Vatikan

Papst Franziskus und die Menschenrechte

papst_fransziskus_0_0.png

Papst Franziskus
Papst Franziskus

In seiner Neujahrsansprache sprach Papst Franziskus zahlreiche Mahnungen aus. Unter anderem warnte er vor einer vermeintlichen Fehlinterpretation der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Was ist davon zu halten? 

Papst Franziskus alias Jorge Mario Bergoglio hat eine Neujahrsansprache an die im Vatikan akkreditierten Botschafter gehalten, in der er die Position der katholischen Kirche zu unterschiedlichen Themen skizzierte. Einen Großteil seiner Rede widmete Franziskus dabei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Für katholische Verhältnisse wirken viele Ausführungen der päpstlichen Rede recht modern und weltoffen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch schnell deutlich, wie rückständig das Denken von Franziskus im Bezug auf die Menschenrechte ist, mit denen sich der Vatikan noch nie wirklich anfreunden konnte.

So betont Franziskus: "Von den Menschenrechten zu sprechen bedeutet nämlich für den Heiligen Stuhl vor allem, immer wieder auf die zentrale Stellung der Würde des Menschen, der von Gott gewollt und als sein Abbild ihm ähnlich geschaffen ist, hinzuweisen." Ihre Voraussetzung würden die Menschenrechte ferner aus der "Natur" beziehen, "die das Menschengeschlecht objektiv vereint."

Franziskus folgt mit dieser Formulierung der römisch-katholischen Naturrechtslehre, die von der Verbindlichkeit des göttlichen Willens als einer finalen, überzeitlichen Gesetzmäßigkeit in der Welt ausgeht, der sich Menschen unterzuordnen haben. Die gottgewollte Norm steht demnach über jedem positiven Recht und über jedem demokratisch ausgehandelten Vertrag. Menschenrechte verdienen für die katholische Kirche daher nur insofern Anerkennung, als sie im Einklang mit christlichen Moralvorstellungen stehen.

Vormoderne Ansichten

In der Neujahrsansprache des Papstes wird schnell deutlich, welche Implikationen diese theologische Argumentation hat, nämlich unter anderem die rigorose Verdammung von Schwangerschaftsabbrüchen, die er ohne Rücksicht auf die Selbstbestimmung der Frau und ohne weitere Begründung aus dem Recht auf Leben folgert: "Ich denke vor allem an die unschuldigen Kinder, die noch vor ihrer Geburt 'weggeworfen' werden; man will sie zuweilen nicht, nur weil sie krank oder missgebildet sind oder aufgrund des Egoismus der Erwachsenen."

Ebenso warnt Franziskus davor, "dass die Familie besonders im Westen als eine veraltete Institution betrachtet wird". Das Recht, eine Familie zu gründen, werde durch "flüchtige Bindungen" gefährdet. Als Fundament der Familie versteht er gemäß dem Katechismus der katholischen Kirche "die Gemeinschaft der treuen und unauflöslichen Liebe, die Mann und Frau eint."

Aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lässt sich ein solches Eheverständnis freilich nicht ableiten. Vielmehr kommt in Franziskus' Haltung auch eine Ablehnung der Homosexualität zum Ausdruck. Bereits 2010 demonstrierte er (damals noch Erzbischof von Buenos Aires) seine wahnhafte Homophobie. Als in Argentinien über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare abgestimmt wurde, bezeichnete er die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften als einen "Angriff auf den Plan Gottes", ja sogar als einen "Schachzug des Teufels". Das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare bewertete er als eine Diskriminierung von Kindern. 

Ablehnung des Individualismus 

Franziskus erklärte in seiner Neujahrsansprache, dass "vor allem im Anschluss an die sozialen Unruhen der 68er-Jahre die Interpretation einiger Rechte fortschreitend derart abgeändert wurde, dass diese eine Vielzahl 'neuer Rechte' einschließt, die oft im Widerspruch zueinander stehen." Einen ähnliche Formulierung findet man in einer Rede des Papstes aus dem Jahr 2014: Laut Franziskus müsse man Acht geben, nicht "Missverständnissen zu verfallen, die aus einem falschen Verständnis des Begriffes Menschenrechte und deren widersinnigem Gebrauch hervorgehen." Es gebe nämlich heute "die Tendenz zu einer immer weiter reichenden Beanspruchung der individuellen – ich bin versucht zu sagen: individualistischen – Rechte". 

Liegt tatsächlich ein falsches Verständnis der Menschenrechte vor, wie es Franziskus behauptet? Aus säkular-humanistischer Sicht kann man die Beanspruchung der individuellen Rechte – insbesondere gegen kollektivistische Sittlichkeitsempfindungen – nur begrüßen. Schließlich war es eine der größten politischen Errungenschaften der Aufklärungsbewegung, dass nicht die Freiheit des Individuums rechtfertigungspflichtig ist, sondern gesellschaftliche Restriktionen, die allzu oft religiös begründet wurden und werden. Demnach sollten mündige Bürgerinnen und Bürger tun und lassen dürfen, was sie wollen, solange sie damit nicht die Rechte anderer verletzen. Denn jeder Mensch ist der einzige souveräne Herrscher über sich selbst und über seinen Körper. Dass dies ein Dorn im Auge der katholischen Kirche ist, ist verständlich. Für eine menschenrechtsorientierte Gesellschaft, die das Wohl jedes Einzelnen im Blick hat, ist es demgegenüber ein gewaltiger Fortschritt.