Schon seit dem Jahr 2013 ist die Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts Beschlusslage der SPD. Mario Gembus, Gewerkschaftssekretär der ver.di-Bundesverwaltung und dortiger Ansprechpartner für Kirchen, Caritas und Diakonie, gab einen umfangreichen Überblick über die aktuelle Gemengelage in politischer, rechtlicher und in gewerkschaftlicher Hinsicht.
Im Koalitionsvertrag der Ampel ist von einer Abschaffung des sogenannten "Dritten Weges" leider keine Rede mehr; immerhin wurde sich eine "Prüfung" der kirchlichen Diskriminierungsprivilegien aufgegeben: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen."
Nach jahrelangem Stillstand der Debatte kann dies als wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewertet werden, während hinter den Kulissen kirchliche Kräfte diese Aufweichung der ursprünglich – in den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und FDP – deutlich klarer gefassten Forderungen als "Erfolg" für sich reklamiert haben.
An die 1,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen sind auch im Jahre 2023 noch immer Beschäftigte minderen Rechts. Ein unhaltbarer Zustand, gerade für die Sozialdemokratie – sollte man meinen. Um so ungeduldiger erwarten nun viele – Betroffene, die Gewerkschaften, Kolleginnen und Kollegen und große Gruppen innerhalb der Parteien – konkrete Taten des Gesetzgebers.
Dass auch die Parteien der Ampelkoalition gespalten erscheinen und es auch diejenigen gibt, die sich eher für Kirchenprivilegien engagieren als für die Durchsetzung des für alle gültigen Rechts, macht die Sache nicht einfacher.
Was macht der Gesetzgeber?
Als Gewerkschaft habe man rasch erkannt, so der Referent Mario Gembus, dass man an der Stelle schieben und ziehen müsse. Sehr frühzeitig hat ver.di nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags in einer öffentlichen Stellungsnahme verlangt, dass Arbeitnehmerrechte ausnahmslos gestärkt werden müssen und dass es nicht beim Prüfauftrag bleiben darf.
Auch die Beteiligung der Gewerkschaften an den anstehenden Verhandlungen ist eine Forderung von ver.di. Der Gesetzgeber habe alle Möglichkeiten, das 1952 eingeführte Betriebsverfassungsgesetz wieder rückgängig zu machen. Es gibt Diskriminierungsprivilegien für die Kirchen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG); auch dies muss verändert oder besser: gestrichen werden. ver.di wünscht sich darüber hinaus eine ausnahmslose Tarifpartnerschaft mit den kirchlichen Arbeitgebern, die es bislang nicht gibt, weil es wegen des "Dritten Wegs" nicht möglich ist.
ver.di-Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte"
Im Mai hat ver.di eine Petition auf den Weg gebracht und mittlerweile bereits 10.000 von insgesamt angestrebten 30.000 Unterschriften sammeln können.
Die beiden Forderungen ver.dis richten sich diesmal an den Gesetzgeber:
- Schluss mit Diskriminierung wegen privater Entscheidungen: Streichung der Sonderregeln für Kirchen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (§ 9 AGG)
- Volle Mitbestimmung auch für Kirchenbeschäftigte: Streichung gesetzlicher Ausnahmen (u.a. §118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz)
Reformen oder Reförmchen der Kirchen?
Nun könnte man einwerfen, dass sich doch auch die Kirchen in der Zwischenzeit bewegt haben. Doch wie ist diese "Reformwilligkeit", wie sind die sogenannten Reformen der Kirchen zu bewerten?
Die Veränderungen sowohl im katholischen wie auch im evangelischen Bereich (Katholische Grundordnung 2022, Mitarbeits-Richtlinie der EKD vsl. 2023, Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD vsl. 2023 etc.) wurden von Gembus als kosmetische Maßnahmen entlarvt. Inner- und außerkirchliches Verhalten bleibt in der katholischen und evangelischen Kirche weiterhin arbeitsrechtlich sanktionierbar. Da habe sich nichts getan, so der Vortragende.
Die Kündigung wegen Kirchenaustritt bleibt in beiden Bereichen möglich. Es wird nach wie vor mit einem angeblichen "kirchlichen Streikverbot" gearbeitet, was es jedoch als solches nicht gibt; und es bleibt bei der schwachen betrieblichen Mitbestimmung.
