Homöopathie

40 Jahre sind genug

homöopathie_globuli.jpg

Soll man davon sprechen, dass die Diskussion um die Homöopathie "polarisiert"? Nun, immer noch präziser ausgedrückt als der langsam kaum erträgliche Euphemismus, die Homöopathie sei "umstritten".

Wenn wir einmal bei der Polarisierung bleiben, so machen wir derzeit zwei politische Positionen aus, keine wissenschaftlichen, denn eine wissenschaftliche Polarisierung zum Thema gibt es nicht. Homöopathie hat nicht nur nie einen Wirkungsnachweis erbringen können, der Stand der Erkenntnis kommt der (eigentlich epistemologisch unzulässigen) Aussage, ihre arzneiliche Unwirksamkeit sei nachgewiesen, schon maximal nahe. Schon deshalb, weil die Erwartung, es werde irgendwann einmal eine spezifische Wirkung über Kontexteffekte hinaus und womöglich gar ein Wirkungsmechanismus nachgewiesen werden, voraussetzt, dass Naturgesetze wie die Gesetze der Thermodynamik oder das Massenwirkungsgesetz ausgerechnet für die Homöopathie nicht gelten sollen. Man möge dazu einmal Harald Lesch zum Begriff der "Einheit der Wissenschaft" befragen.

Während in Baden-Württemberg der Einsatz des dortigen Gesundheitsministers pro Homöopathie inzwischen (vor allem durch eine vom grünen Delegiertentag in Donaueschingen am 24.09.2022 eingelegte Bremse) etwas gedämpft ist, kommt von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach ein klares Statement: Mehr und nicht weniger Wissenschaft in der Medizin und auf den Prüfstand mit der Erstattungsmöglichkeit von Homöopathie im gesetzlichen Krankenversicherungssystem! So der Minister auf Twitter und gegenüber Spiegel Online ("Stimmenfang"-Podcast vom 06.10.2022).

Konträrer geht's nicht. Und dem Minister sei Dank, dass er sich trotz aller sich aufstauenden Themen im Gesundheitsbereich dieses marginal anmutenden, aber tatsächlich durchaus nicht marginalen Aspektes annimmt.

Vielleicht ist es nicht unberechtigt anzunehmen, dass gerade Herrn Luchas Initiative pro Homöopathie im Ländle Minister Lauterbach erst dazu veranlasst hat, seine – ohnehin bekannte – Position nochmals öffentlich zu unterstreichen und sie damit sozusagen informell auf die gesundheitspolitische Agenda zu setzen.

Die Reaktionen der homöopathischen Szene, insbesondere der Ärzteschaft, sind bezeichnend. Den eigentlich in Rede stehenden Aspekt, die Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung, erörtert man erst gar nicht pro und contra. Vielmehr geht es gleich, sofort und ohne Anlauf wieder um eine grundsätzliche Pro-Homöopathie-Haltung einschließlich der bekannten Ableugnung der weltweit anerkannten medizinischen Irrelevanz der Methode und der bedenkenlosen Umdefinition von Begriffen wie der Evidenzbasierten Medizin im homöopathischen Sinne. Man weiß: es geht ums Ganze.

Denn eigentlich könnte der Umsatz an Homöopathika, der nur ungefähr zu einem Sechstel des Gesamtumsatzes aus Verschreibungen resultiert (darin noch enthalten Verschreibungen von HeilpraktikerInnen) es kaum die Sache wert sein, zumal auch hiervon in aller Regel nur ein Teil von den Krankenkassen übernommen wird. Interessant auch, dass einerseits die Streichung der Erstattungsfähigkeit zu einer wirtschaftlichen Katastrophe epischen Ausmaßes hochstilisiert wird, andererseits aber die Beibehaltung mit den so geringen Kosten innerhalb der Gesamtausgaben des Gesundheitssystems gerechtfertigt werden soll. Ein Cross-Over-Widerspruch sozusagen.

Was mag sich hinter einer so widersprüchlichen Argumentation verbergen? Es liegt immerhin nahe, dass die homöopathische Interessensphäre allergrößten Wert darauf legt, dass ihr die Reputation via Arzneimitteleigenschaft, Apothekenpflicht und GKV-Erstattungsfähigkeit nicht beschränkt oder gar genommen wird, auch nicht in Teilen. Denn das wird – wie die Beispiele England und Frankreich zeigen – vermutlich zu einer Marginalisierung auch des Over-the-Counter-Umsatzes ihrer Mittel führen. Kann dies weiterhin Motivation für die Gesundheitspolitik sein, Scheinmethoden und damit Irrationalität und Esoterik gesetzlich zu legitimieren? Nur der Vollständigkeit halber: Natürlich fordert niemand, die Verfügbarkeit von Homöopathika für alle, die sich – hoffentlich informiert – für sie entscheiden, einzuschränken.

