Kommentar

"Religionsunterricht macht unmündig"

schule.jpg

Kein Ort für religiöse Indoktrination: die Schule.

Der Religionsunterricht an staatlichen Regelschulen kann seine Existenz argumentativ nicht rechtfertigen, was das Fach aber keineswegs davon abhält, sein Ende mit allen Mitteln in die Länge zu ziehen. Erst kürzlich zog Luxemburg "Reli" den Stecker. Weshalb dieser Schritt auch in Deutschland lange überfällig ist, findet zahllose zwingende Gründe.

Religionsunterricht lehrt einseitige Normativität 

Während in allen übrigen Fächern der sogenannte "Beutelsbacher Konsens" den Lehrpersonen verbietet, zu Fragen der Ethik oder Weltanschauung Position zu beziehen, gehört es hier zum guten Ton, über das Lehrerpult hinweg zu moralisieren. Auch wenn einzelne Lehrkräfte dieses Machtpotenzial nicht ausschöpfen und vielleicht sogar kritische Episoden in das Unterrichtssegment einbauen, um einen Anschein von Transparenz zu erwecken: Die Offenbarungsschriften halten die letztlich richtigen Antworten parat.

Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass deutscher Religionsunterricht konfessionsgebunden erfolgt, die Schülerschaft also nach Konfessionszugehörigkeit sortiert beschult werden. Man stelle sich vor, im Sozialkundeunterricht würde aufgeteilt: Im ersten Kurs würden einzig marxistische Texte behandelt, wenngleich gelegentlich mit hinterfragendem Narrativ, während die andere Klassenhälfte ausschließlich neoliberale Schriften büffelte. Dies wäre offensichtlich inakzeptabel. Wieso erregt diese Systematik in den Religionen weniger Empörung? Vielleicht, weil wir uns einfach daran gewöhnt haben. 

Die Untergliederung der Lernenden nach Bekenntnis ist übrigens weitaus ungewöhnlicher, als man es intuitiv annehmen würde. In kaum einem anderen Land findet sich ein vergleichbares Modell.

Religionsunterricht macht unmündig

Konzeptualisiert man den Religionsunterricht als Vermittlung der Offenbarungslehre, widerspricht er dem aufklärerischen Bildungsauftrag, wie er in der übergreifenden Schulordnung (ÜSchO) verankert ist. Die Anerziehung eines antiquierten Sets überholter Überzeugungen steht nicht im Dienste einer Entfaltung zu mündigen Bürgern. Eine Verteidigung gegen diesen Einwand wird abermals durch die Konfessionsbindung erschwert. Ganz offensichtlich soll die jeweils gewählte Religion als normativer Fluchtpunkt dienen, was Güter wie Pluralität oder offene Diskursivität zu Treppenwitzen degradiert. Ein Austausch zwischen den Weltbildern wird aktiv verhindert, stattdessen wird dem Entstehen eines Ingroup-Bias guter Nährboden gestreut. Ein "Wir" wird konstruiert und gegen "die Anderen" kontrastiert; der bestmögliche Vorschub für breite Gräben zwischen den Religionen, eine religiöse Ghettoisierung.

Auch fraglich, wie in diesem Lichte noch von Religionsfreiheit gesprochen werden kann. Es gibt schließlich keine katholischen Kinder, es gibt auch keine muslimischen Kinder. Lediglich Kinder katholischer oder muslimischer Eltern. Dasselbe gilt für alle übrigen Konfessionen. Hat sich ein solches Kind wirklich für seine Religion entschieden, wenn es schon in der Grundschule zu mustergültigen Anhängern des sozial geerbten Bekenntnisses geformt wurde? Eher leistet der Staat Beihilfe zur systematischen Gehirnwäsche, ist es doch eher auszuschließen, dass sich die meisten Kinder vollkommen frei und aus purem Zufall für genau jene Religion entscheiden, zu welcher sie erzogen wurden.

Religionsunterricht ist unwissenschaftlich

Dass keine religiöse Offenbarungslehre dieser Welt einer wissenschaftlichen Prüfung standhält, dürfte allgemeinen Konsens finden. Dem zu widersprechen wird wohl auch den meisten Religionslehrern zu heikel sein, weswegen man sich in eine Metaperspektive zu flüchten pflegt. Der Unterricht gebe nicht einfach nur die Offenbarung wieder, sie lehre einen methodisch-wissenschaftlichen Umgang damit, heißt es oft. Man will sich der Offenbarung historisch, philosophisch, soziologisch oder gar literaturwissenschaftlich nähern. Aber gibt es dafür nicht die Fächer Geschichte, Philosophie, Sozialkunde und Deutsch, die mit speziell für die jeweilige Methodologie ausgebildeten Lehrpersonen aufwarten können?

