Neues Jahrbuch für Antisemitismusforschung erschienen

Das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin hat seine neue Ausgabe des "Jahrbuchs für Antisemitismusforschung" veröffentlicht. Es enthält wieder eine Fülle von beachtenswerten Fallstudien zu unterschiedlichen Gesichtspunkten der Judenfeindschaft.

Bereits im 27. Jahr erscheint das "Jahrbuch für Antisemitismusforschung", das vom "Zentrum für Antisemitismusforschung" an der TU Berlin herausgegeben wird. Zunächst tat dies der frühere Leiter Wolfgang Benz, jetzt die gegenwärtige Leiterin Stefanie Schüler-Springorum. Bereits im ersten Satz des Vorworts bemerkt sie, dass Antisemitismus der Schwerpunkt des Zentrums sei. Schüler-Springorum betont darüber hinaus, dies belegte die statistische Auswertung der unterschiedlichen Aktivitäten. Diese Bekundung überrascht zunächst, erklärt sich womöglich aber durch Vorwürfe an das Zentrum. Ihm wurde unterstellt, die Bedeutung der Judenfeindschaft zu relativieren oder zu verharmlosen. Zwar hatte Benz gelegentlich zumindest missverständliche Einschätzungen vorgetragen, daraufhin erfolgte Anschuldigungen standen indessen in keinem Verhältnis dazu. Nun sah sich Schüler-Springorum offenbar "genötigt" darauf hinzuweisen, dass in der aktuellen Ausgabe des Jahrbuchs nur Hauptaufsätze zum Antisemitismus enthalten sind.

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Die damit gemeinten acht Abhandlungen wurden in drei Kapitel eingeteilt: Zunächst geht es um "Antisemitismus in Literatur und Musik", wobei Rahel Stennes sich mit der Konstruktion komplementärer Feindbilder bei Clemens Brentano bezogen auf "Jude" und "Philister" beschäftigt, und Boris Blahak die Sprache von Operngestalten bei Richard Wagner hinsichtlich möglicher antisemitischer Prägungen untersucht. "Antisemitismus in Europa in Geschichte und Gegenwart" lautet das darauf folgende Kapitel: Darin behandelt Cordelia Hess die antijüdischen Ausschreitungen in Stockholm, Andreas Brämer analysiert den Kontext von Antisemitismus und Tierschutzbewegung in der frühen Bundesrepublik am Beispiel von Karl-Ferdinand Finus, Margit Reiter analysiert den Antisemitismus in der Frühgeschichte der "Freiheitlichen Partei Österreichs", und Nora Lege und Stefan Munnes widmen sich der Frage nach einem "postmodernen Antisemitismus" bezogen auf Betrachtungen zu den "Mahnwachen für den Frieden".

Der dritte Hauptteil ist dann noch den "Verschwörungstheorien" gewidmet: Hier nimmt Max Laube eine Medienanalyse zu antisemitischen Konspirationsvorstellungen in Chile vor, wo ein israelischer Tourist unbeabsichtigt einen Waldbrand ausgelöst hatte, und Eren Yildirim Yetkin geht auf den Antisemitismus der konservativ-nationalistischen Szene in der Türkei ein, wobei er die Schriften dreier "Vordenker" analysiert. Im Anhang finden sich noch vier Debattenbeiträge, die dann tatsächlich nicht mehr dem Antisemitismus gewidmet sind. Diese beziehen sich auf die Kontroverse um die Frage, ob man öffentlich "mit Rechten reden" solle. Ein einschlägiges Buch zum Thema hatte diese befruchtet. Hier findet man dann auch keine wissenschaftlichen Abhandlungen dazu, sondern persönliche Kommentare. Sie stammen von Sina Arnold, Marcus Funck, Sabine Hark und Samuel Salzborn. Für eine Debatte gehört es sich, dass unterschiedliche Positionen vertreten werden. Sie reichen hier von einem eingeschränkten "ja" bis zum einem betonten "nein".

Erneut ist es gelungen, eine Ansammlung von fachkundigen und interessanten Fallstudien zusammenzustellen. Dabei wurde auch jüngeren Antisemitismus-Forschern ein Forum gegeben. Es fällt indessen eine sehr kleinteilige Themenwahl auf. Meist geht es um einzelne Komponisten oder Tierschützer, Bewegungen oder Parteien. Damit geraten allgemeinere und theoretischere Fragen etwas aus dem Blick. Eine Ausnahme ist hier die Fallstudie zu einer chilenischen Konspirationsvorstellung, die einen ausführlichen Abschnitt zu Forschungskontroversen über derartige Sachverhalte enthält. Ansonsten fehlen vergleichende Abhandlungen, was sich wohl mit der einleitend erwähnten Kritik am Zentrum erklärt. In Deutschland scheint es auch in der akademischen Welt schwer zu sein, zwischen einer Gleichsetzung und einem Vergleich zu unterscheiden. Ersteres ist das Ergebnis, letzteres die Methode dazu. Auch in der Antisemitismusforschung kann man viel mit der offenen Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden lernen.

Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Bd. 27, Berlin 2018 (Metropol-Verlag), 255 S., 16,00 Euro