Eine gesundheitsökonomische Selbstverständlichkeit

Dankenswerterweise – und als erster Entscheidungsträger in der Debatte – hat Minister Lauterbach klargestellt, dass die Diskussion sich nicht primär um die aufgewendeten Beträge im System drehe. Damit greift er die jahrelange Argumentation der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik auf, dass es um ehrliche und redliche Medizin geht, um medizinethische Aspekte, darum, zu verhindern, dass die PatientInnen die Grenze zwischen Medizin und Pseudomedizin nicht mehr erkennen und auch darum, dass es bei klarem und unverstelltem Blick nicht mehr als eine gesundheitsökonomische Selbstverständlichkeit ist, keine Mittel, denen jeder Wirkungsnachweis fehlt, zum Gegenstand öffentlicher Gesundheitsversorgung zu machen.

All die Sonderregelungen der letzten Jahrzehnte – vom Erlangen einer rechtlich fingierten Arzneimitteleigenschaft für Homöopathika (und Anthroposophika) im Arzneimittelgesetz (1978), über den sogenannten sozialrechtlichen Binnenkonsens in Paragraf 135 SGB V (1997), der im Grunde Beliebigkeit im Sozialversicherungssystem die Türen öffnet, bis hin zur Möglichkeit, per Satzungsleistung die als nicht verschreibungspflichtige Mittel seit 2004 an sich nicht mehr erstattungsfähigen Homöopathika (und Anthroposophika) durch die Hintertür der sogenannten Satzungsleistungen wieder erstattungsfähig zu machen – sind Ausfluss und Ergebnis einer bis dato mächtigen und ressourcenstarken Interessenvertretung. Die sich bislang ihrer Position recht sicher sein konnte, weil sie mit einer "Beliebtheit" ihrer Methode (also unausgesprochen mit Wählerstimmen) politisch lobbyierte, nie die Verbrauchenden über die wirklichen Hintergründe ihrer Mittel aufklärte und viel Mühe daransetzte, eine fälschliche Identität ihrer esoterisch fundierten Methode mit "Naturheilkunde" zu propagieren.

Das alles dürfte nicht völlig unbekannt im politischen Raum gewesen sein, ohne dass offenbar bislang die Reizschwelle erreicht wurde, an der dies nicht mehr als hinnehmbar erschien.

Darf man annehmen, dass nun die zunehmende Klarheit darüber den Ausschlag geben wird, dass es sich nicht um "die harmlosen Zuckerkugeln", die man "den Leuten doch lassen möge", sondern um eine in einem nachhaltigen, wissenschaftlich ausgerichteten Gesundheitssystem untragbaren Anachronismus mit ganz konkretem Schadenpotenzial handelt? Dass die Duldung einer pseudomedizinischen Methode (die sie eindeutig ist, wie eine kürzlich in einem internationalen Journal erschienene Arbeit mit Nachdruck belegt) unter dem Dach des Arzneimittel- und des Sozialrechts das PatientInnenwohl und die Kompetenz in Gesundheitsfragen nicht fördert, sondern beschädigt? Dass man auf die Stimmen endlich hört, die dies seit Jahren immer wieder vortragen und belegen?

Zu den letzteren gehört übrigens auch der Weltärztebund. Der hat nämlich in einem Statement zu pseudomedizinischen Methoden in einer Deklaration aus dem Jahre 2020 mit großer Klarheit erklärt:

"Pseudowissenschaften und Pseudotherapien stellen ein komplexes System von Theorien, Annahmen, Behauptungen und Methoden dar, die fälschlicherweise als wissenschaftlich angesehen werden. Sie können dazu führen, dass Patienten eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Pseudotherapien und der Besserung wahrnehmen. Sie können daher sehr gefährlich sein und sind unethisch.

In vielen Ländern fehlt der regulatorische Rahmen zur Einhegung dieser Pseudotherapien, was ihre Verbreitung ermöglicht hat. In der Vergangenheit wurden sie von der Ärzteschaft wegen ihrer Nebenwirkungsfreiheit als harmlos angesehen, aber heute gibt es genügend Beweise dafür, dass sie ein Risiko für die Patientensicherheit darstellen können."

Über 40 Jahre politisches Laissez-faire gegenüber diesem Problem sind genug. Das weiß ohne Zweifel auch Minister Lauterbach.

Unterstützen Sie uns bei Steady!