Auch die Christen können diskriminierte Minderheit: Ein queeres Abendmahl bei den Olympischen Spielen? Da musste man sich auf jeden Fall zu Wort melden – zusammen mit den Autokraten dieser Welt. Auch wenn der Anlass gar nicht passte.
Nun ist es wieder erloschen, das olympische Feuer und mit ihm hoffentlich auch der "Skandal" um das angeblich nachgestellte Letzte Abendmahl bei der Eröffnungsfeier. Da lag ein fast nackter Dionysos auf einem Tisch und sang, umgeben von queeren Darstellern. Passend zu den antiken Urhebern der Olympischen Spiele, könnte man meinen, die ja gegenüber Sexualität deutlich liberaler eingestellt waren als ihre christlichen Kulturnachfolger. Aber nein – Empörung folgte bei denen, deren Gott noch nicht tot ist. Die griechischen Götter, die offiziell als Teil einer Mythologie bezeichnet werden, haben keine Anhänger mehr, die "Blasphemie" schreien, wann immer sich jemand in einer Weise mit ihren Objekten der Verehrung befasst, die ihnen missfällt. Christen auf der ganzen Welt seien durch die Übertreibung und Provokation bestimmter Szenen verletzt worden, beklagte die Französische Bischofskonferenz laut Vatican News. Es sei eine "blasphemische Verhöhnung eines der heiligsten Momente des Christentums" gewesen (Il Giornale).
Die immer wieder zutage tretende Allianz aus konservativen Religionsvertretern und rechten Politikern ließ auch hier nicht lange auf sich warten: Viktor Orbán (Ungarn) sprach vom "moralischen Verfall des Westens", Donald Trump (USA) von einer "Schande".
katholisch.de gab sich unaufgeregter und verwies in einem Interview mit einem Kunstexperten darauf, dass nicht jeder lange Tisch mit einer tafelnden Gemeinschaft, der einmal gemalt wurde, das letzte Abendmahl darstelle. Der Regisseur der Eröffnungsfeier hatte da bereits klargestellt, dass sich die Inszenierung auf "Das Festmahl der Götter" von Jan Van Biljert bezog. Das Luxemburger Wort beschreibt die Darstellung so: "Die Götter des Olymps feiern die Hochzeit von Thetis und Peleus, und in der Mitte des Tisches befindet sich nicht Christus, sondern der gekrönte Apollon als Sonnengott. Im Vordergrund liegt derweil Bacchus-Dionysos. In der griechischen Klassik wurde Helios mit Apollon gleichgesetzt, und der Apollon in der Szene bei der Eröffnungsfeier ist auch so dargestellt – mit Sonnenstrahlen am Kopf. Und da schließt sich ein weiterer Kreis zu Olympia und zum olympischen Feuer." Die Unterüberschrift des Artikels lautet: "Der Streit in Frankreich offenbart Unkenntnis Rechtsextremer und Kirchenoberhäupter in griechischer Mythologie und heidnischer Kultur."
Das hielt jedoch den Vatikan nicht davon ab, gut eine Woche später noch einmal eine offizielle Erklärung herauszugeben, in der man sich "betrübt" zeigte. Der Heilige Stuhl könne sich "nur den Stimmen anschließen, die in den letzten Tagen erhoben wurden, um die Beleidigung zu bedauern, die vielen Christen und Gläubigen anderer Religionen zugefügt wurde". Eine Distanzierung von rechten Kommentaren klingt anders. Der Vatikan hatte außerdem noch eine eigene Interpretation der Meinungsfreiheit zu bieten: sie sei zwar ein grundlegendes Recht, finde jedoch in der Achtung vor dem Anderen ihre Grenze.
Einzuräumen, dass man sich geirrt hat, weil das Ganze gar nicht so konzipiert war, wie unterstellt, würde Größe und Demut erfordern. Stattdessen reichte diese ganze Posse einigen bereits wieder aus, den Regisseur der Eröffnungsfeier mit dem Tod zu bedrohen. Es ist erschütternd, was manche Zeitgenossen, die mutmaßlich in einer liberalen Demokratie aufgewachsen sind, für ein todeswürdiges Verbrechen halten.