Veranstaltung des AK Säkulare der SPD Düsseldorf

Der Mythos der wohltätigen Kirchen: Wer zahlt wirklich?

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Der Themenabend fand digital statt
Screenshot der Teilnehmer:innen

"Die Kirchen und das liebe Geld" – Dieses Thema lockte am vergangenen Dienstag eine Vielzahl von Interessierten an die PC-Bildschirme. Finanzexperte Lothar Binding, langjähriger finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Bundesvorsitzender der AG SPD 60 plus, gab in einem knapp einstündigen Vortrag einen detailreichen Einblick in die komplexen Zusammenhänge und Verflechtungen von Staat, Steuerzahler und den beiden Kirchen im Finanzbereich.

Die Ursprünge der Kirchenfinanzierung sind – so Binding – historisch bedingt unklar und stets mit einem "Schleier des Ungewissen" umgeben. Eine Reihe von Sonderrechten – nicht nur im Bereich der Finanzen –, die die Kirchen im Laufe der Jahre erhalten haben, sollten eigentlich zu denken geben. Warum all dies bisher nicht recht im Bundestag angekommen ist, liegt nach Meinung des langjährigen Bundestagsmitglieds an einer guten Verzahnung von Kirche und Politik.

Der Referent zitierte aus einer Meldung des Domradios aus dem Jahr 2017:

"Wieder viele engagierte Christen im Bundestag Auch im neuen Bundestag sind wieder zahlreiche engagierte Christen vertreten. Dies gilt vor allem für Union und SPD – aber auch bei FDP und AfD bekennt sich der eine oder andere offen zu seinem Glauben. Wenn sich die Bundestagsfraktionen nach der Wahl vom Sonntag neu formieren, sind auch wieder etliche engagierte Katholiken und Protestanten unter den Abgeordneten. Sie gelten nicht zuletzt als Ansprechpartner für Anliegen der Kirchen. … Auf alle Fälle sind erneut mehrere Vertreter der organisierten katholischen Laien im Parlament, die für eine Verzahnung von Kirche und Politik sorgen wollen (…)". (Domradio, 27.09.2017)

Es existiert, so war zu erfahren, eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten, die sich um diese Verzahnung kümmert. Man trifft sich im Andachtsraum des Bundestags oder verabredet sich systematisch zum Beispiel für ein "Gebetsfrühstück" freitags morgens in der Parlamentarischen Gesellschaft. Auf diese Weise wird seit vielen Jahrzehnten an der erfolgreichen Fortschreibung dieser Verzahnung von Kirche und Politik gearbeitet. Die Parlamentarier finden in dieser parteiübergreifenden und sehr vertraut miteinander umgehenden Gruppe dabei auch Verständnis für zum Teil extreme Positionen: Die Pränatale Implantationsdiagnostik (PID) oder die Sterbehilfe sind Beispiele für Themenfelder, bei denen die Kirchen stark in den politischen Diskurs eingebunden sind, um die Debatte in eine bestimmte Richtung zu entwickeln. Kirchliche Interessen reichen so auch über informelle Strukturen tief in den Bundestag hinein, so Lothar Binding.

Kirchensteuer – Eine auf die Gesellschaft wirkende Zwangskraft

Das Thema Kirchensteuer und das staatliche Inkasso derselben bildeten einen weiteren Schwerpunkt des Vortrags. Minutiös legte der Finanzexperte dar, wie auch die Allgemeinheit zur Finanzierung der Kirchensteuer durch Steuerprivilegien herangezogen wird – eben nicht nur die Mitglieder der beiden Kirchen ("Vorteil aus dem Sonderausgabenabzug").

Jeder Kirchensteuerpflichtige bekommt durch diese Vorteile einen großen Teil seiner gezahlten Beiträge zur Kirchensteuer wieder zurückerstattet. Dies sei ein wichtiger und für viele durchaus ärgerlicher Effekt, da sich somit alle Bürgerinnen und Bürger – alle Nicht-Kirchensteuer-Pflichtigen wie Muslime, Konfessionsfreie etc. – an der Finanzierung einer Institution beteiligen müssten, deren Inhalte sie womöglich gar nicht teilten.

Der Referent sprach in diesem Zusammenhang von einer "Zwangskraft auf die Gesellschaft". Auch der Aspekt der Bürokratie wurde angesprochen. Für die Berechnung und Abführung der Kirchensteuer durch die Finanzämter fallen Verwaltungsgebühren in Höhe von circa drei bis vier Prozent an, die die Kirchen hierfür entrichten. Diese wenigen Prozente reichen allerdings bei weitem nicht aus, um die tatsächlich viel höheren Bürokratiekosten aufzufangen.

