Interview mit Sandra Pacholke von der Partei der Humanisten

"Wenn Du keinem anderen schadest, dann sei, wie Du bist"

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Sandra Pacholke
Sandra Pacholke

Bei der Landtagswahl NRW und der Bundestagswahl 2017 will die Partei der Humanisten (PdH) "antreten". Was sie dafür tun, was sie garantieren oder lassen werden, darüber spricht die stellvertretende Generalsekretärin und Vorstandsvorsitzende des Landesverbands Berlin, Sandra Pacholke, im Interview mit dem hpd.

Berlin, ein grauer, nasskalter Freitag im Februar. Es ist Nachmittag. Wir treffen uns an der U-Bahnstation Warschauer Strasse. Sandra Pacholke und vier weitere Mitglieder der PdH stehen auf dem Vorplatz, sozusagen "draußen vor der Tür". Aufgetauter Schnee hat auf dem Asphalt wie ein Zitat schwarze Pfützen hinterlassen, es nieselt und kein Mensch will in dieser unwirtlichen Situation stehen bleiben um sich über Politik informieren oder auch nur die Hand für eine Unterschrift aus der warmen Tasche ziehen. Fast alle wollen einfach nur weiter. So sieht es in diesem Moment aus. Doch die Veranstaltung war angemeldet und Chancen werden nicht vertan. Die Parteimitglieder kennen ihr Ziel genau und halten weiter Ausschau, um Kontakt mit den Passanten aufzunehmen. Kurzfristig steht in Nordrhein-Westfahlen am 14. Mai 2017 die Landtagswahl und am 24. September die Wahl des Bundestages an, dafür müssen Unterstützerunterschriften gesammelt werden.

Die Partei der Humanisten (PdH) hatte 2016 ihren dritten Bundesparteitag. Will die Partei ihr Ziel beibehalten, 2017 in den Kosmos des Politik-Establishments eintreten, so ist die erste Hürde ein Datum: Der 27. März 2017, 18 Uhr. Der Rechtsgrundlage entsprechend sind dem Landeswahlleiter NRW "bis zum 48. Tag vor dem Wahltermin" (das ist der 27.03.) von den Parteien WahlbewerberInnen als KandidatenInnen zu benennen und 1.000 Unterschriften von Wahlberechtigten vorzulegen. Das gleiche Prozedere gilt für die Bundestagswahl, hier müssen allerdings 2.000 Unterschriften in jedem Bundesland gesammelt werden. In den Wahl-Prognosen steht bisher kein Wort zur PdH, das ist auch nicht möglich, die Hürde zur Wahl-Zulassung ist zuvor zu nehmen.

"Wir sind die erste Partei der säkularen und evolutionären Humanisten. Unsere Politik stellt den Menschen über Dogmen und Ideologien und betont die individuelle Freiheit, eine soziale Gesellschaft und wissenschaftlichen Fortschritt" ist die konstante Prämisse und Einladung auf der Homepage.

Weiter dazu: "Wir wollen zur Bundestagswahl 2017 antreten ..., eine plurale Meinungsvielfalt bei der Wahl sicherstellen. Dafür brauchen wir eure Unterschrift." Ein Hinweis auf den Datenschutz ist enthalten.

Sechs Formulare stehen online auf der PdH-Homepage für Unterstützer bereit. Das erste für die Landtagswahl in NRW, weitere fünf für Wahlberechtigte aus den Bundesländern, in denen sich ein Landesverband der PdH gegründet hat, das sind Berlin, Hessen, NRW, Bayern und Baden-Württemberg. Die Gründung des Landesverbandes in Niedersachsen ist in der Vorbereitung.

Von der U- Bahn-Station Warschauer Strasse kommend, setzen wir uns in eines der nahegelegenen Kaffee-Häuser.

hpd: Macht Politik eigentlich Spaß, (Sandra Pacholke lacht) was hat Dich dazu geführt, aktiv in die Politik einzusteigen?

Sandra Pacholke: Ich war immer schon politisch, auf alle Fälle politisch interessiert.

