Aus dem Nachlass des linken Provokateurs Wolfgang Pohrt sind zwei Vorträge aufgetaucht, welche sich mit den Auffassungen zu "Multikultureller Gesellschaft" und "Rassismus" in den 1980er und 1990er Jahren beschäftigen. Gerade die Abneigung von "krankhaftem" Kollektivdenken macht sie heute wieder aktuell, auch wenn das elitäre und zynische Gehabe von Pohrt womöglich posthum noch mehr verstört als früher.
Der politische Publizist Wolfgang Pohrt (1945–2018) ist als linker Provokateur bekannt geworden. Anfang der 1980er Jahre bezeichnete er die Friedensbewegung als eine "deutschnationale Erweckungsbewegung", Anfang der 1990er Jahre begrüßte er den Golfkrieg gegen den Irak. Dies geschah jeweils nicht in ausgewogenen Formulierungen, sondern in vehementem Tonfall. Ein solcher durchzog auch seine sonstigen Kommentare, die damals insbesondere in "Konkret" erschienen und so in linksintellektuellen Kreisen verbreitet waren. Seine Ausführungen wirkten elitär und polemisch, rechthaberisch und undifferenziert. Er griff auch beleidigende Formulierungen auf und scheute ebenso wenig inhaltliche Stereotypisierungen. Gleichwohl berührten die Ausführungen nicht selten einen wahren Kern, der gerade in der politischen Linken nicht gesehen werden wollte. Wie würde heute wohl die Debatte um Identitätspolitik von Pohrt eingeschätzt? Antworten auf diese Fragen kann es nicht mehr geben, starb er doch politisch und publizistisch isoliert vor einigen Jahren.
Die "Edition Tiamat" veröffentlicht seine Gesellschaftsanalysen und Kulturkritiken als elfbändiges Werk. Bei der Aufarbeitung dieser Schriften müssen zwei Vorträge aufgefallen sein, welche 1989 und 1992 in Manuskriptform als abgeschlossene Texte entstanden. Sie wurden als kleines Buch mit dem Titel "Multikulturelle Gesellschaft. Rassismus für den gehobenen Bedarf" veröffentlicht. Da die inhaltlichen Anlässe dafür etwas mit damals aktuellen Entwicklungen zu tun haben, wirken in der Gegenwart die dortigen Inhalte weitgehend überholt. Gleichwohl gab es darin Ausführungen, die auch in den aktuellen Debatten durchaus Interesse finden könnten. Darin geht es zunächst um eine Auffassung von "Multikultureller Gesellschaft", die damals wie heute von einem Großteil der politischen Linken idealisiert wurde und wird. Indessen setzte und setzt man sich nicht mit den damit einhergehenden Auffassungen und ihren erwartbaren Verallgemeinerungen auseinander. Insbesondere in der Fixierung auf Kollektive sah Pohrt das Problem.
Eine Aussage, die in beiden Texten vorkommt, lautet: "Wenn nämlich jedwede regelhafte Form des Daseins zur erhaltenswerten Nationalkultur erklärt und deshalb den Einwanderern in der Bundesrepublik nicht nur das Recht zugestanden wird, sondern man von ihnen förmlich erwartet, daß sie homogene und separate Gruppen bilden, deren vornehmste Aufgabe und deren legitimes Ziel es ist, die mitgebrachten Sitten und Bräuche gegen neue Einflüsse zu verteidigen, dann ist es nicht länger einzusehen, warum eigentlich den Deutschen dies Recht, ihre eigene Nationalkultur zu bewahren, sogar im eigenen Land vorenthalten werden soll" (S. 52). Leider neigte Pohrt zu derartigen Schachtelsätzen. Gleichwohl macht er hier posthum auf Gemeinsamkeiten der heutigen Identitätslinken und Identitätsrechten aufmerksam, dominieren doch ebendort antiindividualistische Kollektivismen, nur eben mit unterschiedlichen Vorzeichen. Allein eine solche Aussage birgt ein aufklärerisches Potential, das in der Gegenwart in den Kontroversen nur selten ausgemacht werden kann.
Dann geht es um "Rassismus für den gehobenen Bedarf", worin die fremdenfeindlichen Entwicklungen zu Beginn der 1990er Jahre thematisiert wurden. Pohrt meinte hier, mehrfach mit verächtlichem Unterton von der "Zone" sprechen zu müssen (vgl. S. 85, 117). Darüber hinaus zeichnete er ein überaus negatives Bild von den damaligen Ostdeutschen. Die nachvollziehbare Empörung darüber sollte indessen nicht zur Ignoranz gegenüber wichtigen Reflexionen führen. Ein Beispiel wäre: "Die zentrale Lüge des Geredes von den verschiedenen Kulturen besteht also darin, daß es Einwanderer zu Angehörigen einer anderen Kultur erklärt, obgleich diese Einwanderer sich in allen Dingen von Belang überhaupt nicht von den Einheimischen unterscheiden müßten" (S. 112). Dietmar Dath informiert über Pohrt in einem längeren Vorwort. Indessen ist dies als wirkliche Einführung nicht sonderlich gelungen, müsste doch der heutigen Leserschaft Pohrt informativer und systematischer vorgestellt werden. Seine Anmerkungen zur Identitätspolitik wären gegenwärtig interessant.
1 Kommentar
Kommentare
SG aus E am Permanenter Link
Einmal mehr arbeitet man sich an Multikultureller Gesellschaft und Linker Identitätspolitik ab. Aber warum eigentlich?
Im Einwanderungsland Deutschland stehen nicht angestammte und zugewanderte Kulturen gegeneinander, sondern ca. 83 Millionen Menschen leben ihren Lebensentwurf. Manche Männer gehen nach Feierabend in die Eckkneipe Bier trinken, andere gehen Wasserpfeife rauchen. Manche Frauen färben sich die Haare blau oder orange, andere legen ein blaues oder orangenes Kopftuch auf. Das ist dann vielleicht nicht jedermanns Sache (auch ich denk’ mir oft meinen Teil), aber ich finde es sehr gut und wichtig, dass die Menschen in diesem Land frei ihren Stil leben können. Wer bin ich, dass ich Anderen vorzuschreiben hätte, wie sie leben sollen.
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PS: Der 'hpd' schaltet die Kommentarfunktion ab. Ich bedauere das sehr. Für die Redaktion mag der Aufwand groß gewesen sein. Dem organisierten Humanismus hat es gewiss gut getan, mit den Unorganisierten und dem Rest der Gesellschaft in Dialog getreten zu sein. In welchen Formaten auch immer, dieser Dialog sollte unbedingt weitergeführt werden. MfG.
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(1) https://www.welt.de/wirtschaft/article191449845/Made-by-Vielfalt-Familienunternehmer-schmieden-neuen-Pakt-gegen-Auslaenderfeindlichkeit.html