Die Philosophin und Autorin Lisz Hirn plädiert in ihrem Werk dafür, einer politisch motivierten "Heilen Welt-Rhetorik", angelehnt an die 50-er Jahre, wo noch alles seine Ordnung und jede/r vermeintlich seinen Platz in der Gesellschaft hatte, nicht auf den Leim zu gehen.
Diese beeinflusst vor allem die Rechte der Frauen in negativer Weise und macht Fortschritte hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft zunichte. Das Buch ist jedoch keineswegs nur für ein weibliches Publikum geschrieben.
Die Absicht liegt vielmehr darin, darauf hinzuweisen, dass die Rollenverteilung von Mann und Frau in der Gesellschaft eine vielschichtige und auch immer eine politische ist.
So bezeichnet die Autorin derlei Akteure oder vielmehr Antagonisten als "Biedermänner" beziehungsweise "Biederfrauen" als treffende Attribuierung für konservativ-patriarchale GedankengutträgerInnen und -kolporteurInnen, die einer tatsächlichen Gleichberechtigung im Wege stehen. Sie betont dabei, dass die damals im Jahr 2019 aktuelle türkis-blaue Regierung in Österreich diesen Trend weiter Fahrtwind aufnehmen ließ.
Das Buch bildet keine Abhandlung über etwaige Feminismus-Theorien. Im Gegenteil. In einem "knackigen" Format von nur 135 Seiten (exkl. Quellenverzeichnis) vermag es die Autorin pointiert auf aktuelle Krisenherde in der Gleichberechtigungs-Debatte hinzuweisen.
Die Struktur des Buches ist dabei erfrischend-innovativ: Zu Beginn wird im Inhaltsverzeichnis Abstract-artig die Kernaussage der einzelnen sieben Kapitel erläutert. Den Abschluss dieses Werks bildet ein Quiz, das auf humorvolle Art und Weise zum Nachdenken anregt, ob oder inwieweit man selbst eine Biederfrau oder ein Biedermann ist.
In ihrer Argumentation beruft sich die Autorin zwar zum Teil auf Klassiker der Feminismus-Debatte à la Simone de Beauvouir, bettet diese aber stets in einen hochaktuellen Kontext ein. Jedes Kapitel verweist mit diversen Statistiken und Fakten parallel auf die aktuelle politische Situation und entsprechende Entwicklungen.
Wie schon eingangs erwähnt, spielen auch rhetorische Gassenhauer der Biedermänner- und -frauen dabei eine zentrale Rolle. Diese werden zu Beginn der jeweiligen Kapitel exemplarisch als Einleitung verwendet. Eine aktuelle "Blüte", die diese Rhetorik der konservativen Parteien treibt, ist beispielsweise die zitierte Behauptung, dass man durch die Rückkehr zur Natur auch eine "natürliche Ordnung" zwischen Mann und Frau wiederherstellen wolle, und letztere somit auf "ihren" angestammten Platz verweist. Ob das nun Herd oder Büro oder andernorts ist, sei dahingestellt.
In einem anderen Kontext kritisiert die Autorin den gescheiterten Versuch der feministischen Bewegung, Gleichberechtigung durch sprachliche Gleichstellung zu erlangen. Durch den übermäßigen Fokus auf die sprachliche Gleichbehandlung geriet die tatsächliche ins Hintertreffen.
Hinzu kam und kommt, dass emanzipatorische Bestrebungen zusehends in unterschiedliche Richtungen tendieren. Anstelle einer Solidarisierung unter der weiblichen Bevölkerung stehen sich nun beispielsweise kinderlose ("Karriere"-)Frauen, Mütter und Migrantinnen mit ihren jeweiligen Wertvorstellungen diametral gegenüber.
Emanzipation für alle – aber welche?
Die Autorin thematisiert in ihrem Buch unter anderem Frauenquoten, unbezahlte Pflegeleistungen, weibliche Altersarmut, Kopftuch-Kulturrelativismus, Abtreibungsrechte, Menstruationstabus, #metoo und Gewaltschutzgesetze, um schließlich auf die eine, zentrale Frage hinzuführen: Wie ist Emanzipation und wahre Gleichberechtigung möglich?
Am Beginn müsste, laut Lisz Hirn, die Emanzipation von Religion erfolgen. Nur so kann eine neutrale Basis geschaffen werden, um Rechte und Freiheiten der BürgerInnen zu verhandeln. Ferner ist in jedem Fall eine Emanzipation beider Geschlechter, vor allem von verhärteten Rollenmustern, notwendig. Die Betonung soll dabei darauf liegen, dass aus diesem fairen Dialog nicht nur die Frauen als Profiteure und die Männer als Verlierer hervorgehen. Beide sollen ihre Nutzen daraus ziehen können und nicht das Frau- oder Mann-, sondern das Menschsein dabei im Mittelpunkt stehen.
So schreibt die Autorin treffend:
"Emanzipation kann, soll sie funktionieren, keine Einbahnstraße sein. Sie ist kein Programm, sondern vielmehr ein Ethos, eine verbindliche moralische Haltung, die Männer und Frauen einander gegenüber leben müssten." (S. 128)
Der Konjunktiv dieses Zitats weist darauf hin, dass es noch Handlungsbedarf gibt.
Das vorliegende Buch wurde während einer rechtskonservativen, türkis-blauen Regierung verfasst, welche beträchtliche Spuren in der Gender-Debatte hinterlassen hat. Ob nun die türkis-grüne Politik positive Veränderung in der Emanzipationsbestrebung ermöglicht, bleibt abzuwarten.
Dieses Buch stellt zusammenfassend eine Aufforderung dar, für alle Frauen und Männer, kurz für alle mündigen Menschen, die in einem demokratischen System leben und denen ihre Freiheitsrechte auch etwas wert sind, Geschlechter-Rhetorik bewusst zu hinterfragen und sich mit Lippenbekenntnissen und -Innen nicht zufrieden zu geben.
Lisz Hirn, "Geht's noch!" Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist, Molden Verlag; Wien, Graz 2019, ISBN: 978-3-222-15030-2, 20,00 Euro
2 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
wie guido maria kretschmer sagte: die Zukunft ist weiblich und vegetarisch, dem schließe ich mich an. ich komme selber im patriachat nicht klar.
Madoc am Permanenter Link
Bill Gates hielt einen wirtschaftlichen Vortrag in Arabien. Das Publikum war, wie dort üblich mit einer Trennwand in zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen aufgeteilt. Nach dem Vortrag gab es eine Fragerunde.
Das fasst es für mich zusammen. Die Gleichstellung der Geschlechter und die Wirtschaft sind miteinander gekoppelt. Und beides ist mit der Zufriedenheit in der Gesellschaft verbunden. Kindergärten wurden großflächig eingeführt, als man zu Beginn der Industrialisierung mehr Arbeiter an den Fließbändern benötigte. Die männliche Bevölkerung reichte für ein weiteres Wirtschaftswachstum nicht mehr aus. Und da Frauen nun öfter eigenes Einkommen hatten, folgte die Freiheit, eigene Konten zu führen.
Aus der Sicht ist es völlig absurd, die Gleichstellung der Geschlechter als eine reine Frauensache anzusehen. Man muss gar nicht tief in die moralische Argumentation einsteigen, die Wirtschaft allein illustriert diesen Punkt schon ganz wunderbar.