Landesregierung beschließt:

Uni Tübingen soll Speerspitze der "alternativen Medizin" werden

Das schwarz-grüne Landeskabinett möchte Forschungen auf dem Gebiet der alternativen Heilpraktiken die Sporen geben. 2019 wird die Universität im baden-württembergischen Tübingen einen Lehrstuhl für integrative Medizin und Naturheilkunde zu Wasser lassen, so ein entsprechender Beschluss. Erklärtes Ziel ist auch die rasche Ausbildung zusätzlicher "Alternativmediziner".

Ausgerechnet im Bereich der Onkologie, also der Krebsforschung, soll die neue Professur beheimatet werden und im Zentrum für Tumorerkrankungen des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart komplementärmedizinische Praktiken wie etwa Probiotika oder Akupunktur erproben. Zwar räumte das Wissenschaftsministerium ein, "sogenannte sanfte oder natürliche Methoden" seien alleine kein Allheilmittel gegen Krebs, könnten jedoch die schulmedizinische Behandlung potenziell unterstützen. Ministerin Theresia Bauer (Die Grünen) begründete die Stoßrichtung mit der allgemeinen Beliebtheit von Alternativmedizin. Die Entwicklung fußt aber auch auf dem Koalitionsvertrag der beiden Landesregierungsparteien, laut welchem Baden-Württemberg eine "Vorreiterrolle in der Erforschung der Komplementärmedizin" einnehmen solle. Die Wirksamkeit solcher Therapien sei kaum erforscht, so auch Ingo Autenrieth, Dekan der Medizinischen Fakultät Tübingens und versichert: "Ideologien und alles, was nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sortieren wir aus".

Die Nützlichkeit des Unterfangens bleibt abzuwarten, ist doch die Wirksamkeit fraglicher Ansätze, jenseits des Placeboeffekts, in umfangreichen Studien mehrfach widerlegt worden. Zwei Möglichkeiten: Falls der zukünftige Lehrstuhl tatsächlich eine methodische, wissenschaftsgemäße Ausrichtung aufweisen sollte, so ist dieser überflüssig. Und falls es sich um vage Quacksalberei handeln wird, könnte es sogar gefährlich werden; "alternative Heilmethoden" und "sanfte oder natürliche Methoden" sind, entgegen des obigen Fauxpas seitens des Wissenschaftsministeriums, nämlich keineswegs dasselbe. Nicht selten verursachen unwissenschaftliche Ansätze mehr medizinische Komplikationen, als sie verhindern können – zudem könnte diese politische Offensive pseudomedizinischen Strukturen einen seriösen Anstrich verleihen, was einer lange überfälligen Aufklärung in diesen Bereichen zuwiderlaufen würde.

In den ersten fünf Jahren soll der Lehrstuhl mit rund 2 Millionen Euro aus dem Fonds der Robert-Bosch-Stiftung finanziert werden, der seine Mittel seinerseits überwiegend aus Privatspenden speist. Im Anschluss fällt die Rechnung in staatliche Hände.

Grund zur Freude auch bei Herstellern alternativer Arznei. "Wir sehen mit Erstaunen und Befremden, dass eine bewährte Therapierichtung wie die Homöopathie, die Teil der Vielfalt des therapeutischen Angebots in Deutschland ist, diskreditiert werden soll", wird ein Sprecher des Herstellers Weleda AG von der Deutschen Presse-Agentur zitiert. Dagegen erklärte Autenrieth: "Strömungen wie Homöopathie oder Anthroposophie sollen nicht gelehrt, aber innerhalb der Lehre beleuchtet werden." Dann wiederum: Seit 1975 besitzt die Uni Tübingen einen Arbeitskreis Homöopathie, der Kurse für Einsteiger und Fortgeschrittene anbietet.