Veranstaltung in Münster

Ethik/Religionskunde: Besser gemeinsam!

Über ein integratives Unterrichtsfach, das ein Kennenlernen verschiedener weltanschaulicher Traditionen zum Ziel hat, diskutierten Repräsentanten unterschiedlicher Fachrichtungen am 6. Mai in Münster. Einigkeit herrschte bei den Experten darüber, dass die Frage nicht sei, ob es ein solches neues integratives Schulfach geben werde, sondern lediglich, wann es kommen werde. Organisiert wurde die Veranstaltung "Ethik/Religionskunde: Besser gemeinsam!" von der Münsteraner Hochschulgruppe der Giordano-Bruno-Siftung (gbs) und dem Netzwerk Säkulare Sozis.

Nach Impulsvorträgen von Wanda Alberts (Religionswissenschaft), Hartmut Kreß (evangelische Sozialethik) und Dieter Galas (Schulpolitik) am Vormittag fand die ganztägige Veranstaltung "Ethik/Religionskunde: Besser gemeinsam!" am Nachmittag ihren Höhepunkt in einer großen Podiumsdiskussion. An der von Johannes Schill (Säkulare Sozis) und Lisa Skutella (gbs HSG Münster) moderierten Diskussion nahmen neben den Referenten des Vormittags der katholische Fachdidaktiker Alexander Unser (per Videokonferenz zugeschaltet) und die Ethikerin Inga Tappe teil. Während Einigkeit darüber bestand, dass ein integratives Schulfach kommen müsse, gingen die Meinungen über dessen inhaltliches Profil auseinander. Rege zustimmende und kritische Beteiligung sowie Einblicke in den Praxisalltag zeigte auch das Publikum, welches Zuschauer:innen aus Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg und verschiedenen Gegenden Nordrhein-Westfalens zählte, sowie ein breites Altersspektrum abbildete.

Alberts lieferte zunächst eine Perspektive auf Religion, die in einem Fach wie Religionskunde nicht mehr als gewohnte Bezugsdisziplin und als Weltanschauung nach westlich-eurozentristischem Standard fungiere, sondern als wissenschaftlicher Gegenstand und Inhalt betrachtet werden könne. Religionskunde ermögliche eine neutrale Ausgangslage, denn ohne die Annahme einer selbstverständlichen Zugehörigkeit zu einer Mehrheits-Religion, die die Grunderwartung an das unterrichtliche Geschehen präge, könne Religionskunde neue Chancen zu gemeinsamem Lernen über Religion ermöglichen und Vorbehalte sowie falsche Annahmen stoppen.

"Es ist häufig noch gar nicht vorstellbar, dass ein anderes Denken und Sprechen über Religion möglich ist. Für Schüler ist es oft noch peinlich, sich vom 'Reli-Unterricht' abzumelden oder sie glauben, dass das gar nicht gehe." — Wanda Alberts

Religionsunterricht und Religionskunde seien aber laut Alberts zwei unterschiedliche Dinge, denn nicht die Theologie, sondern die Religionswissenschaft sei die Bezugsdisziplin, die auch entsprechende Lehrkräfte ausbilden müsse und nicht "mal eben intuitiv von Theologieabsolvent:innen" unterrichtet werden könne.

Im anschließenden zweiten Vortrag machte Hartmut Kreß die Relevanz eines Ethik-Unterrichts und die Bedeutung für die Lebenswirklichkeit von Schüler:innen und Gesellschaft deutlich. Ethik ermögliche ein Schulfach, in dem Sachverhalte und Normen des menschlichen Zusammenlebens erörtert werden und sich nach dem Prinzip einer dialogischen Toleranz konstruktiv mit den Überzeugungen der Anderen auseinandergesetzt werden könne. Junge Menschen bekämen so die Möglichkeit, sich mit existentiellen persönlichen Fragen zu beschäftigen, unabhängig von weltanschaulicher Vorprägung, aber flexibel und offen für die Koexistenz verschiedener (neu gewonnener) Weltanschauungen. Im Unterschied zur Religionskunde, die hauptsächlich deskriptiv und nicht wertend arbeite, wie Alberts betonte, beschreibe und reflektiere Ethik und sei Bereicherung für alle. Des Weiteren gebe es in Deutschland schon Fächer namens Lebengestaltung-Ethik-Religionskunde (LER), Werte und Normen und Ethik.

