Rezension

"Critical Philosophy of Race"

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Black Lives Matter-Protest in Saint Paul, Minnesota, USA
Black Lives Matter-Protest in Saint Paul, Minnesota

Die "Critical Philosophy of Race" beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit dem Rassismus in den USA. Ein Reader zum Thema bringt erstmals von wichtigen Texten deutschsprachige Übersetzungen. Indessen wirken auch viele Aussagen etwas abgehoben und müssten vor dem Hintergrund der Situation in den USA verstanden werden.

Durch Gewalt gegen Schwarze in den USA und die Proteste dagegen wird wieder stärker über Rassismus diskutiert. Die Aufmerksamkeit dafür sollte aber nicht verdecken, dass es sich hier eben nicht um ein neues oder wiederkehrendes Phänomen handelt. Latent wie manifest, individuell wie strukturell sind Geschichte und Gesellschaft der USA davon geprägt. Auch in Deutschland kam es in diesem Kontext zu stärkeren Protesten, die eine größere Aufmerksamkeit und Diskussion motivierten. Eventuell lösen diese auch Interesse an der philosophischen Thematisierung aus. Denn eine "Critical Philosophy of Race" hat sich schon vor Jahrzehnten in den USA herausgebildet. Die damit einhergehenden Debatten wurden indessen in Deutschland bislang kaum zur Kenntnis genommen. Abhilfe schaffen will da ein einführender Reader, der von Kristina Lepold und Marna Martinez Mateo, beides Juniorprofessorinnen für Philosophie, veröffentlicht wurde. Er will einen ersten Einblick anhand von einschlägigen Texten in erstmaliger Übersetzung geben.

Cover

Indessen bestehen diverse Hürden für deren Rezeption. Das beginnt schon mit der Begriffsnutzung, ist doch im Band durchgängig von "Race" und nicht von "Rasse" die Rede. Mit guten Gründen haben sich die Herausgeberinnen entschieden, bezogen auf den gemeinten Terminus eben keine Übersetzung vorzunehmen. Denn "Race" steht im englischen Sprachraum eher für ein Verständnis, womit Bevölkerungsgruppen in ihrer Differenziertheit in einem neutralen Sinne verstanden werden. Demgegenüber steht "Rasse" in der deutschen Sprache für eine überholte Zuordnung, die mit biologistischen und wertenden Implikationen verbunden ist. Hier wird bereits exemplarisch die Besonderheit der Thematik deutlich, was die auf Entwicklungen in den USA inhaltlich bezogenen Texte nicht immer gut verständlich macht. Erleichtern sollte dies eine längere Einführung mit einschlägigen Erläuterungen der Herausgeberinnen, die neun Beiträge den inhaltlichen Komplexen "Metaphysik", "Epistemologie" und "Ethik und Politik" zuordneten.

Es geht dabei im ersten Bereich um die Einstellung zu "Race", wobei sich ein "Eliminativismus" von K. Anthony Appiah, "Konstruktivismus" von Linda Martin Alcoff und "Naturalismus" von Sally Haslanger gegenüberstehen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sinnvoll von "Race" für eine Zuordnung gesprochen werden kann. Im folgenden "Epistemologie"-Komplex stehen alltägliche und wissenschaftstheoretische Wahrnehmungen im Zentrum. Dabei geht es um Deutungen des "schwarzen Körpers" von George Yancy, Erörterungen zu "Weißem Nichtwissen" von Rassismus von Charles W. Mills und Interpretationen von Lynch-Aufnahmen von José Medina. Und dann werden noch haltungs-, überzeugungs- und verhaltensbasierte Ansätze zur Bestimmung von Rassismus in dem "Ethik und Politik" gewidmeten Teil thematisiert. Jorge L. A. Garcia spricht bezogen auf den Rassismus dessen Unmoralischsein an, demgegenüber werden dafür Defizite von Tommie Shelby betont, während Kimberlé Crenshaw für einen schwarzen Feminismus plädiert.

Die jeweiligen Beiträge geben einen interessanten Einblick in die philosophischen Kontroversen, die es in der "Critical Philosophy of Race" in den USA gibt. Auch führen die Herausgeberinnen informativ ins Thema ein. Gleichwohl stellt sich die Frage, inwieweit die Konzeption des Readers so geglückt ist. Es hätte eben in der Einführung noch ausführlicherer Erläuterungen darüber bedurft, worin bei dem genannten Ansatz die hauptsächliche Fragestellung besteht. Darüber hinaus wären klarere Definition und Typologien wünschenswert gewesen. Sie erfolgen – wie etwa zu individuellem und strukturellem Rassismus – später in einem Text. Indessen hätten solche Erläuterungen bereits früher zu mehr Orientierung beigetragen. Ansonsten sind die einzelnen Artikel häufig zu detailliert und zu lang, obwohl sie für die Übersetzung sogar gekürzt wurden. Und dann neigen die Autoren auch zu eher persönlichen Erörterungsweisen, wobei dann sehr abgehoben zu dem doch gesellschaftlich sehr realen "Rassismus"-Thema reflektiert wird.

Kristina Lepold/Marina Martinez Mateo (Hrsg.), Critical Philosophy of Race. Ein Reader, Berlin 2022 (Suhrkamp-Verlag), 332 S., 26,00 Euro

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