Türkei

"Syrer sind dazu bestimmt, zu sterben"

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Oft werden die Toten durch die Bombardements in Syrien regelrecht zerfetzt, so dass die Aufgabe darin besteht, Körper und Glieder vom Boden aufzulesen. Wie verkraftet man es psychisch, tote Menschen, darunter etliche Kinder, zu retten - oder ihre Leichname so würdig wie möglich aus dem Schutt zerbrochener Häuser zu bergen?

Wir fragten den Rettungssanitäter Ibrahim. Fünf Jahre lang packte er als freiwilliger Helfer in Syrien an. Verletzten leistete er Erste Hilfe, Tote grub er aus den Ruinen. Ibrahim erinnert sich zurück: "Richtig schlimm sind nur die ersten Wochen. Danach geht es einigermaßen. Gewöhnt man sich an diese elende Arbeit mit dem Sterben? Aber man kann letztlich nichts dagegen machen, solange weiterhin Bomben fallen und Scharfschützen die Menschen töten. Irgendwann akzeptiert man die Folgen des Kriegs".

Da mischt sich Bushra ein, Ibrahims Freundin: "Die ganze Welt akzeptiert doch den Krieg in Syrien und niemand unternimmt etwas dagegen. Sterben zwei Menschen bei einem Anschlag in Europa, steht es in allen Nachrichten. Zweifellos ist ihr Tod auch schlimm. Kommen aber 100 Menschen in Syrien ums Leben, dann wird es hingenommen. Warum sorgen die großen Länder nicht endlich dafür, dass Al-Assad geht?". Die attraktive junge Frau sitzt im Café, hält inne, blickt einen Moment aus dem Fenster. Dann fügt sie entwaffnend an: "Syrer sind dazu bestimmt, zu sterben". Professionelle Hilfe zur Aufarbeitung der grausamen Bilder gibt es nicht. Kraft gibt Ibrahim dagegen seine Arbeit, das Anstreben in eine gute Zukunft.

Wie sieht die aktuelle Situation für Kriegsflüchtlinge in der Türkei aus? Parallel zur Areit als Rettungssanitäter beendete Ibrahim sein Studium an der Universität in Aleppo als Mechanical Enigneer und arbeitete noch zwei Jahre in Syrien. Im November 2016 floh der junge Mann dann selbst aus seiner Heimat in die Türkei. In der Regel gelingt das nur mit einem Schlepper und viel Geld. Ibrahim bezahlte 700 Dollar, damit er es auf gefährlichem Weg über Idlib in die Türkei schaffte. Wäre er nicht geflohen, hätte er in der Armee von Präsident Bashar Alassad als Soldat dienen müssen. "Ich will doch keine Menschen töten müssen", erklärt Ibrahim und rollt die Augen. Mittlerweile lebt der sympathische Syrer in Adana in einer Wohngemeinschaft mit drei anderen Männern. Die Wohnung ist viel klein, sie bietet keine Ausweichmöglichkeiten, kleine nervige Reibereien stehen an der Tagesordnung.

Der Kurs Euro zu türkischer Lira steht bei rund eins zu vier. 1000 Lira entsprechen somit grob 250 Euro. Die Lebenshaltungskosten sind gemessen am Einkommen teuer. Grundsätzlich bekommen Flüchtlinge trotz gleicher Qualifikation deutlich weniger Lohn. Ibrahims türkische Kollegen in der Werkstatt bekommen 1700 Lira, er wird trotz gleicher Leistung bei zehn Stunden täglich mit 600 Lira abgespeist. 200 Lira kostet allein die Miete in der Wohngemeinschaft. "Wir Flüchtlinge in der Türkei sind Menschen zweiter Klasse. In der Uni, auf der Straße, einfach überall werden wir verachtet und verspottet", bedauert Ibrahim.

"Durch den Krieg fehlen in Syrien bereits fünf Jahre Ausbildung", erklärt Bushra das weitere Problem – die mangelnde Bildung. "Die Leute, die in Zelten wohnen, haben oft keine Ausbildung oder ein Studium. Doch ohne abgeschlossenen Beruf hast du gar keine Chance in der Türkei Fuß zu fassen", erfuhr die 20-Jährige. Bushra ist Studentin an der Universität in Adana. Sie lebt im Studentenwohnheim und bezahlt dort 1000 Lira im Jahr für die Miete. Durch Nachhilfestunden in den Sprachen Englisch und Türkisch verdient Bushra 500 Lira monatlich. Ihr Bruder unterstützt sie monatlich finanziell, sonst könnte sie die Kosten nicht decken.

Ibrahim möchte am liebsten einen kompletten Neuanfang starten. Findet er einen Job mit fairem Gehalt? Eine kleine Chance gibt es vielleicht über eine Hilfsorganisation, dort werden gelegentlich Mechaniker gesucht. In ein paar Wochen möchte das hübsche Paar eigentlich heiraten.