René Pfister, Redakteur des Spiegel in den USA, geht in "Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht" auf die dortigen identitätspolitischen Wirrnisse ein. Das Buch ist nicht so dramatisierend wie der Untertitel suggeriert, hätte aber bei aller aufklärerischen Absicht mehr Systematik verdient gehabt.
Dogmatismus und Fanatismus gibt es nicht nur aus dem rechten Spektrum in den USA. Fundamentalismus und Intoleranz lassen sich auch auf der linken Seite zunehmend ausmachen. Diese Beobachtungen stehen am Beginn einer Reise durch die USA, welche die Leser mit einer Monographie von René Pfister vornehmen können. Seit 2015 ist er Büroleiter des Spiegel in Washington und in seinem Gastland macht er bedenkliche Tendenzen aus. "Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht" lautet der entsprechende Titel. Auf den ersten Blick klingt dies wie eine konservative Kampfschrift, doch damit würde man den Autor wie eben das Buch völlig falsch verstehen. Pfister betont ausdrücklich, er schreibe aus einer liberalen Perspektive. Er beruft sich auf das aufklärerische Ideengut und kritisiert in dessen Namen die beklagten Tendenzen. Diese bestehen in den identitätspolitischen Diskursen, geprägt von "Kultureller Aneignung", "Cancel Culture", "Critical Race Theory" und "Wokeness".
Es handelt sich dabei nicht um das erste Buch zum Thema, haben sich doch auch in Deutschland bereits viele Monographien hiermit beschäftigt. Man hat es aber mit einem Autor zu tun, der von persönlichen Einblicken berichten kann. Er betont immer die Gefahr, dass auch in Deutschland derartige Entwicklungen zunehmen könnten. Bei all dem bleibt er ein berichtender und kommentierender Journalist. Seine Auffassungen zum Dargestellten sind unverkennbar. Da hierbei begründete und nachvollziehbare Einschätzungen vorgetragen werden, muss man darin auch keine kritikwürdige Besonderheit oder Verwerfung sehen. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwieweit bestimmte Entwicklungen tatsächlich für einen allgemeinen Trend stehen. Häufig sind die gemeinten Akteure – worauf der Autor gelegentlich verweist – lediglich eine besonders laute Minderheit. Indessen gelingt es den Akteuren beim Agieren mitunter, den öffentlichen Diskurs mit entsprechenden Positionierungen zu dominieren. Eine derartige Entwicklung kritisiert Pfister heftig.
Dies geschieht aber alles nicht in systematischer Form mit klarer Struktur, man hat es teilweise mit umgearbeiteten Artikeln für den Spiegel in dessen Stil zu tun. Darüber hinaus geht es einmal nur um Fallbeispiele etwa zu konkreten Personen, seien dies Dorian Abbot oder Ian Buruma, Chris Rufo oder David Shor. Dann stehen anhand von Beispielen die Entwicklungen in den Medien oder an den Universitäten ausführlicher im Zentrum. Gelegentlich dekonstruiert der Autor auch kritisch bekannte Protagonisten, etwa Robin DiAngelo oder Ibram X. Kendi. Häufig treffen die Einwände zu deren Glaubensfixierung und Zirkelschlüssen recht gut zu. Und dann werden immer wieder die Fehlentwicklungen nicht nur bei der amerikanischen, sondern auch den deutschen Linken betont. Indirekt geschieht dies auch in den Darstellungen zu großen Konzernen, die sich durch Identitätsthemen ein besseres Image geben wollen, aber keine Änderungen bei der Behandlung von Mitarbeitern oder der konkreten Praxis ihrer Produktionsweise vornehmen.
Pfister formuliert als abschließende These dazu: "Linke Identitätspolitik schadet vor allem der politischen Mitte und dem aufgeklärten Lager. Sie hilft einem bestimmten politischen Milieu, sich selbst zu vergewissern und sich in der Meinung zu beschränken, mit einer höheren Moral ausgestattet zu sein. Die Dogmen und Glaubenssätze in dieser kleinen Blase aber sind so rigide, dass sie auf eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler abstoßend wirken – und zwar ganz unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe" (S. 216). Gerade dies veranschaulichen auch die empirischen Daten bei der Entwicklung der Trump-Wähler. Deutlich betont der Autor außerdem die Gefahr des gegenseitigen Hochschaukelns, wobei dann nur noch Gesinnungsbekundungen und Polarisierungen im Zentrum stehen. Die Diskursfähigkeit bezogen überhaupt auf die schlichte Faktenwahrnehmung geht in solchen Konflikten immer mehr zurück. Die Kritik von Pfister richtet sich meist nur gegen die eine Seite. Die strukturellen Gemeinsamkeiten mit der anderen Seite hätten noch stärker Thema sein können.
René Pfister, Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht, München 2022, Deutsche Verlagsanstalt, 254 Seiten, 22 Euro