Projekt "bekenntnisfreie Schule" wird in der Gewerkschaft diskutiert

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In der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist das Thema "Bekenntnisfreie Schule" angekommen. Auf dem Gewerkschaftstag im Mai lag ein Antrag zur "Einführung der bekenntnisfreien Schule" vor, eingebracht von der "Bundesfachgruppe Gesamtschulen" und von der Antragskommission zur Annahme empfohlen.

Verabschiedet wurde er nicht – aus Zeitnot – so wie viele andere Anträge auch.

Diesem Antrag ging eine mehr als dreijährige Diskussion voraus. Das Projekt "Bekenntnisfreie Schule" wurde in dieser Zeit präzisiert: Es handelt sich um die machbare verfassungsgemäße Alternative zum bekenntnisorientierten Religionsunterricht, der als einziges Fach im Grundgesetz verankert ist und "die Vermittlung von Glaubenssätzen einer Religionsgemeinschaft zum Gegenstand" hat. Dieser Hinweis garantiert den Kirchen eine große Macht über Inhalte, Ziele und das Personal des Religionsunterrichts. Das ist heute immer noch Grundlage der Lehr-Erlaubnis, die ausschließlich die jeweilige Kirche vergeben darf: zum Beispiel die "Vocatio" bei den evangelischen, die "Missio Canonica" bei den katholischen sowie die "Idschaza" bei den muslimischen Religionsgemeinschaften.

Das Projekt "bekenntnisorientierter Unterricht" ist eine freiwillige, keineswegs als flächendeckend verstandene Alternative, die einigen daran interessierten Schulen und Schulträgern auf Antrag zur Verfügung stehen soll. Zwei GEW-Landesverbände haben inzwischen dazu entsprechende Beschlüsse gefasst.

In dieser Auseinandersetzung wurden der "Bundesfachgruppe Gesamtschulen" einige Fragen häufiger gestellt:

"Ist die Forderung nach Einführung der bekenntnisfreien Schule nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts an Schulen?"

Ja, das ist sie, aber nur für die Schule, deren Schulträger diesen Antrag stellt. Diese Schule könnte dann statt bekenntnisorientiertem Religionsunterricht ein gemeinsames Unterrichtsfach für alle Schüler*innen einer Lerngruppe als "ordentliches" Fach anbieten. Solche Fächer gibt es inzwischen in jedem Bundesland. Die Kultusministerkonferenz (KMK) berichtet darüber in ihrem Bericht vom 25. Juni 2020: "Zur Situation in den Fächern Ethik, Philosophie, Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER), Werte und Normen in der Bundesrepublik Deutschland". Die Einführung dieser Fächer in den Stundenplan der Sekundarstufe I als Alternativfächer zum bekenntnisorientierten Religionsunterricht wurde seinerzeit von einem engagierten Kollegen aus dem niedersächsischen Kultusministerium als "Heidentreiben" bezeichnet. Sie hätte die Funktion, die Abwahl des Faches Religion, die mit der Religionsmündigkeit ab 14 Jahren gegeben ist, unattraktiver zu machen. Inzwischen freuen sich diese Fächer aber einer durchaus steigenden Beliebtheit, aber eben nur als Ersatzfächer. Die Lerngruppe teilt sich.

Besser geht es da den drei Bundesländern Bremen, Berlin und Brandenburg. Ihre Grundlage ist die "Bremer Klausel" des Grundgesetzes in Artikel 141. Das ist wiederum keine Lösung für die 13 anderen Bundesländer.

"Muss denn jetzt das Grundgesetz geändert werden, wenn Schulen außerhalb dieser drei Bundesländer einen konfessionsfreien Unterricht für alle Schüler*innen als Pflichtfach anbieten wollen?"

Nein, das ist nicht notwendig. Das Grundgesetz lässt nämlich auch für alle anderen Bundesländer eine Ausnahme zu. Sie ist nur in der Bundesrepublik bislang nicht genutzt worden.

