Der von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo herausgegebene Sammelband "Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus" will den Kapitalismus-Rassismus-Zusammenhang stärker betonen. Die damit einhergehenden monokausalen Deutungen ignorieren nicht nur Rassismus in nicht-kapitalistischen Zusammenhängen, sie verfehlen trotz gelegentlich interessanter Reflexionen dann doch ihr im Untertitel versprochenes Ziel.
Idealtypisch lassen sich gegenwärtig eine Identitätslinke und eine Soziallinke unterscheiden. Die Erstgenannten werden von den Letztgenannten wie folgt kritisiert: "Was einstmals Gesellschaftskritik war, ist zur moralischen Kritik am Verhalten von Individuen verkommen" (S. 7). Anders formuliert: Mit ihrem liberalen Antirassismus spreche die Identitätslinke primär über falsche Haltungen von Mehrheitsangehörigen gegenüber Minderheitsangehörigen. Demgegenüber sei der kritische Blick auf die sozioökonomische Gesamtstruktur nicht mehr so relevant, spiele doch die materialistische Kapitalismuskritik dabei kaum noch eine konstitutive Rolle. Diese Auffassung teilen auch die Autoren und Herausgeber des Sammelbandes "Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus", der von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo herausgegeben wurde. Der oben zitierte Satz ist der erste Satz des Vorworts. Er lässt auch die Gegenposition erahnen: einen marxistischen beziehungsweise materialistischen Rassismusbegriff.
Als dessen, so Mendivil, grundlegende Prämisse gilt, dass "die konkreten Formen, die Rassismus in einem bestimmten historischen und geographischen Kontext annimmt, stets in Beziehung zum Kapital gesetzt werden müssen, weil die Welt in umfassender Weise vom Kapitalverhältnis bestimmt ist" (S. 183). Es könnte demnach nicht von einem überzeitlichen Phänomen eines allgegenwärtigen Rassismus ausgegangen werden, bestehe doch immer ein Kontext zur kapitalistischen Produktionsweise. Diese Auffassung kann mit historischem Blick durchaus eine gewisse Richtigkeit beanspruchen, in der präsentierten Allgemeinheit und Monokausalität muss die These aber scheitern. Vorab bedarf es vor der Begründung dieses Einwandes noch des Hinweises, dass die Autoren und Herausgeber sich nicht um ein klares und trennscharfes Rassismusverständnis bemühen. Damit können alle nur möglichen Diskriminierungsideologien und -praktiken gegenüber Minderheiten pauschalisierend und undifferenziert mit einer derartigen begrifflichen Zuordnung versehen werden.
Noch bedeutsamere Einwände gegen die konstitutive Kernposition ergeben sich daraus, dass es Formen des gemeinten Rassismus eben auch in nicht-kapitalistischen Zusammenhängen gab. Ein Alltagsrassismus war etwa in der DDR und der Sowjetunion sehr wohl existent, wenngleich er medial eben tabuisiert und nicht wahrgenommen wurde. Allein der Hinweis auf diese gesellschaftlichen Gegebenheiten widerlegt die allzu eindimensional-ökonomiezentrierte Sicht auf die kapitalistisch-rassistischen Verhältnisse. Hinzu kommt in der Geschichte, dass auch im Interesse des modernen Kapitalismus die rassistisch legitimierte Sklaverei überwunden wurde. Dies geschah nicht unbedingt aus humanistischer Menschenliebe, sondern mehr aus wirtschaftlicher Profitabilität. Blickt man darüber hinaus auf den Rassismus in der nicht-westlichen Welt, so lässt sich die auf den Kapitalismus bezogene Monokausalität noch weniger überzeugend vortragen. Man kann wohl kaum den in Ruanda erfolgten Völkermord durch diese Wirtschaftsordnung erklären.
Diese inhaltlichen Einwände leugnen nicht bestehende Zusammenhänge. Der bejahte materialistische Rassismusbegriff erweist sich aber so als simples und stereotypes Verständnis. Damit einhergehende Annahmen prägen die Beiträge des Sammelbandes. Da geht es mal um Geschlechterrollen und Reproduktion, mal um das Grenz- und Migrationsregime, mal um Intersektionalität und Marxismus, mal um Polizei und Rassismus. Auch soll eine materialistische Analyse zum Aufstieg des deutschen Rechtsextremismus vorgenommen werden. Immer wieder können die Autoren angemessen und kritisch auf bestimmte Kontexte verweisen, sie bleiben aber alle in dem doch sehr einfachen ökonomischen Determinismus verhaftet. Dabei gerät ihnen aus dem Blick, dass das eigentliche Anliegen, eben eine "Kritik des herrschenden Antirassismus" – wie im Untertitel versprochen – nur am Rande geleistet wird. Einzelne Betrachtungen wie etwa zur Kontextualisierung der bei Marx bestehenden rassistischen Stereotype werten das Werk dann doch nicht auf.
Eleonara Roldán Mendívil/Bafta Sarbo (Hrsg.), Die Diversität der Ausbeutung. Zur Kritik des herrschenden Antirassismus, Berlin 2022, Dietz Berlin, 195 Seiten, 16 Euro