"Inzwischen finden für die Ethik typische Herangehensweisen auch im Religionsunterricht statt. Also ist es eigentlich schon so, wie die Religionskunde es darstellt. Wir müssen also nicht bei 0 anfangen." — Hartmut Kreß

Die Relevanz eines Ethik-Unterrichts legitimierte sich allein schon dadurch, fragwürdigen Vereinigungen mit ihren reaktionären Sichtweisen die Stirn zu bieten. Angesichts der sich verschärfenden Lehrermängel an deutschen Schulen, könne ein integratives Fach außerdem auf strukturell-organisatorischer Ebene eine Erleichterung bieten. "Zwar muss man von Widerstand ausgehen, auch an den Universitäten, aber wenn selbst mittlerweile in Bayern Lehrerausbildung in Ethik stattfindet, besteht die Chance, tatsächlich eine Reform durchzusetzen", so Kreß.

Der Erfahrungsbericht von Dieter Galas stützte Kreß Annahmen. Als ehemaliger Schulleiter in Niedersachsen, wo das Fach "Werte und Normen" existiert, bemerkte er nach Darstellung verschiedener Debatten und Änderungsprozesse, dass es zwar noch nichts Greifbares gebe, aber die Diskussion weiter anhalte.

"Für den Weg zum integrativen Dialogfach braucht es Mut, langen Atem und ein paar Verbündete." — Dieter Galas

Das Publikum lieferte stetig Diskussionsanregungen und äußerte Ideen. Mehrere Zuschauer:innen stammten aus dem Schulbetrieb und stellten kritische Fragen zur Machbarkeit und Umsetzung, darunter die Option, dass der praktische Philosophie-Unterricht die religionskundlichen Elemente integrieren könne. Einer Stundentafelüberbelastung könne das Epochalmodell vorbeugen, welches bestimmte Fächer im Wechsel mit anderen Fächern nur in bestimmten Jahrgangsstufen vorsieht.

Auch kam schnell die Frage nach der Einführung eines neuen Faches wie Religionskunde oder Ethikunterricht auf. So äußerte sich eine Zuschauerin: "Es muss nicht alles ein Fach sein. Fachinhalte können auch in andere Fächer integriert werden. Religion als Gegenstand fände demzufolge auch in Philosophie, Geschichte oder sogar den Fremdsprachen Platz."

Beispielbild
© gbs Hochschulgruppe Münster

Den Studierenden der Hochschulgruppe war die Beteiligung des Publikums wichtig, um potenzielle Zuschauer:innen aus der schulischen Praxis beziehungsweise Schüler:innen und Lehramts-Studierende in die Diskussion einzubeziehen. Entsprechend wurde die Podiumsdiskussion regelmäßig durch kurze Publikumsbefragungen und einzelne Statements bereichert. So wurden generationale Unterschiede deutlich, wie beispielsweise das Fehlen einer Wahlalternative wie Philosophie unter den älteren Zuschauer:innen und die Abwendungstendenz vom klassischen Religionsunterricht unter den jüngeren Zuschauer:innen. Um das Hinaufsteigen in den akademischen Elfenbeinturm zu verhindern, verwiesen Moderatorin und Moderator auf die Schüler:innenperspektive und fragten die Podiumsteilnehmenden unter anderem: "Warum hat das Fach 'Reli' bei vielen Schüler:innen das Image eines Laberfachs?"

