Seit sechs Jahren führt das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) den über Jahrzehnte verschüttet geglaubten Diskurs über die Rolle der Homöopathie im Gesundheitswesen. Selbst Corona ließ das Thema nicht verschwinden, dafür sorgten Homöopathen und sogar ihre Verbände schon selbst. Nach der überraschenden Positionierung einiger Abgeordneter der Regierungsparteien gegen die Erstattung von Homöopathie durch Krankenkassen hat das INH einen Offenen Brief an gesundheitspolitische Entscheidungsträger geschrieben.
Viel wurde mit Aufklärungsarbeit erreicht. Die mediale Landschaft unterliegt längst nicht mehr der Lufthoheit der Homöopathen. Deren Behauptungen zur Wirksamkeit ihrer Methode und der daraus folgenden medizinischen Relevanz sind im Licht der weltweiten wissenschaftlichen Bewertungen nur noch Behauptungen am Rande der Wissenschaftsleugnung.
Und doch. Die entscheidende Hürde, die völlig unberechtigte Sonderstellung der Homöopathie (und der Anthroposophie) im Arzneimittel- und Sozialrecht blieb auf der politischen Ebene bislang unangefochten und so gut wie nicht diskutiert. Überraschenderweise haben sich aber kürzlich ParlamentarierInnen der Koalition zu Wort gemeldet, die sich klar gegen eine Erstattung von Homöopathie aussprachen. Moderne Zeiten? Hoffentlich.
Das Informationsnetzwerk Homöopathie hat den Faden aufgenommen und einen Offenen Brief an Entscheidungsträger in der Gesundheitspolitik gerichtet:
Herrn Bundesminister für Gesundheit
Prof. Dr. Karl Lauterbach
Frau Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Steffi Lemke
An die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des deutschen Bundestages
Sehr geehrte Damen und Herren!
Als freie Arbeitsgemeinschaft klären wir seit 2016 öffentlich und ehrenamtlich über die Irrtümer und Fehlinformationen zur Homöopathie auf. Ein spezielles Anliegen ist uns dabei die Aufklärung über die negativen Auswirkungen der Sonderstellung der Homöopathie in Arzneimittel- und Sozialrecht.
Wir nehmen nun Bezug auf die kritischen Äußerungen verschiedener Parlamentarier:innen der Koalition zur Erstattung von Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen (u.a. ZDF am 21.01.2022). Wir treten dafür ein, dass die Homöopathie als Heilslehre aus vorwissenschaftlicher Zeit, deren Grundannahmen im Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis stehen, nicht nur kein Gegenstand von Krankenkassenerstattung mehr sein sollte, sondern generell keinen Platz mehr innerhalb unseres Gesundheitssystems beanspruchen kann.
Die potenziellen Gefahren der Homöopathie, die durch die gesetzlichen Privilegierungen des "Binnenkonsens" und der Kassenerstattung per Satzungsleistung bisher zu wenig offenbar wurden, sind nun in der Corona-Pandemie überdeutlich geworden. Seien es Behauptungen von homöopathischer Seite, die Covid19-Erkrankung mittels Globuli vermeiden oder behandeln zu können, seien es angebliche homöopathische "Impfstoffe" oder angepriesene Impf-Ausleitungsmethoden. Dabei geht es nicht nur um individuelle Äußerungen einzelner Homöopath:innen. Auch führende homöopathische Ärztevereinigungen sind mit unhaltbaren Statements hervorgetreten (z.B. DZVhÄ und Hahnemann-Gesellschaft).
Ein weiteres Gefahrenpotenzial sehen wir im Abgleiten homöopathieaffiner Menschen in unwissenschaftliche Glaubensvorstellungen im Bereich von Medizin und persönlicher Gesundheitsfürsorge, das von unserer Seite seit jeher als eine der Hauptrisiken der Homöopathie gesehen wurde.