So entsteht durch den Einzug der Kirchensteuer über die Finanzämter wiederum ein Spannungsverhältnis. Dieses ergibt sich, so der Finanzexperte, aus einer Art "emotionaler Konditionierung", da viele Menschen einfach akzeptierten, was in ihrem Steuerbescheid steht und welche Beträge ihnen als Quellensteuer abgezogen werden.

Der Referent plädierte für eine Beendigung des Kirchensteuereinzugs durch den Staat schon allein aus Gerechtigkeitsgründen. Diese Art der Unterstützung wird keiner anderen Organisationen gewährt.

Zudem: In Frankreich, Polen, Spanien oder den Niederlanden existiert eine Kirchensteuer gar nicht und auch der Einzug über die Finanzämter ist weltweit einmalig. Dabei handelt es sich beim staatlichen Inkasso keineswegs um eine formalrechtliche Verpflichtung, sondern eher um eine Selbstverpflichtung des Staates, der sich aus dieser Aufgabe zurückziehen könnte. Voraussetzung wären entsprechende Mehrheiten, die dies beschließen. Fazit: Kein Erkenntnisproblem, sondern ein Mehrheitsproblem.

Wer hat, dem wird gegeben

Lothar Binding
Der Vortragende Lothar Binding (SPD), bis 2021 MdB
Foto: Gerd Seidel via Wikimedia Commons (Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de bzw. CC BY-SA 3.0)

Die "Empfindlichkeit" des Staates, die Kirchen finanziell gut auszustatten, sei hoch, wie an zahlreichen weiteren Beispielen rund um das Thema Steuer – Kirchensteuerkappung, Kirchensteuer auf Dividenden – verdeutlicht werden konnte. Eine Reihe von weiteren Steuerungsmöglichkeiten, um die Kirchensteuer dem Anschein nach niedrig zu halten und den Staat stets an dem Ausgleich dieses Anscheins zu beteiligen, wurden im Vortrag aufgeführt.

Mit Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit – Begriffe, die auch von den Finanzleuten der Kirche benutzt werden – habe dies alles natürlich nichts zu tun. Auch komme das, womit sich der Staat an den Kirchen und ihrer Finanzierung beteiligt, in den Kirchenbilanzen gar nicht vor. Je größer der Sonderausgabenabzug, desto stärker steigt das Nettoeinkommen, wusste der Mathematiker Binding den Anwesenden zu berichten. Auch die Asymmetrie in der Behandlung von Steuern und der Sonderausgabenabzug privilegiert die Kirchen in besonderer Weise.

Steuerbefreiung der Kirchen

Bei all den positiven Effekten für die Kirchen zahlen diese häufig selber gar keine Steuern: Bei einer Größenordnung von geschätzten 150.000 Gebäuden hierzulande in kirchlichem Besitz und hohen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zahlen die Kirchen als großer Player im Immobilienmarkt zumeist weder Steuern noch sind sie nachweispflichtig.

Die Immobilien der Kirchen sind in weiten Teilen von der Grundsteuer befreit – eine weitere staatliche Subvention. Die entsprechenden Zahlen tauchen in einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung der Kirchen gar nicht erst auf, da keine Kosten entstehen, die verbucht werden müssen.

Keine Rechnung, keine Bezahlung – es handelt sich um "versteckte Kosten", die sich aus einem Einnahmeverzicht des Staates ergeben. Aus Steuergerechtigkeitsgesichtspunkten müssten letztlich auch die Kirchen darauf bestehen, eine Grundsteuer an den Staat zu entrichten, wie alle anderen auch.

Steuergerechtigkeit? Eher nicht!

Die katholische Kirche erzielt jährlich Kirchensteuereinnahmen von circa 7 Milliarden Euro, die evangelische Kirche circa 6 Milliarden. Diese 12 bis 13 Milliarden Euro machen rund 46 Prozent der gesamten kirchlichen Einnahmen aus. Der Verkauf von Dienstleistungen weitere 8 Prozent. 7 Prozent der Gesamteinnahmen sind Vermögenseinnahmen und 12 Prozent entfallen auf Sonstiges. Hinzu kommen – wie dargelegt – die Einnahmen der Kirchen, die der Staat bezahlt:

Neben dem Sonderausgabenabzug und den Steuerbegünstigungen zählen dazu auch die Subventionen – mit rund 30 Prozent ebenfalls ein stattlicher Posten: Viele Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft erhalten hohe staatliche Zuschüsse, die zumeist fast 100 Prozent ausmachen, auch wenn oftmals der Anschein erweckt wird, es handele sich um vollständig von den kirchlichen Trägern finanzierte Einrichtungen.

