Evolution oder Schöpfung?

Kreationismus in deutschen Grundschullehrplänen

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Dass der Kreationismus überall dort blüht, wo fundamentalistische Kräfte walten, ist längst bekannt. Aber nicht nur in Ankara oder Kansas wird jungen Menschen das "Intelligent Design" vermittelt, in deutschen Grundschulen ist das Unterrichten der Schöpfungsgeschichte die Regel und die Evolutionstheorie die Ausnahme. Die Analyse von über 70 Lehrplänen hält noch andere Überraschungen bereit. 

Verpasste Chancen

Gerade im Grundschulalter stellen Kinder elementare Fragen zu sich und der Welt. Diese Fragen aufzugreifen und in eine Erweiterung des Horizontes und der Erkenntnis zu wandeln, ist Aufgabe einer jeden Lehrkraft. Doch deutsche Grundschulen nutzen diese Chance nicht, wenn es um die Frage geht, woher der Mensch stammt.

Schon rein quantitativ zeigt sich: das Wort "Evolution" kommt nur in zwei Lehrplänen vor, die "Schöpfung" ist in über 30 Lehrplänen erwähnt. Die Evolutionstheorie wird, wenn sie denn überhaupt Eingang in den Unterricht findet, nicht dort vermittelt, wo sie hingehört. Kein einziger Sachkundelehrplan in Deutschland nimmt sich dem Thema an.

Der Bock zum Gärtner

Die religiösen Lehrpläne besetzen eine Lücke, die im Sachkundeunterricht klafft. Immerhin: in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg und im Saarland werden naturwissenschaftliche Konzepte in ihrer inhaltlichen Aussagekraft biblischen Erzählungen übergestellt. So sei der Schöpfungsmythos "heute nicht mehr als naturwissenschaftliche Aussage zu interpretieren", wie es im Lehrplan zum Fach "Evangelische Religion" im Saarland heißt.

In Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen erwähnen die Religionslehrpläne zwar die Evolutionstheorie, setzen diese aber gleichwertig neben ein anderes Konzept zur Entstehung des Lebens. In zehn Bundesländern sind Religionslehrer dazu angehalten, die Evolutionstheorie den Schülern vorzustellen, damit ein Vergleich mit dem biblischen Konzept überhaupt möglich ist. Es wird der Bock zum Gärtner gemacht.

Doch es geht noch schlimmer. In Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Niedersachsen wird der biblische Schöpfungsmythos Grundschülern alternativlos vermittelt. Dass das Land Bayern lieber einen Schwerpunkt "Heimat" im Sachkundelehrplan setzt, als grundsätzliche Fragen zur Humanevolution zu klären, verwundert nicht wirklich. Ein bayerischer Schüler kann zwar am Ende der 4. Klasse heimische Obst- und Gemüsesorten nennen, "[nimmt] schuldhaftes Verhalten wahr" und weiß, dass im "christlichen Glauben (...) Natur als Schöpfung Gottes verstanden [wird]". Woher der Mensch und das Leben wirklich stammt, lernt er jedoch frühestens erst ab der 8. Klasse. Man muss eben Prioritäten setzen. Einzig in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist die Evolutionstheorie im Ethiklehrplan verankert – ohne eine Erwähnung der Schöpfung im gleichen Atemzug. 

Insgesamt zeichnet sich ein desaströses Bild ab 

In keinem Bundesland wird Grundschülern allgemein verbindlich die Evolutionstheorie vermittelt. Katholisch geprägte Bundesländer sind nicht zwangsläufig unwissenschaftlicher als evangelische. So ist der Lehrplan Baden-Württembergs in diesem Punkt aufgeklärter als der Niedersachsens oder Hamburgs. Die Annahme, dass konservativ regierte Bundesländer per se eher kreationistische Lehrpläne verfassen als links regierte, lässt sich auch verwerfen. Demnach sind die unter der absoluten Mehrheit der SPD entstandenen Hamburger Lehrpläne rückschrittlicher als die unter der Großen Koalition verfassten saarländischen. 

Die Streichung des Themas in den Sachkundelehrplänen kann schon deswegen nicht die Lösung sein, da festzustellen ist, dass religiöse Akteure unwissenschaftliche und indoktrinierende Konzepte durch staatliche Institutionen verbreiten.

Es geht auch anders

Initiativen wie das von dem Institut für Biologiedidaktik der Universität Gießen und der Giordano-Bruno-Stiftung ins Leben gerufene Projekt "Evokids" zeigen, dass das wichtige Thema "Evolution" nicht – wie bisher – erst in der 8.–10. Klasse, sondern bereits in der Grundschule gelehrt werden kann und sollte. Denn das Wissen über Evolution ist für das moderne Weltbild von zentraler Bedeutung. Daher sollten Kinder möglichst früh erfahren, wie sich die verschiedenen Lebensformen auf der Erde entwickelt haben.