Und hier beginnt dann das Problem. In einer Gruppe in sozialen Medien las ich kürzlich mit, wie Homöopathie befürwortende Eltern sich gegenseitig darin bestärkten, eine nach einem Zeckenbiss auftretende Borreliose rein homöopathisch zu behandeln. Das Kind wies auf dem veröffentlichten Foto eine sichtbare, für Borreliose typische Ringrötung auf, die nun über das Bein wanderte. Vor der Behandlung mit "Schulmedizin" und ihren "bestialischen Methoden" wie "Chemiebomben" genannten Antibiotika wurde gewarnt. Man müsse nur Vertrauen in die Heilkraft der Homöopathie haben, das richtige Mittel finden und aushalten, dass wahre Heilung ihre Zeit brauche. Überhaupt sei es ja nur so eine "moderne Angst", dass ein Kind auch mal länger flachliege.
Als Ärztin läuft es mir kalt den Rücken herunter, weil die Homöopathie nun eben doch schadet. Sie untergräbt oder zerstört offenbar unser Verständnis von Krankheit und Gesundheit, unser Wissen um Krankheitsursachen und ihre Bewältigung, unser Unterscheidungsvermögen zwischen Realität und Wunschvorstellungen und schadet letztlich – wie in diesem ganz konkreten Fall – unseren Kindern. Denn eine Borreliose ist nicht nur eine wandernde Hautrötung, sie kann unbehandelt dazu führen, dass Gelenke und Nerven schwer geschädigt werden. Sie führt mitunter zu Gehirnentzündungen und zu Lähmungen; sogar das Herz kann schwer und irreparabel krank werden. Das Vertrauen in die Homöopathie und die Angstmache vor Antibiotika (die hier wirklich helfen würden) bringt also tatsächlich Kinder und Erwachsene in ernste Gefahr – obwohl und gerade weil in den Kügelchen nichts drin ist.
Die Ironie der Geschichte: Viele Homöopathen führen gerne total unspezifische Krankheitszeichen oder körperliche Bagatellen auf eine "geheime Borreliose" zurück – während gar keine vorliegt. Diese wird dann "homöopathisch therapiert". Irgendwann verschwinden die Bagatellbeschwerden, und man glaubt erneut, die Homöopathie habe ein wahres Wunder vollbracht. Dabei war einfach nur die Diagnose erfunden.
Dieser Punkt ärgert mich als Ärztin besonders: dass die Homöopathie gar nichts falsch machen kann. Wird etwas besser, dann hat sie geheilt, bleibt alles gleich, war es noch nicht das richtige Mittel. Wird es schlechter, gilt dies als eine vitale Erstreaktion. Derweil verpasst man entweder den Zeitpunkt für eine wirklich hilfreiche Therapie, oder der Patient hat sowieso nur eine Fehldiagnose "wegbehandelt". Bisweilen geht die Argumentation sogar so weit, dass eine erfundene Krankheit "besiegt" wurde – was als "Disease Mongering" bezeichnet wird.
Diese Entwicklung ist schlimm, weil so das falsche Vertrauen in die Homöopathie immer weiter zunimmt, bis es vielleicht doch einmal zu spät ist. Ganz im Ernst: Wollen wir das wirklich so weiterpraktizieren und genau diese Schäden wegleugnen, einfach weil es bei uns (Stichprobe = 1) und unserer Familie (Stichprobe = 2–5) zum Glück gut gegangen ist?
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Spektrum.de.
3 Kommentare
Kommentare
Karlheinz am Permanenter Link
für die Hersteller ist das Risiko klein und der gewinn hoch.
e. steinbrecher am Permanenter Link
In Bezug auf diese Krankheit, dürfte diese Art der Heilbehandlung schon fast Körperverletzung darstellen.
Bis heute fand ich keinen Mediziner, trotz weltweiter Suche, welcher wirklich von sich behaupten könnte, das er sich auskenne.
So wie mir geht es unglaublich vielen Mitleidenden. Festmachen kann man dies an der Zahl der schwerst Erkrankten, welche sich in häufig in Selbsthilfegruppen zusammenfinden müssen. Kommt dann noch eine denkbare Seroneutralität hinzu, eine Besonderheit des Blutes welche, glaubt man den Schätzungen von Insidern, bis zu 20 % der betroffenen Patienten treffen kann,
schwinden Lebenswert und -dauer jedoch hat man keine Nebenerscheinungen eventueller Medikamente. Die bekommt man nämlich nicht.
Selbst ein Medizinprofessor, dem dies klar ist, verweist auf den Stand der Forschung (welcher??) und zuckt nur hilflos mit den Schultern. Manchmal habe ich den Eindruck, das olle Rom ist hier näher als man denk, nur der Hauptprotagonist wird von Medizinern ersetz. Als Patient möchte man sich demzufolge artikulieren: Ave medicus, moritusi te salutant. . .
Hans Trutnau am Permanenter Link
Leider ist sich die 'Schul'medizin im Fall Borreliose (B) auch nicht einig, was der Homöopathie (H) Auftrieb geben mag.
Ich selbst hatte nach einem Zeckenbiss vor 5 Jahren (ohne Wanderröte) wochenlang ein geschwollenes Knie mit schließlich schmerzender Wade, was (trotz MRT-Befund, s.u.) mit Antibiotika gegen B behandelt wurde, aber ohne Erfolg blieb und abgebrochen wurde - auch weil ein Test des Knie-Punktats auf B-DNA negativ ausfiel. Falsch-negativer Befund (obwohl B vorliegt) kann aber vorkommen, was meiner Hausärztin aber nicht bekannt war! Die Sache hat mich schließlich so dermaßen aufgeregt, dass ich wirklich LAUT wurde; worauf mich die Praxis rausschmiss.
Spätestens hier hätte ein H-affiner Patient die Flinte ins Korn geworfen...
Ich ließ mir aufgrund der MRT ('feingranuläres Signal' und geplatzte Bakerzyste) ins Knie schauen. Synoviale Chondromatose (nie zuvor gehört) - reiskleine Knorpel, die die Schwellung verursachten und rausgeholt wurden. Zumindest die Schwellung ist weg.
So viel dazu.