Die Gefahren der Identitätspolitik thematisiert Yascha Mounk in seinem neuen Werk: "Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee". Der deutsche Politikwissenschaftler, der in den USA lehrt, betont dortige bedenkliche Tendenzen, aber aus einer liberalen Blickrichtung, nicht als schlichter Reaktionär.
Die Standardperspektive auf die Auseinandersetzung über "Wokeness" und Identitätspolitik war lange Zeit, dass sich linke Verteidiger von Minderheitenrechten und rechte Vertreter der "Mehrheits-" oder "Dominanzgesellschaft" gegenüberstehen. Eine breit besetzte Podiumsdiskussion in Frankfurt (Main) am vergangenen Freitag gab Denkanstöße, dass die Konfliktlinien möglicherweise etwas anders verlaufen.
Dass der Einsatz gegen die Diskriminierung von Minderheitenangehörigen eine gute Sache ist, dem dürften hierzulande vermutlich viele Menschen zustimmen. Doch ob der Weg, den linke Identitätspolitik hierbei einschlägt, der richtige ist, ist zweifelhaft. Aber was genau ist eigentlich an Identitätspolitik problematisch?
In der GWUP wird heftig darüber gestritten, ob die Fächer der Critical Studies wie Gender oder Queer Studies, Critical Race Theory oder Postcolonial Studies auf Wissenschaftlichkeit untersucht werden sollten – und wie rechts Kritik an "Wokeness" ist. Die Äußerungen des neuen Vorsitzenden glätten die Wogen nicht, sondern gießen eher Öl ins Feuer.
Einen Essay gegen die "Identitätspolitik" legt Bernd Stegemann mit eben diesem schlichten Titel vor. Das Buch neigt zwar gelegentlich zu Schiefen und Überspitzungen, argumentiert aber gegen die mit der Identitätspolitik einhergehende Ignoranz gegenüber Klassenpolitik und die Negierung des Universalismus überzeugend an.
Gruppen-Identitäten beherrschen derzeit viele politische Debatten. Der Ethnologe Christoph Antweiler lenkt in seinem Buch "Heimat Mensch" den Blick auf die zahlreichen fundamentalen Gemeinsamkeiten, die alle Menschen miteinander teilen. Der hpd sprach mit ihm über Vielfalt und Gleichheit, Identitätspolitik und Universalismus.
Nach dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau im Februar 2020 mit neun Getöteten wurde in Berlin auf Betreiben des damaligen Justizsenators Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) eine Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus eingesetzt, die im Februar 2021 ihre Arbeit aufnahm. Nun hat die fünfköpfige Kommission "Handlungsempfehlungen" vorgelegt, die allerdings kaum Wirkung gegen Rassismus entfalten werden, da sie vor allem darauf abzielen, religiöse vor anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu bevorzugen.
René Pfister, Redakteur des Spiegel in den USA, geht in "Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht" auf die dortigen identitätspolitischen Wirrnisse ein. Das Buch ist nicht so dramatisierend wie der Untertitel suggeriert, hätte aber bei aller aufklärerischen Absicht mehr Systematik verdient gehabt.
Die Ethnologin Susanne Schröter legt mit "Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass" einen kritischen Blick auf die Entwicklung in der westlichen Welt vor, wobei die Außen- und Identitätspolitik den Schwerpunkt bilden. Viele Ambivalenzen und Doppelmoralen werden durch den Problemaufriss deutlich herausgearbeitet, wobei in zukünftigen Debatten dazu die genauen Ursachen noch mehr thematisiert werden sollten.
Friedrich Böttiger, ein promovierter Sozialwissenschaftler, will in "Der Mensch ohne Gesicht" eine so im Untertitel versprochene "Kritik der Identitätspolitik" aus "dialektisch-materialistischer" Sicht vornehmen. Der Darstellung fehlt indessen schlicht die Bodenhaftung, ergeht sie sich doch in abstrakten Reflexionen.
In ihrem Buch "Zynische Theorien" kritisieren Helen Pluckrose und James Lindsay die identititätspolitischen Entwicklungen von links, welche über das Engagement für Minderheiten zur Renaissance des Stammesdenkens führe. Anschaulich machen die Autoren dabei deutlich, dass die ideengeschichtlichen Hintergründe dafür im Postmodernismus zu sehen sind. Ein lesenswertes Buch zu einer aktuellen Kontroverse.
Dreadlocks bei Weißen, ist das nicht struktureller Rassismus? Derartige Auffassungen werden häufig mit dem "Kulturelle Aneignung"-Konzept begründet. Was damit gemeint sein soll, thematisiert Lars Distelhorst. Die so betitelte Monographie ist differenzierter als viele Schlagworte und wirbt für ein besseres Verständnis, bleibt aber doch einem kulturellen Essenzialismus verhaftet und stellt sich dem Problem der Verallgemeinerbarkeit nicht.
Auch in seinem neuen Buch kritisiert Bernd Stegemann die linke Identitätspolitik, wenngleich der gewählte Titel "Wutkultur" das nicht vermuten lässt. Der Autor macht in seinem Essay anschaulich deutlich, dass mit der kritisierten Form von Identitätspolitik auch Individualismus und Universalismus objektiv negiert würden.
Der bekannte französische Essayist Pascal Bruckner, ein flammender Anhänger von Aufklärung, Laizität und Menschenrechten, kritisiert in seinem neuen Essay "Ein nahezu perfekter Täter" die "Konstruktion des weißen Sündenbocks". In bestimmten Erscheinungsformen wie etwa des identitären Anti-Rassismus sieht er das Umschlagen in einen Obskurantismus, was bei aller polemischer Darstellungsweise für eine reale Gefahr eben auch für Aufklärung, Laizität und Menschenrechte steht.
Die beiden Journalisten Jan Feddersen und Philipp Gessler legen mit "Kampf der Identitäten. Für eine Rückbesinnung auf linke Ideale" eine kritische Einführung zum Thema vor. Das Buch enthält nicht unbedingt viele neue Erkenntnisse, liefert aber wichtige Detailinformationen wie Einschätzungen für die eskalierende Kontroverse.