Die 220 Teilnehmer*innen der 20. Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Kassel haben die Bundesregierung aufgefordert, die Privilegien der Kirchen beim Arbeitsrecht zu beseitigen. "Wir fordern ausnahmslos die gleichen Rechte wie unsere Kolleg*innen in nichtkirchlichen Betrieben", heißt es in einer mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution der kirchlichen Mitarbeitervertreter*innen aus dem ganzen Bundesgebiet.
"Zum ersten Mal will eine Regierungskoalition auf Bundesebene das kirchliche Sonderrecht auf den Prüfstand stellen", sagte Tobias Warjes von der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) mit Bezug auf den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. "Es ist völlig klar, dass die rund 1,8 Millionen kirchlichen Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen in den Dialog einbezogen werden müssen. Schließlich geht es um ihre grundlegenden Rechte, die von der Kirche infrage gestellt werden."
Konkret fordern die Mitarbeitervertreter*innen unter anderem die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes und der Unternehmensmitbestimmung auch auf kirchliche Betriebe. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, warum Beschäftigte bei Kirchen, Diakonie und Caritas weniger Mitsprache haben sollten als in weltlichen Betrieben", betonte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon, Herausgeber der Zeitschrift Arbeitsrecht und Kirche und Mitorganisator der Kasseler Tagung. Völlig aus der Zeit gefallen seien auch sogenannte Loyalitätsanforderungen, mit denen insbesondere die katholische Kirche in das Privatleben ihrer Beschäftigten eingreife.
"Die Kirchen zeigen, dass sie auch im Jahr 2022 noch nicht bereit sind, grundlegende Freiheits- und Schutzrechte anzuerkennen", kritisierte Mario Gembus, der bei ver.di für kirchliche Einrichtungen zuständig ist. "Deshalb muss die Bundesregierung jetzt eingreifen und dafür sorgen, dass staatliche Gesetze auch in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden greifen." Im Zentrum stehe dabei die Abkehr vom sogenannten Dritten Weg kircheninterner Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen. "Tarifverhandlungen müssen auch in kirchlichen Einrichtungen selbstverständlich werden", forderte der Gewerkschafter. "Unsere Kolleginnen und Kollegen wollen selbst Einfluss nehmen darauf, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Das geht nur mit Tarifverhandlungen auf Augenhöhe inklusive des Streikrechts."
Über diese Forderungen wollen ver.di und die Mitarbeitervertretungen mit den Parteien ins Gespräch kommen. Bei der Kasseler Fachtagung debattierten sie mit den Bundestagsabgeordneten von Grünen und SPD, Frank Bsirske und Kaweh Mansoori. Beide sprachen sich klar für grundlegende Veränderungen aus und kündigten an, den Diskussionsprozess zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts Anfang kommenden Jahres zu beginnen – und dabei auch und gerade die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen einzubeziehen.