Wäre der Umgang mit dem Glauben im Religionsunterricht federführend wissenschaftlicher Art, ließe er sich restlos durch jene Fächer ersetzen, die hier behelfsmäßig imitiert werden sollen. Religion ist zwar ein bedeutsamer Bestandteil der Menschheitsgeschichte und kann als Unterrichtsgegenstand nicht ignoriert werden, gleichzeitig ist sie aber auch nicht wichtig genug, dass sie eines separaten, interdisziplinären Fachs bedürfte, dem die meisten Bundesländer drei Stunden pro Woche widmen. 

Wem nun der diffuse Gedanke kommt, die analoge Übertragung des Themas Religion in andere Wissenschaften sei verlustbehaftet, sollte sich nun fragen, was denn genau verloren ginge. Etwa Unwissenschaftliches?

Religionsunterricht ist nicht meinungsfrei

Im Religionsunterricht werden Tests geschrieben, wie in allen anderen Fächern auch. Das Bestehen dieser ist notwendig, um den jeweiligen Schulabschluss zu erreichen. Es scheint also unausweichlich, sich als Schüler an einer religiösen Metrik bemessen zu lassen. Dass Schule ein größtmögliches Machtgefälle zwischen Lehrer- und Schülerschaft ist, liegt in der Natur der Sache, weshalb Anpassungsdruck eine wirkliche Meinungsbildung verhindert. Jedem Schüler und jeder Schülerin ist klar, dass pro-religiöse Statements im Religionsunterricht besser ankommen als ketzerische Pamphlete. Ich spreche über unterbewusste Mechaniken, die so tief in der evolutionären Menschwerdung verhaftet sind, dass sie sich kaum umgehen lassen. Die Reihenfolge lautet: Kampf, Flucht, Unterwerfung. Ist das eine nicht möglich, triggert unser Reptilienhirn das nächste. Haben Sie als SchülerIn schon einmal versucht, in einer Prüfungssituation zu kämpfen oder zu fliehen?

Religion wird, als sogenanntes Nebenfach, folgende Regelung zuteil: Die Zeugnisnote konstituiert sich zu zwei Dritteln aus den Epochalnoten, also jenen Noten, welche der Lehrer über die Mitarbeit in ganz gewöhnlichen Unterrichtsstunden vergibt. Der Unterricht ist also eine ununterbrochene Prüfungssituation. Welcher Schüler würde es da für eine gute Idee halten, seinem Lehrer die Stirn zu bieten? Survival of the fittest (Überleben des Angepasstesten) scheint die bessere Strategie, wenn man eine gute Note haben möchte. Ein Problem, das sich in einem weltanschaulich neutralen Schulsystem nicht ergäbe.

Allgemeinverbindlicher Ethikunterricht wäre in jeder Hinsicht überlegen

Ich bin bereit, dem Religionsunterricht ein einziges gutes Haar zu lassen: Er kann sinnstiftend wirken, lebensweltliche Orientierung anbieten. Doch darauf besteht kein Monopol. Würde stattdessen ein Ethikunterricht eingeführt, der nicht nur ein paar Kindern als behelfsmäßiges Ersatzfach vorbehalten bliebe, könnten dieselben abstrakten Fragen des Lebens behandelt werden, ohne auf religiöse Indoktrination zurückzugreifen.

Wo Religionsunterricht religiöse Werte vermittelt, präsentiert Ethikunterricht ethische Werte. Beide Disziplinen bieten Antworten auf die Frage: "Was soll ich tun?" – Die Ethik bietet sogar ein paar hundert mehr davon als nur eine einzige. Eine heterogene Lerngemeinschaft könnte gesellschaftliche Diskurse im Klassenzimmer abbilden und die mündige Bewältigung moderner Pluralität einüben. Traditionelle Dogmen könnten wissenschaftlichen Argumenten in einem fairen Wettstreit gegenübergestellt werden. Und das politisch-administrative System könnte ein Element von der langen Liste jener Belange streichen, in denen man die verfassungsgemäße Trennung von Staat und Kirche eher gewagt zu interpretieren pflegt.