Insbesondere betrifft dies die lange vermutete, nun empirisch recht gut belegte direkte Verbindung zwischen Homöopathieaffinität und Impfskepsis. Ältere Studien belegten schon früher, dass homöopathisch orientierte Ärzt:innen signifikant von den offiziellen Impfempfehlungen abweichen. Neuere Studien in der Pandemie für die Seite der Patientenschaft aus dem Jahre 2021 zeigen nun Werte für die Beziehung zwischen Homöopathiebefürwortung und fehlender Impfbereitschaft auf, die bestürzen müssen (Absinken der Impfbereitschaft bei Erwachsenen auf 47 Prozent, wenn an Homöopathie geglaubt wird, 62 Prozent Impfablehnung bei Eltern von Kindern, für die sie die Impfentscheidung treffen, wenn an Homöopathie geglaubt wird).
Nach unserer Ansicht ist hier ein Punkt erreicht, an dem der Entzug der gesetzlichen Privilegien und damit des jahrzehntelangen Glaubwürdigkeitsbonus der Homöopathie notwendig und zeitgemäß ist. Mittel ohne Wirkungsnachweis haben weder aus medizinischen noch aus gesundheitsökonomischen noch aus Gründen der allgemeinen Gesundheitskompetenz einen Anspruch auf einen Platz in einem solidarisch finanzierten öffentlichen Gesundheitssystem.
Wir möchten daher nachdrücklich darauf hinweisen, dass der eingangs erwähnte Vorstoß von Parlamentarier:innen zur GKV-Kostenerstattung der Homöopathie trotz aller Probleme in der aktuellen Legislaturperiode nicht "versanden" darf, sondern das Thema auf die Agenden von Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik gehört.
Sachinhaltlich erlauben wir uns den Hinweis, dass ein Ende der Erstattungsfähigkeit von Homöopathie durch die GKV-Kassen eigentlich nur ein nachgeordneter Aspekt im Rahmen der rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhänge ist. Ungeachtet der Regelungen zu den Satzungsleistungen der Kassen in § 11 Abs. 6 SGB V "hängt" die Erstattungsfähigkeit – wie auch die Apothekenpflicht, ein weiterer wichtiger Glaubwürdigkeitsaspekt – an einer einzigen Prämisse: am ungerechtfertigten Arzneimittelstatus der Homöopathie, den sie aufgrund einer schon 1978 sachfremden Regelung der AMG-Neufassung (§ 25 Abs. 2 und § 105 Abs. 4f AMG / ferner § 135 SGB V) ohne wissenschaftlich begründeten Nachweis einer spezifischen medizinischen Wirkung erhält.
Angesichts der allein von der homöopathischen Interessensphäre bestrittenen negativen wissenschaftlichen Evidenz der Methode kann dies sachlich nicht länger begründet werden. Man mag das 1978 infolge erheblicher Unsicherheiten zur Thematik noch anders eingeschätzt haben, aber die heute sehr eindeutige wissenschaftliche Erkenntnislage und das sichtbar gewordene Schadenpotenzial der Scheinmethode Homöopathie lassen diese Regeln obsolet werden und reduzieren sie auf rein formale Bedeutungskraft.
Wir möchten daher an Sie appellieren, dieses wichtige Problemfeld, dessen Auflösung die Glaubwürdigkeit und die Effektivität einer rationalen evidenzorientierten Gesundheitspolitik ohne Frage stärken und einen erheblichen Beitrag zur allgemeinen Gesundheitskompetenz leisten würde, nicht aus dem Auge zu verlieren. Nur am Rande sei auf die Entwicklungen im europäischen Ausland – England, Frankreich, Spanien – in den letzten Jahren verwiesen, die der medizinischen Irrelevanz der Homöopathie in ihren öffentlichen Gesundheitssystemen umfangreich Rechnung getragen haben.
Gern stehen wir Ihnen für Informationen und zum argumentativen Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Informationsnetzwerk Homöopathie
Dr.-Ing. Norbert Aust
Dr. med. Christian W. Lübbers
Udo Endruscheit
Dr. med. Wolfgang Vahle
Prof. Dr. med. Jutta Hübner (Wiss. Beirat)
Mitunterzeichnerin: Dr. med. Natalie Grams-Nobmann