Ich habe mich aber nie bei einer Partei zu Hause gefühlt. Ich habe mich immer schon für den Schutz der Umwelt interessiert, war Mitglied bei Greenpeace. Ich habe dann angefangen zu studieren, hätte Umweltschutz studieren können, bin dann aber umgeschwenkt auf Ingenieurwesen, genau genommen Ingenieurgeologie, da ich dort ein sehr breites Fächerspektrum belegen musste und danach Aussicht auf eine Tätigkeit auf Baustellen und frischer Luft hatte. Ja, dann kam ich auf meine erste Baustelle und dachte, jetzt, .... jetzt mache ich hier mal so richtig den Umweltschutz. Aber, die Leute achteten schon sehr darauf. Was soll ich also dort, fragte ich mich. Die machten schon so viel dafür, da brauche ich nichts mehr zu tun. Man achtete auf die Wölfe, da wurden schon Brücken speziell für die Wölfe gebaut, damit sie trotz Baustelle und Autobahn dort weiterleben konnten, dafür haben wir auch nur nachts gearbeitet.

Vieles was ich in meinem Alltag, auch auf der Baustelle erlebt habe, ist gut gemeint, aber entweder schlecht oder überzogen umgesetzt. Die Grünen sind in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel dafür. Ich wollte pragmatische, undogmatische Politik machen. Bei Greenpeace bin ich dann auch ausgeschieden, weil es keine Lösungsansätze gab. Das war problematisch.

"Wir versuchen zusammen eine Lösung zu finden..."

Du bist Landesvorsitzende in Berlin, wie bringst Du Deine Gedanken den Menschen näher?

Ja, das ist die Frage. Bei meiner Arbeit z. B. sitzen Umweltschützer direkt mit am Tisch. Sie sind von Anfang an in das Projekt eingebunden, wir versuchen zusammen eine Lösung zu finden, dafür wird viel diskutiert.

Politisch versuche ich zu analysieren was funktioniert, was gut ist und versuche ins Gespräch zu kommen, um zu erfahren, was den Menschen wichtig ist. Dann gilt es eine gute Lösung zu finden, die möglichst viele Interessen berücksichtigt, alle allerdings im Detail , das wird nicht gehen. Dabei versuche ich eine Vorteil-Nachteil Matrix aufzustellen. Der Vorgang ist relativ schwierig zu beschreiben.

Gehen wir einen Schritt zurück: Warum gibt es eine neue Partei und wie seid ihr aufgestellt?

In Berlin haben wir über 20 Mitglieder. Wir kommen aus sehr unterschiedlichen, akademischen und nicht akademischen, Bereichen und sind auch in den Altersklassen breit gemischt. Das ist gut. Von sehr unterschiedlichen Leuten können auch sehr unterschiedliche Ansichten kommen.

Was füllt den Namen Partei der Humanisten, was zeichnet die Partei aus, wie ist sie zu beschreiben? Wen wollt ihr ansprechen, wen gewinnen, wer wird sie wählen?

Wir sind Individuen, d. h. andere Menschen sind erst einmal so zu akzeptieren, wie sie sind. Anders ist es bei den Grünen. Beispielsweise heißt es: Du sollst kein Fleisch essen. Im Gegensatz dazu haben wir in der PdH eine hohe Individualität, das bringt uns zusammen. Wichtig ist natürlich, dann auch anderen Menschen und der Umwelt wenig zu schaden, das ist dann die schwierige Abwägungsfrage.

Ist das eine Prämisse, für die die Partei der Humanisten steht?

Ja.

Gibt es weitere Prämissen?

(Überlegt) Das Wohlergehen und die Freiheit des Menschen steht an erster Stelle. Wir wollen keine Politik nur für bestimmte Gruppen machen, sondern für alle Menschen.

Zurück zum Umweltschutz. Auf eine Einladung bekam ich einmal die Antwort: Nein, ich kann Sie in Berlin nicht besuchen, dann müsste ich fliegen oder mit der Bahn fahren., das schadet der Umwelt, ich bleibe zu Hause.

