Corona-Pandemie:

Regionale Lockdowns können Gesamtdauer der Beschränkungen verkürzen

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Straßenszene in Berlin am 24. Juli 2020: Als gäbe es keine Corona-Pandemie mehr ...
Straßenszene in Berlin

Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen hat am Computer mögliche Verläufe der Corona-Pandemie simuliert. Die Berechnungen zeigen, dass regionale Maßnahmen die Epidemie mit deutlich weniger Einschränkungen unter Kontrolle halten können als national verhängte Lockdowns, wenn die Anzahl überregionaler Infektionen niedrig genug ist.

Dafür sollten regionale Schwellenwerte für lokale Einschränkungen allerdings tiefer liegen als die derzeit in Deutschland festgelegten Werte. Auch wenn niedrigere Schwellenwerte zu häufigeren regionalen Lockdowns führen, würden die langfristigen Vorteile dieser Strategie die dadurch ausgelösten lokalen Maßnahmen überwiegen. Ein einheitlicher Maßnahmenkatalog kann eine rasche Reaktion auf steigende Infektionszahlen in einzelnen Regionen gewährleisten. Durch eine möglichst lückenlose Nachverfolgung ließe sich die Zahl überregionaler Infektionen beobachten und gegebenenfalls senken. Darüber hinaus empfehlen die Forschenden eine deutliche Ausweitung von Tests, bereits bevor Schwellenwerte erreicht werden.

Viele Länder haben die erste Welle der Sars-CoV-2-Epidemie durch weitreichende Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens unter Kontrolle gebracht. Dazu zählten landesweite Kontaktverbote, Reisebeschränkungen und die Schließung von Geschäften und Schulen. Anstelle solcher drastischen nationalen Beschränkungen ergreifen inzwischen viele Länder örtlich und zeitlich begrenzte Maßnahmen.

Ramin Golestanian, Direktor der Abteilung "Physik lebender Materie" am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Philip Bittihn und ihr Team haben ein Modell entwickelt, das zwei verschiedene Kontaktarten erlaubt: Solche innerhalb einzelner Regionen (zum Beispiel Landkreisen) und solche mit der Gesamtbevölkerung über die Landkreisgrenzen hinaus. Der Anteil der überregionalen Kontakte bestimmt die sogenannte "Durchlässigkeit", das heißt, wie leicht sich Infektionen zwischen den Regionen ausbreiten können. In dem Modell verhängen einzelne Regionen lokale Kontaktbeschränkungen, wenn sie eine bestimmte Anzahl an Infektionen überschreiten, ähnlich wie bei der regionalen Strategie, die derzeit in Deutschland verfolgt wird.

© MPIDS/ Novak
Illustration des von den Forschern benutzten Modells: Die Mehrheit der Kontakte findet innerhalb lokaler Regionen statt (kleine weiße Pfeile), während ein gewisser Anteil an Kontakten überregionaler Natur ist (große Pfeile zwischen Landkreisen). Wenn die Anzahl der Infektionen in einer Region eine gewisse Zeitlang einen gewissen Schwellwert überschreitet, wird ein lokaler Lockdown ausgelöst (roter Landkreis), der die Reproduktionszahl lokal unter eins bringt. Eine gewisse Zeit nachdem die Infektionszahlen wieder unter den Schwellwert gesunken sind, werden die Einschränkungen wieder aufgehoben. © MPIDS/ Novak

Als Maß für die Einschränkungen für die Bevölkerung haben sie gemessen, wie lange der Durchschnittsbürger in der Simulation in einem lokalen Lockdown verbringen müsste. Diese "Einschränkungszeit" konnten sie dann mit Ergebnissen für eine ansonsten identische nationale Strategie vergleichen.

Die Studie umfasst Simulationen für Deutschland, England, Italien, New York State und Florida für die nächsten fünf Jahre. Sie berücksichtigt dabei die aktuellen Infektionszahlen, die individuelle regionale Struktur und die jeweilige Effektivität der bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie. Die beobachteten Effekte sind jedoch so universell, dass sie in vielen physikalischen Systemen auftreten, die sich nicht im Gleichgewicht befinden und deren Dynamik von einzelnen, nicht vollständig vorhersagbaren Ereignissen bestimmt wird.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt daher auf der Rolle einzelner Infektionsereignisse: Während auf dem Höhepunkt der ersten Welle die Dynamik der Epidemie mit einfachen Modellen für ein ganzes Land weitgehend nachvollzogen werden konnten, ist die Ausbreitung in Wirklichkeit ein diskreter Prozess, bei dem einzelne Infektionsereignisse immer gewissen Zufallseinflüssen unterliegen. Wenn die Infektionszahlen in einzelnen Regionen sehr niedrig sind, müssen die besonderen Effekte in diesem sogenannten "Regime kleiner Zahlen" mit berücksichtigt werden, wie das Team schon in einer früheren Studie festgestellt hatte. (mpg)