Die Idee, dass die Kirchensteuern letztlich der Finanzierung von sozialen Zwecken dienen, sei insofern falsch. Von den Einnahmen aus den Kirchensteuern werde im Wesentlichen das kirchliche Personal finanziert, das direkt bei den Kirchen beschäftigt ist (Pfarrerinnen, Pfarrer, Pastoralreferenten, Kirchenmusiker u.v.m.).

Die Gehälter von Bischöfen und Landesbischöfen speisen sich wiederum aus einem anderen Topf: Die circa 400 Millionen Euro, die über die Länderhaushalte laufen und aus allgemeinen Steuern finanziert werden, werden direkt in die Gehälter des religiösen Führungspersonals investiert.

Daran beteiligen sich alle Steuerzahler, auch die Ärmsten der Gesellschaft. Dies sei eine eher zwiespältige Angelegenheit im Umgang mit Steuergeldern, so der Referent, weil es nicht um einen festen Betrag gehe, sondern um ein System. Ein Bischof verdient zwischen 9.000 und 15.000 Euro pro Monat, wie Binding noch ergänzte.

Insofern gibt es zahlreiche Dinge, die allein den Kirchen nutzen, aber von allen Steuerzahlern mitgetragen werden:

  • Kirchensteuer mit Sonderausgabenabzug
  • Bischofsgehälter
  • Ersparnis durch staatlichen Vollzug
  • Steuerbefreiungen
  • Absetzbarkeit von Spenden
  • Konfessionsschulen
  • Religionsunterricht
  • Kirchenbaulasten
  • Seelsorge (Militär, Polizei etc.)

Andere staatliche Zuwendungen dienten hingegen dem Interesse aller Bürgerinnen und Bürger:

  • Kindertageseinrichtungen
  • Familien- und Jugendhilfe
  • Krankenhäuser, Reha-Einrichtungen
  • Zivildienst, Freiwilligendienst

Staatsleistungen

Ein weiterer Punkt in Sachen Kirchenfinanzen – und zugleich ein großes Ärgernis – stellen die "historischen Staatsleistungen" dar. Diese sollten – als einmalige Entschädigung für historische Enteignungen – eigentlich als Verfassungsauftrag schon seit 1919 abgelöst sein. Jährlich werden aber noch immer rund 600 Millionen Euro als "Staatsleistungen" länderseitig an die beiden Kirchen gezahlt (ausgenommen sind Hamburg und Bremen).

Es wäre wünschenswert, so Binding, würden sich die Kirchen "auf das Feld der Fairness" begeben und aufgrund der bislang insgesamt geleisteten 20 Milliarden Euro Staatsleistungen seit 1949 das Verfassungsgebot als längst erfüllt betrachten.

Oder wollen die beiden Kirchen tatsächlich daran festhalten, nochmals ein Vielfaches der Zahlungen als Milliarden-Entschädigung zu erhalten, fragte der SPD-Finanzexperte in die Runde. Kann so ein Vorgehen mit den behaupteten Grundsätzen der Glaubensgemeinschaften überhaupt übereinstimmen, vor allem nach einer so langen Zeit und der bereits geleisteten Zahlung von Milliardensummen durch die Gesamtbevölkerung?

Diese Zahlungen seien ab sofort entschädigungslos einzustellen, so der Referent, der an die beiden Kirchen appellierte, ihre Überlegungen auch nochmals in diese Richtung zu entwickeln.

Der von Lothar Binding im Deutschen Bundestag oft benutzte Zollstock kam im Rahmen der Veranstaltung auch zu seinem Recht – sehr zum Vergnügen der Anwesenden.

Eine lebhafte Diskussion folgte dem informationsreichen Überblick, ließ die Beteiligten aber wohl auch mit einigen Fragezeichen zurück: Denn die im Grundgesetz gebotene weltanschauliche Neutralität des Staates erweist sich gegenüber den Kirchen gerade im Finanzbereich wohl noch eher als "frommer Wunsch" denn als umgesetzte Verfassungsrealität.

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