Voraussetzung ist die Veränderung landesgesetzlicher Regelungen. Das ist einfacher als eine Novellierung des Grundgesetzes: Der Artikel 7 des Grundgesetzes sieht im ersten Satz des Absatzes 3 vor, dass der Religionsunterricht in den "öffentlichen Schulen" "ordentliches Lehrfach" ist, setzt aber dazu: "mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen". Merkwürdigerweise ist eben bis heute dieser Hinweis in kein Schulgesetz der 13 Bundesländer, die nicht unter den Artikel 141 fallen, aufgenommen worden.

"Warum setzt ihr euch denn jetzt für bekenntnisfreie Schulen ein? Das Grundgesetz wurde 1949 verabschiedet und so lange haben wir doch ganz gut mit dieser Regelung gelebt?"

Nein, eigentlich nicht. Die "Bundesfachgruppe Gesamtschulen" bedauert, dass die politische Auseinandersetzung zwischen Kirchen, Staat, sozialistischer Lehrer*innen-Bewegung und weltlichen Schulen der Weimarer Republik mit Gründung der Bundesrepublik scheinbar völlig in Vergessenheit geraten ist. In der Weimarer Republik gab es sehr grundsätzliche Auseinandersetzungen, die nur zum Teil als Reformschulbewegung später aufgegriffen wurden und dann ansatzweise in der Gesamtschulbewegung wiederbelebt wurden. Der Abschied vom "höh'ren Wesen" war nicht nur Bestandteil des bekanntesten Arbeiterliedes, sondern beinhaltete auch eine Vorstellung von emanzipatorischer Bildung, der ein Menschenbild und pädagogische didaktisch-methodische Prinzipien zugrunde lagen.

Der Ansatz ist jetzt aber ein anderer: Die "Bundesfachgruppe Gesamtschulen" vertritt gewerkschaftlich diese Schulen des gemeinsamen Lernens, also Gesamtschulen, die heute zum Beispiel auch Gemeinschaftsschulen heißen können. Diese Schulen sind in einigen Bundesländern unter Druck gekommen. Sie haben eine sehr bunte heterogene Schüler*innenschaft und sind gezwungen, in einem Fach, das geeignet wäre, sich über unterschiedliche Vorstellungen von Lebensgestaltung und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft zu verständigen, ihre Schüler*innen in verschiedene Gruppen zu trennen. Das ist absurd. Da marschieren die einen in den evangelischen Religionsunterricht, die anderen in den katholischen und die dritten in den muslimischen. In Hessen sieht der aktuelle Lehrplan tatsächlich Religionsunterricht für zwölf unterschiedliche Bekenntnisse vor.

Unter dem Aspekt der Wertschätzung verschiedener Religionen ist die Einführung des muslimischen Unterrichts zu begrüßen. Die GEW hat sich 2017 auf ihrem Gewerkschaftstag auch dafür eingesetzt.

Eine andere Perspektive rückt angesichts einer massiven Rechtsentwicklung und der Zunahme fremdenfeindlicher Politik und Haltungen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in den Vordergrund. Die Bundesfachgruppe will keine Ausgrenzungen und Diskriminierungen über Religionszugehörigkeiten, sondern wünscht sich die Unterstützung aller Schüler*innen durch die Schule, in die sie gehen, und die Förderung ihrer persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade Schüler*innen mit Migrationsgeschichte müssen über die Mitschüler*innen und die Pädagog*innen die Erfahrung machen, dass sie genauso viel wert sind und gemocht werden, wie alle anderen auch.

Manchmal ist es auch wichtig, dass muslimische Schüler*innen in ihrem Distanzierungsprozess von Glaubensdogmen, der sich in der muslimischen Community genauso vollzieht wie in der evangelischen und katholischen, gestützt werden, gerade auch dann, wenn sie von ihren Eltern noch zusätzlich zum Unterricht in eine Koranschule geschickt werden.

