Dreadlocks bei Weißen, ist das nicht struktureller Rassismus? Derartige Auffassungen werden häufig mit dem "Kulturelle Aneignung"-Konzept begründet. Was damit gemeint sein soll, thematisiert Lars Distelhorst. Die so betitelte Monographie ist differenzierter als viele Schlagworte und wirbt für ein besseres Verständnis, bleibt aber doch einem kulturellen Essenzialismus verhaftet und stellt sich dem Problem der Verallgemeinerbarkeit nicht.
Wenn Dreadlocks von Weißen getragen werden, werden dann Diskriminierungs- und Rassismusvorstellungen reproduziert? Die Debatte um diese Frage flammt immer wieder auf, auch in Deutschland, nicht nur in den USA. Denn derartige Auffassungen gehen einher mit dem "Kulturelle Aneignung"-Vorwurf. Doch was ist mit dem Begriff gemeint und inwieweit kann dabei von einem Dominanzverhältnis gesprochen werden? Antworten will in seinem gleichnamigen Buch darauf Lars Distelhorst geben. Der Autor bemüht sich um eine relativ sachliche Erörterung ohne die ansonsten dazu üblichen Moralisierungen und Zuspitzungen. Gleichwohl betont der Professor für Sozialwissenschaften, hier könne keine überindividuelle und universelle Perspektive eingenommen werden. Denn Distelhorst erklärt als weißer Mann, die Diskriminierung von nicht-weißen Menschen sei für ihn nicht nachfühlbar. Dies wäre aber bei der Betrachtung eine subjektive Kategorie, die für Erörterungen in einem wissenschaftlichen Werk eigentlich nicht relevant ist.
Bereits an diesem Ausgangspunkt zeigt sich, welche Fallstricke hier offenbar vorherrschen. Nachdem Alltagsszenen vom Autor thematisiert werden, sind bei ihm Kolonialismuserinnerungen ein Thema. Dabei geht es etwa um den Fall, wo anlässlich des Karnevals ein Kindergarten dann "Indianer"- und "Scheich"-Verkleidungen problematisch fand, würden doch hier Angehörige von Kulturen aufgrund einer kolonialistischen Vergangenheit herabgewürdigt. Erst danach geht es um eine Definition des Gemeinten, wobei verschiedene Begriffsbestimmungen von Distelhorst erwähnt und kommentiert werden. Er formuliert: "Kulturelle Aneignung interveniert in Auseinandersetzungen um Hegemonie, indem Mitglieder oder Gruppen einer Dominanzkultur sich die Symbole um Emanzipation kämpfender diskriminierter Gruppen zu eigen machen, um diese zu eigenen Zwecken zu recodieren oder in Konsumartikel zu verwandeln, wodurch sie in ihrer Bedeutung verschoben und für die Repräsentation unbrauchbar gemacht werden" (S. 128).
Damit will der Autor dem Essentialismusvorwurf entgehen. Damit ist die Auffassung gegenüber dem Diskurs über "Kulturelle Aneignung" gemeint, hier würden bestimmte Elemente den jeweiligen Kulturen als innerem Wesen zugeschrieben. Derartige Auffassungen kursieren etwa als "Ethnopluralismus" bei der Neuen Rechten. Distelhorst erkennt dieses Problem, verweist er doch als eigenen Ansatz auf das entscheidendere Dominanzverhältnis. Darüber hinaus ergänzt er das Gemeinte noch um eine Kapitalismuskritik. Gleichwohl wird damit die "gefährliche Nähe zu rückwärtsgewandten Kulturkonzeptionen" (S. 71) nicht überwunden. Danach macht er bezogen auf die Aneignung unterschiedliche Dimensionen aus, welche bei "kolonialer Beutekunst" sehr wohl besteht, aber auch herabwürdigend bei den gemeinten Verkleidungen? Hier differenziert der Autor nicht genauer bei den Bewertungen und die Kriterien für die Zuordnung bleiben unklar. Genügt da die Aussage eines einzelnen Minderheitenangehörigen, der Unmut bei bestimmten Vorkommnissen artikuliert?
Distelhorst geht auch von einem Hegemoniekampf aus, blickt aber nur als angeblicher Dominanzfaktor auf die Mehrheitskultur. Wird aber ein Hegemoniekampf nicht auch von der anderen Seite geführt? Wobei hier auch die Frage gestellt werden kann, agieren hier legitimierte Repräsentanten? Denn auch der Identitätslinken und nicht nur der Identitätsrechten geht es doch um eine Machtposition. Dies sollte dann aber auch als Erkenntnis ausformuliert und Reflexionsgegenstand sein. Distelhorst macht es sich mit seinem Dualismus zu einfach, was etwa in den Ausführungen zur Kopftuchfrage deutlich wird. Seine Darstellung läuft daher auf Gruppenidentitäten hinaus, wobei Kritikpotentiale gegenüber den Minderheiten außen vor bleiben. Er meint auch bei zitierten Autoren häufig davor setzen zu müssen, dass es sich um schwarze oder weiße Menschen handelt. Und dann wird nicht das Problem der Verallgemeinerbarkeit angesprochen: Ist es dann auch Ausdruck von strukturellem Rassismus, wenn Jazz von Weißen gespielt wird?