Wandersagen gibt es auch im Wissenschaftsbetrieb. Einige haben sogar in Lehrbücher Eingang gefunden, etwa in der Psychologie. Also besser raus aus der Bibliothek und auf die eigene Intuition hören? Immerhin hat diese Strategie unseren Vorfahren häufig das Leben gerettet. So oft, dass sich die Tendenz zum Bauchgefühl als evolutionärer Vorteil erwiesen hat. Doch bei komplexeren Zusammenhängen handeln wir uns damit vielfältige Denkfehler ein.
Die Auswirkungen können verheerend sein, etwa wenn sich Unternehmen bei Personalentscheidungen von solchen Irrtümern leiten lassen. Manchmal wird der Glaube an Unsinn wohl sogar Menschenleben kosten, etwa wenn selbsternannte "Querdenker" die Gefährlichkeit der Corona-Pandemie herunterspielen und ohne Masken und Abstandsregel demonstrieren, wie am vergangenen Samstag in Stuttgart geschehen.
Wissenschaft und ihre Mythen, alltägliche Irrtümer und Verschwörungserzählungen – diese aktuellen Themen bündelt das Institut Kortizes in der vierteiligen Veranstaltungsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen – Paranormales und Skepsis".
Zum Auftakt steht heute Abend, 6. April, ab 19:30 Uhr ein Thema aus der Psychologie auf dem Programm, der "Behaviorismus". Aber was ist das eigentlich: Sind Behavioristen nicht diejenigen Psychologen, die Gedanken und Gefühle einfach ignorieren? Die glauben, bei der Geburt sei unser Geist eine tabula rasa, eine unbeschriebene Tafel, die erst im Laufe des Lebens mit Inhalt gefüllt wird?
Derartige Fehlvorstellungen kennt Prof. Christoph Bördlein von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt zur Genüge, schließlich geistern sie sogar durch die psychologischen Lehrbücher. Damit habe "die Psychologie ihre wichtigste konzeptuelle Wurzel verleugnet und dauerhaft in Misskredit gebracht", so Bördlein. Denn die wissenschaftstheoretische Position des Behaviorismus (von englisch: "behavior", Verhalten) besagt schlicht, dass sich das Verhalten von Menschen und Tieren mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen lässt. Im Vortrag räumt Christoph Bördlein mit den Mythen auf und wirft einen Blick auf die Forschungsarbeiten der wohl einflussreichsten Behavioristen John B. Watson und B. F. Skinner.
Vom Speziellen zum Allgemeinen, nämlich zu den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, führt der zweite Vortrag der Reihe am 20. April. Unter dem Titel "Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl" befasst sich der Wiener Physiker und Wissenschaftspublizist Dr. Florian Aigner mit dem Unterschied zwischen Erkenntnis und Unsinn. Und er erläutert Strategien, mit denen wir das eine vom anderen trennen können: durch stetige Überprüfung werden fehlerhafte Theorien verworfen und gute erhärtet. Dass wir auf diese Weise keine endgültigen Wahrheiten erhalten, liegt auf der Hand. Aber, so ist Aigner überzeugt: "Wissenschaft kann uns helfen, gemeinsam klüger zu werden."
Solch eine Kompetenz-Verbesserung mag man auch den Entscheidern und Entscheiderinnen in den Personalabteilungen einiger Unternehmen wünschen. Obwohl die Forschung inzwischen solide Erkenntnisse über zielführende Stellenbesetzungen und Weiterbildungen der Beschäftigten erbracht hat, planen viele Firmen noch immer am Wissensstand vorbei und orientieren sich an fragwürdigen Kriterien, kritisiert Prof. Dr. Uwe Kanning. Er lehrt Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück und gehört laut Personalmagazin zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens. Am 11. Mai deckt er die wichtigsten Mythen und unprofessionellen Praktiken im Personalwesen auf.
Einige objektiv nicht haltbare Erzählungen, etwa Verschwörungsmythen, besitzen das Potenzial, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund gegen ein gemeinsames Feindbild zu mobilisieren. Derzeit ist dies bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu beobachten. So stellt die Psychologin Pia Lamberty in einem aktuellen Interview mit dem WDR "sehr starke Überlappungen mit der rechtsextremen Szene" fest.
Nach ihrer Einschätzung entstehen durch das Zusammentreffen unterschiedlicher Szenen Synergie-Effekte. Während radikale Kräfte Polizeisperren durchbrechen und damit für spektakuläre Bilder sorgen, lässt die Menge an anderen Demonstrierenden die Bewegung größer erscheinen, als sie ist. Lamberty ist Mitglied im europäischen Forschungsnetzwerk Comparative Analysis of Conspiracy Theories ("Vergleichende Analyse von Verschwörungstheorien") und Mitbegründerin der interdisziplinären Denkfabrik CeMAS, die unter anderem Monitoring gegen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus betreibt. Am 25. Mai betrachtet sie in der abschließenden Veranstaltung der Reihe den Glauben an Verschwörungen aus psychologischer Sicht.
Die Reihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" im Überblick auf kortizes.de. Coronabedingt finden alle vier Veranstaltungen live und online statt. Die Teilnahme ist kostenlos, Beginn jeweils 19:30 Uhr.
1 Kommentar
Kommentare
Manfred Gilberg am Permanenter Link
Wunderbare Veranstaltungsreihe von Aufklärern für nicht- und aufgeklärte Menschen.
Dabei kommt es immer auch auf die richtige Wortwahl an. Z. Bspl. -theorie.
M.E. ist eine Theorie die Evolution. Diese wird durch ständige Forschung weiter getrieben und getragen, etc.
Eine sog. Verschwörungstheorie ist aber keine Theorie. Daran abreitet doch keiner um sie zu untermauern. Sie wird einfach nur weiterverbreitet. Da fehlt das "untermauern", das Fundament.
Also sollten die Verschwörungen nicht auf die gleiche Stufe wie die einer Theorie gesetzt werden. Das sind sie nicht Wert. Die Verschwörung sollte m.E. einfach nur konsequent Mythen genannt werden. Damit bekommen sie den leicht erkennbaren (Un)wert der ihnen zu steht.
Das englische "Theories" sollten wir dann auch entsprechend "übersetzen" ("unter- setzen").