Das sehen auch viele Kolleg*innen in Gesamtschulen so und halten sich nicht an die Vorschriften zur bekenntnisorientierten religiösen Erziehung ihrer Schüler*innen. Sie richten in verschiedenen Parallelklassen eines Jahrgangs scheinbar evangelischen, katholischen oder muslimischen Religionsunterricht ein, trennen in Wirklichkeit die Schüler*innen aber nicht nach offizieller Religionszugehörigkeit, sondern unterrichten sie gemeinsam in ihrer Klasse, allerdings immer mit der Befürchtung, dass ihnen die jeweilige Kirche auf die Schliche kommt. Das ist unwürdig, belastend und angesichts der Tatsache, dass das Fach Religion nach Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 ein "ordentliches" Fach ist, also eins, in dem versetzungs- und abschlussrelevante Zensuren gegeben werden, auch Schüler*innen nicht zuzumuten.

"Hat das Land Hamburg denn dann mit seinem 'Religionsunterricht für alle' (Ru:fa), in dem alle Schüler*innen in einer Lerngruppe nach einem Lehrplan unterrichtet werden, und zwar gleichberechtigt von evangelischen, katholischen, muslimischen, alevitischen oder jüdischen Lehrer*innen, nicht die Lösung des Problems gefunden?"

Nein, keineswegs. Es handelt sich um bekenntnisorientierten Unterricht. Kinder und Jugendliche aus säkularen Elternhäusern werden im Lehrplan übrigens stiefmütterlich behandelt. Die Entscheidung für bestimmte Religionen, die in den "Religionsunterricht für alle" eingehen, während andere unberücksichtigt bleiben, ist diskriminierend für die Menschen, die diesen anderen Religionen angehören und eben auch Menschen aus säkularen Familien, die heute die Mehrheit in Hamburg darstellen.

Der Staatsvertrag mit der DITIB, der einzelnen muslimischen Religionslehrer*innen als Würdigung ihrer Religion erscheinen mag, ist angesichts der Nähe von DITIB zur türkischen Religionsbehörde ein Riesenproblem, insbesondere übrigens für Kinder aus kurdischen und türkischen in der Türkei politisch verfolgten Flüchtlingsfamilien. Außerdem stimmt das mit der Gleichberechtigung der verschiedenen Religionen nur auf dem Papier. Faktisch unterrichten überwiegend evangelische Religionslehrer*innen. Für die anderen Religionsgemeinschaften gibt es erheblich weniger Studienplätze.

"Werden nicht Religionslehrer*innen an bekenntnisfreien Schulen arbeitslos?"

Keineswegs. Sie sind genauso wie Kolleg*innen, die Philosophie, Ethik oder LER studiert haben, besonders geeignet, einen solchen Unterricht zu geben. In Hamburg ist die Diskussion über die Problematik von bekenntnisorientiertem Religionsunterricht für alle (Ru:fa) insbesondere von Religionslehrer*innen angestoßen worden. Das Fortbildungsinstitut für Lehrer*innen in Hamburg hat übrigens für die Lehrer*innen, die in Ru:fa einsteigen wollten, relativ schnell ein gutes Weiterbildungsangebot erarbeitet. Dass ließe sich sicherlich auch mit anderen Fächern so machen – an jedem staatlichen Lehrer*innen-Fortbildungsinstitut.

"Was machen denn Schüler*innen, die an einer bekenntnisfreien Schule gerne Religionsunterricht besuchen würden?"

Die spitzen mal ihre Eltern an, dass die sich für eine entsprechende Arbeitsgemeinschaft an ihrer Schule stark machen.

Ob diese Antworten die Kolleg*innen wirklich überzeugt haben, wird sich zeigen, wenn der Antrag im November dem Hauptvorstand der GEW vorgelegt und dann hoffentlich stellvertretend für den Gewerkschaftstag beschlossen wird.

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