Ein großer Fortschritt im katholischen Bereich ist immerhin, dass die sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielt. Es brauchte tatsächlich bis zum Jahr 2022, bis die katholische Kirche dies nicht mehr als arbeitsrechtlich belangbar ansieht. Aber auch dies geschah allein auf äußeren Druck hin.
Es gibt weiterhin kein Indiz dafür, dass die katholische Kirche geneigt ist, die Beteiligung von Beschäftigten auf der Unternehmensebene einzuführen. Im evangelischen Bereich sollen zukünftig die Arbeitgeber festlegen, wie Kirche im Betrieb stattfindet. Das evangelische Profil soll durch die Arbeitgeber ausgeprägt werden, so Gembus. Dort gibt es praktisch auch nicht mehr Mitbestimmung in Unternehmen.
Aktuelle Streikbeteiligungen von Beschäftigen kirchlicher Einrichtungen
Im Frühjahr 2023 haben sich mehrere hundert Kolleginnen und Kollegen aus 27 Einrichtungen in evangelischer Trägerschaft an den Streiks beteiligt. Seit den Streiks 2009 bis 2011 war es das erste Mal, dass es eine Streikbewegung in dieser Größenordnung gegeben hat. ver.di konnte diese Belegschaften nur deshalb zum Partizipationsstreik aufrufen, weil sie dynamische Bezugnahmeklauseln in ihren Arbeitsverträgen haben in Bezug auf den Tarif im Öffentlichen Dienst.
Nicht nur die Menge und die Selbstverständlichkeit, mit der die Streikenden diesmal dabei waren, hob der Referent hervor. Alle diese Kolleginnen und Kollegen hatten im Vorfeld auch Briefe von ihren Arbeitgebern erhalten, die mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht hatten, sollten sich die Beschäftigten an den Streiks beteiligen.
Passiert ist nichts!
Der Vortragende zeigte sich froh über die Emanzipation der Kolleginnen und Kollegen, die sich teilweise das erste Mal an aktiven Arbeitskampfmaßnahmen beteiligt hatten.
Konkrete Vorschläge von ver.di
Mit Blick auf EU-Rechtsprechung – in der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie – ist Paragraph 9 (1) AGG nicht mehr rechtskonform. Der Gesetzgeber hierzulande hätte diesen Passus längst "anfassen" müssen. Der EuGH hat geurteilt, dass besondere Anforderungen an die Konfession oder die Tätigkeit in einer kirchlichen Einrichtung nur dann gestellt werden dürfen, wenn es – auf die konkrete Tätigkeit bezogen – wesentlich, gerechtfertigt und rechtmäßig ist. Und obwohl nach Mario Gembus dieser Paragraph durch das EuGH-Urteil rechtsunwirksam ist, wäre eine Streichung ein positives Signal.
Der Reformvorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) für die Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes lautet:
"(1) Dieses Gesetz findet auch auf Religionsgemeinschaften einschließlich ihrer Einrichtungen Anwendung.
(2) Mitbestimmungsrechte finden bei verkündungsnahen Tätigkeiten keine Anwendung. Mitwirkungs- und Beratungsrechte bleiben unberührt."
Ampel-Gespräche ab September
Mitte September sollten Ampel-Gespräche unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stattfinden. Hierfür sind mehrere Termine vorgesehen. Laut Aussage des Referenten sind als Themen das Betriebsverfassungsgesetz, das AGG und der Datenschutz geplant. (Es existiert tatsächlich ein eigenes evangelisches und ein eigenes katholisches Datenschutzrecht, obwohl es eine europäische Datenschutzgrundverordnung gibt, erklärte Gembus den erstaunten Anwesenden.)
Pro Konfession sind circa acht Teilnehmer geplant, darüber hinaus jeweils zwei Vertreter pro Ampelfraktion. Auch eine Beteiligung der Gewerkschaften ist vorgesehen.
Fazit
Es ist Eile geboten.
Das Zeitfenster ist jetzt, um das Thema zugunsten der Beschäftigen im kirchlichen Bereich zu bewegen.
Das SPD-geführte Ministerium für Arbeit und Soziales ist gefragt: Kirchliches Arbeitsrecht ist kein Muss. Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte sehr wohl!