Positionspapier des AK Säkularität und Humanismus der SPD

Sonderarbeitsrechte der Kirchen abschaffen

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Der Arbeitskreis Säkularität und Humanismus (AKSH) in der SPD hat nach dem Positionspapier zu den Staatsleistungen ein weiteres veröffentlicht. Diesmal geht es um das kirchliche Arbeitsrecht. Der Arbeitskreis fordert seine Partei zum Handeln auf.

Der AK Säkularität und Humanismus fordert die Umsetzung des Koalitionsvertrages zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht im Sinne der Beschlusslage der SPD. Als Partei der Arbeitnehmer*innen stehen für uns und unsere Fraktion die Beschäftigten in den kirchlichen Einrichtungen und ihre Interessenvertreter*innen an erster Stelle. Wir erwarten deshalb von unserer Bundestagsfraktion und dem sozialdemokratischen Arbeitsminister, das entsprechende Gesetzgebungsverfahren jetzt zu starten. Dabei muss nicht allein mit den kirchlichen Arbeitgebern, sondern gleichermaßen mit den Beschäftigten der kirchlichen Einrichtungen und ihren Interessenvertreter*innen gesprochen werden.

Die Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts ist Beschlusslage der SPD.

Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vom Herbst 2021 ist unter der Überschrift "Mitbestimmung" der Satz enthalten: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen."

Das ist eine sehr weiche Formulierung: Es ist nur ein Prüfauftrag, und es geht nur um Angleichung.

Da waren die Beschlüsse des SPD-Parteitages vom November 2013 in Leipzig wesentlich deutlicher: "Für alle Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen muss das Betriebsverfassungsgesetz in vollem Umfang gültig sein. Für alle nicht direkt glaubensbezogenen Tätigkeiten von kirchlichen Beamtinnen und Beamten muss das Personalvertretungsgesetz gelten."

Was verbirgt sich hinter dem Begriff kirchliches Sonderarbeitsrecht?

In der Weimarer Republik von 1919 bis 1933, auf die noch heute die verfassungsrechtliche Stellung der beiden großen Kirchen in Deutschland zurückgeführt wird, hatten die Kirchen keine Sonderstellung beim Arbeitsrecht. Für die Kirchen und Wohlfahrtseinrichtungen der Caritas und Inneren Mission wurden Tarifverträge abgeschlossen. Für sie galt das damalige Betriebsrätegesetz mit all seinen Rechten und Pflichten; Ausnahmen für kirchliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer gab es nicht.

In der Nazizeit wurden die Gewerkschaften zerschlagen, das Betriebsrätegesetz sowie die bis dahin geltende Tarifordnung abgeschafft und durch ein "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" ersetzt; das Führerprinzip galt auch im Arbeitsrecht, Arbeiter und Angestellte waren die "Gefolgschaft" des Unternehmers. Im öffentlichen Bereich wurde ein entsprechendes Gesetz eingeführt, das von den Kirchen übernommen wurde. Aus dieser Zeit stammt auch der noch heute im kirchlichen Arbeitsrecht gebräuchliche Begriff der "Dienstgemeinschaft".

In Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung waren im Kontrollratsgesetz der Alliierten von 1946 keine Ausnahmen für die Kirchen und ihre Einrichtungen vorgesehen. Als die Regierung Adenauer 1952 das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) einbrachte, gelang es jedoch den beiden Kirchen durch intensive Lobbyarbeit, dass in Paragraf 118 ein neuer Absatz 2 eingefügt wurde, der lautete: "Dieses Gesetz findet keine Anwendungen auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen". Im Gegenzug hatten die Kirchen zwar zugesagt, für ihren Bereich gleichwertige Ordnungen einzuführen, aber diese Zusage wurde bis in die 1970er Jahre gar nicht und seitdem nur unzureichend eingelöst. Es gibt zwar inzwischen in beiden Kirchen Regelungen über Mitarbeitervertretungen, aber eine Auswertung der Gewerkschaft ver.di macht deutlich, dass die Rechte der Arbeitnehmer*innen insgesamt und im Detail deutlich schlechter ausfallen als deren Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz.

Rechtsnormen für alle verbindlich

Ein Element dieser Schlechterstellung liegt darin, dass die kirchenrechtlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) nur den Charakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben und nur gelten, wenn und soweit im jeweiligen Arbeitsvertrag auf sie Bezug genommen wird. Dagegen gelten Tarifverträge, die von den Gewerkschaften ausgehandelt wurden, als Rechtsnorm und regeln die Lohn- und Arbeitsbedingungen verbindlich; sie gelten unmittelbar und zwingend und dürfen zum Schutz der Arbeitnehmer*innen nicht individuell unterschritten werden.