Die Podiumsteilnehmenden beantworteten dies unter Schmunzeln einerseits mit organisatorischen Gründen, andererseits gestanden sie ein, dass für Schüler:innen Struktur und Inhalt möglicherweise oft nicht klar seien, zumal konfessionell gebundener Religionsunterricht auf einer kulturell verankerten religiösen Erziehung aufbauen müsse, die jedoch angesichts einer zunehmenden Pluralisierung und Säkularisierung in der Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden könne. Konfessionell gebundene Religionspädagogik sei nicht mehr zeitgemäß. Anstelle einer Aufsplitterung von Schülergruppen nach weltanschaulichen Hintergründen, die de facto oft nur noch auf dem Papier herrschten, sei ein Querschnittsfach erforderlich, das sowohl über religiöse als auch philosophische Traditionen aufkläre und grundlegende Werte wie etwa Toleranz vermittle. Stimmen aus dem Publikum gaben wiederum zu bedenken, dass sie wesentlich inklusiveren und weniger normreligiösen Religionsunterricht erfahren hatten, der vermutlich schon stellenweise im Kontrast zu dem gestanden hatte, was Kirchenvorsteher sich erhofft hätten.

"Ethik ist kein Zusatzwissen, das nett zu haben ist. Es ermöglicht ein selbstreflektiertes Leben in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft und kann nicht durch reinen Religionsunterricht ersetzt werden." — Inga Tappe

Der katholische Theologe Unser plädierte dafür, dass ein solches Fach allerdings nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch eine existentielle Dimension beinhalten sollte. Es müsse möglich sein, dass einzelne Inhalte die Schülerinnen und Schüler auch in ihren persönlichen Glaubensüberzeugungen anregen. Sollte das angedachte Querschnittsfach wirklich integrativ sein, dürfe es nicht von einer "säkularen Normativität" dominiert werden, die religiöse Schüler befremden und zu einem Rückzug führen könne. Wenngleich eine inklusive Unterrichtsatmosphäre im Integrationsfach von allen auf dem Podium befürwortet wurde, gab es den Einwand, dass der Politikunterricht ja auch von einer "säkularen Normativität" im Sinne einer Unparteilichkeit seitens der Lehrkräfte gekennzeichnet sei. 

"Die Frage ist nicht ob, sondern wann das integrative Schulfach kommt." — Alexander Unser

Anschließend wurde diskutiert, welche Inhalte für das Fach aus Sicht der Beteiligten prägend sein sollten. Besonders mit Blick auf das Vorurteil "Laberfach" müsse den Schüler:innen klarer gemacht werden, welche konkreten Inhalte es gebe. Während die Theologen Unser und Kreß auf Grundlagenwissen über religiöse Traditionen Bezug nahmen, plädierte die Religionswissenschaftlerin Alberts für einen unvoreingenommenen Vergleich verschiedenster Weltanschauungen. Die Ethikerin Inga Tappe betonte, dass neben der Förderung von Sensibilität in moralischen Fragen auch Kompetenzen im kritischen Denken und logischen Argumentieren in das Curriculum einzubinden seien. Nicht nur höheren Jahrgängen, sondern auch in der Grundschule sei dies Kindern durchaus zuzutrauen.  

Treffend formulierte es Unser: Die Frage sei nicht ob, sondern wann das integrative Schulfach komme – darüber waren sich die Diskutierenden alle einig, denn Ziel müsse am Ende sein, sich gegenseitig besser zu verstehen und miteinander, nicht übereinander zu reden. Der Dialog über die konkreten Inhalte dürfte allerdings durch die unterschiedliche Ausrichtung der beteiligten Fächergruppen auch weiterhin Kontroversen beinhalten. 

Die Veranstaltung wird demnächst als Video- bzw. Audioaufnahme verfügbar sein. Es ist in Planung, die Mitschnitte auf Youtube unter dem Veranstaltungstitel zu veröffentlichen (Stand 19.05.2023). Weitere Informationen dazu unter: www.uni-muenster.de/SaekularerHumanismus

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