Wie entstehen die AVR? Sie werden auf kirchenrechtlicher Basis ohne Beteiligung von Gewerkschaften ausgehandelt. In Streitfällen gibt es eine Zwangsschlichtung, aber ohne Beteiligung von Gewerkschaften und ohne die Möglichkeit eines Streiks als Druckmittel. Dabei sind Streikmaßnahmen der entscheidende Hebel, um die Verhandlungsbereitschaft der Arbeitgeberseite für Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmer*innen zu erhöhen. Die Kirchen sehen das anders. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) legt in Paragraf 3 des Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetzes fest: "Die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden in einem kirchengemäßen Verfahren im Konsens geregelt. Konflikte werden in einem neutralen und verbindlichen Schlichtungsverfahren und nicht durch Arbeitskampf geregelt." Analog heißt es bei der katholischen Kirche in Artikel 7 der Grundordnung: "Wegen der Einheit des kirchlichen Dienstes und der Dienstgemeinschaft als Strukturprinzip des kirchlichen Arbeitsrechts schließen kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften ab. Streik und Aussperrung scheiden ebenfalls aus." Diese Entrechtung wird begründet nach dem Motto: "Gott bestreikt man nicht!"

Beide Kirchen pflegen damit immer noch den Gedanken der "Dienstgemeinschaft" aus der Nazizeit, die mögliche Konflikte im Konsens ohne Gewerkschaften und Streiks regeln will. Dabei heißt es in Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung (die mit Artikel 140 ins Grundgesetz übernommen wurde), dass jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnen und verwalten kann. Dazu gehört auch das in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes geregelte "Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden" und "ist für jedermann und für alle Berufe zu gewährleisten. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern versuchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig."

Hieraus ergibt sich also ein Widerspruch zwischen der generellen Ausnahmeregelung aller kirchlichen Einrichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz und den oben genannten Artikeln im Grundgesetz, nach denen eine solche generelle Ausnahme grundrechtswidrig ist. Deshalb hat das Bundesarbeitsgericht auch in einem Grundsatzurteil 2012 das Streikrecht für Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen bestätigt, und vereinzelt wurden auch in einigen Gebieten der Diakonie Tarifverträge ausgehandelt. Dies sind jedoch bislang echte Ausnahmen. Eine generelle Lösung muss dringend gefunden werden.

Die anderen Fragen, die auch noch beachtet werden sollten, sind: Wieviele Arbeitnehmer*innen sind von dieser Ausnahme betroffen? Wie ist die Ausnahme wirtschaftsordnungspolitisch zu beurteilen? Und was bedeutet die im Koalitionsvertrag genannte Formulierung: "Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen"?

Die beiden großen Kirchen sind inzwischen große Arbeitgeberinnen in den Bereichen der Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten, Heime, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen und beschäftigen hier insgesamt circa 1,4 Millionen Arbeitnehmer*innen. Die Kirchen sind Konkurrenten der vielen privaten und kommunalen Anbieter in den gleichen Tätigkeitsbereichen. Die Kirchen profitieren aber nicht nur von den materiellen Vorteilen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (Befreiung von Körperschafts-, Grund- und Grunderwerbsteuer und Gebührenfreiheit), sondern auch davon, dass ihre Beschäftigten de facto keine Streikmöglichkeiten haben, um Lohnforderungen durchzusetzen, und zum Teil "für Gottes Lohn" arbeiten. In einer Marktwirtschaft sind solche Privilegien ordnungs- und wettbewerbsrechtlich bedenklich und müssten eigentlich vom Kartellamt gerügt werden.

Rechtliche Benachteiligung beenden

Das in Deutschland allgemein übliche Arbeits- und Mitbestimmungsrecht soll in Zukunft auch bei kirchlichen Arbeitgebern Anwendung finden. Das kirchliche Sonderarbeitsrecht, das die Arbeitnehmer*innen benachteiligt, wird beendet.

Dafür sind Paragraf 118 Absatz 2 BetrVG und Paragraf 1 Absatz 2 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ersatzlos zu streichen. Auch der sogenannte Tendenzschutz, der in Paragraf 118 Absatz 1 die Mitbestimmungsrechte in Betrieben regelt, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen und karitativen Zwecken und Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen und Einschränkungen erlaubt, muss auf den verkündungsnahen Bereich der Kirchen eingegrenzt werden, also auf den Teil der kirchlichen Mitarbeiter*innen, die im engeren Sinn kirchliche Aufgaben wahrnehmen, so wie Pfarrer, Diakone, Oberinnen usw.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (Antidiskriminierungsgesetz, AGG) muss künftig auch auf die Kirchen ausgedehnt werden. Die Paragrafen 9 und 20 AGG sind entsprechend zu ändern. Mitarbeiter*innen, die nicht im verkündungsnahen Bereich arbeiten, müssen von den besonderen kirchlichen Loyalitätspflichten ausgenommen werden, damit sie in ihrer privaten Lebensgestaltung nicht mehr auf einschränkende kirchliche Vorgaben Rücksicht nehmen müssen. Dies wäre im Einklang mit wegweisenden Urteilen des EuGH, das Mitarbeitern in kirchlichen Krankenhäusern Recht gab, die zum Beispiel gegen eine Kündigung geklagt haben, die sie nach einer Scheidung bekommen hatten.

Die rechtliche Benachteiligung der Arbeitnehmer*innen bei kirchlichen Arbeitgebern muss ein Ende finden.

Das Positionspapier findet sich auch auf der Website des AKSH.

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