(Wieder lacht Sandra Pacholke) Ja. Das ist eine Entscheidung, die muss man abwägen. Ich persönlich fliege nicht, ich habe auch kein Auto. Wenn ich unterwegs sein muss oder etwas sehen möchte, reise ich per Bahn. Einfach zu sagen, ich reise grundsätzlich nicht. Nein, das funktioniert so nicht. Eine Reise ist eine Entscheidung, die abzuwägen ist. Es gab ja einmal auch Kritik an Teilnehmern eines Klimaschutzgipfels, weil diese per Flugzeug anreisten. Doch da stellt sich für mich die Frage, ob dieses Zugeständnis nicht notwendig ist, um das größere Wohl zu erreichen. Wir sind ja auch soziale Wesen und der persönliche Kontakt ist wichtig. Ich kann mich nicht nur über digitale Medien kommunizieren.

Du legst die Frage jeweils auf eine Waagschale und die heißt: Ich denke darüber nach?

Der Weg, eine Entscheidung zu finden, ist bei mir inzwischen wie ein automatischer Vorgang im Hinterkopf angelegt. Es ist ein Hinterfragungs-Mechanismus, der sich entwickelt hat und ist weder schwierig noch anstrengend. Schade ich keinem anderen, dann mache ich es. Bei einer Reise z. B., sage ich nicht von vornherein nein. Es kann auch eine Entscheidung werden, nicht zu reisen, weil zu viel Ressourcen verbraucht werden.

Deine Beispiele sind eindrucksvoll, von einem Regierungsprogramm aber weit entfernt.

Natürlich, ja.

Was kommt zu den geschilderten Gedanken? Steht das Parteiprogramm und was ist davon zu berichten?

Das ist noch recht schwierig. Wir sind alle berufstätig und haben damit auch anderes zu tun. Und vom Regieren können, sind wir ja auch noch ziemlich weit entfernt. Wir haben natürlich schon eine Menge Punkte mit unserem Grundsatzprogramm abgedeckt. Als roter Faden zieht sich hindurch, so wenig wie möglich zu verbieten, sondern positive Anreize setzen und die Menschen befähigen selber zu denken.

Ich würde also nicht sagen, fahrt nicht so viel mit dem Auto, verreist nicht mehr oder fahrt mit der Postkutsche, sonst verbraucht ihr zu viel CO2. Programm ist: Überlegt euch, ob ihr das machen wollt, ob es sinnvoll und nötig ist, z. B. um bei einer Reise zu bleiben. Verboten ist das nicht.

"Verantwortung zu übernehmen heißt auch, die Ressourcen genau zu erfassen und möglichst effektiv einzusetzen."

Es gibt z. B. die Bewegung des Effektiven Altruismus. Dieser sagt beispielsweise, es ist ok viel Geld zu verdienen, wobei man hier noch wirklich hinschauen muss, ob das nicht teilweise auf dem Rücken von anderen Leuten verdient wird und damit neues Leid erzeugt wird. Das Geld sollte dann dafür eingesetzt werden, die Welt zu verbessern und Menschen, die Leid erfahren haben zu helfen. Dabei wird analysiert, wie man mit seinem Einsatz das maximal mögliche Erreichen kann. Es gibt das Beispiel, ob man in Schulbücher oder in Entwurmung von Kindern investieren sollte. Die Antwort ist ganz klar: in die Entwurmung. Denn Würmer töten enorm viele Kinder im schulfähigen Alter, können also niemals eine Schule besuchen. Es hört sich vielleicht herzlos an, Verantwortung zu übernehmen heißt auch, die Ressourcen genau zu erfassen und möglichst effektiv einzusetzen. Vergessen darf man sich selbst und die Freude am eigenen Leben natürlich auch nicht. Wenn ich da jetzt mein letztes Hemd hergebe, kann es sein, dass ich mein eigenes Leben vernachlässige.

Die Verantwortung für das eigene Handeln liegt in der eigenen Hand?

Ja, das könnte als Unterschied zu anderen Parteien genannt werden. Andere Parteien haben andere Voraussetzungen. Zum Beispiel die Grünen, sie möchten die Umwelt, die "Schöpfung", wie die einen oder anderen sagen, in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Doch die Erde und die Umwelt verändert sich ja ständig bzw. wir lernen ja immer mehr dazu. Einen Wunsch nach einer sogenannten Rückkehr zu einem früheren Zustand funktioniert nicht. Bedingungen auf der Erde, die es ermöglichen, dass hier Menschen leben, sollten wir bewahren. Dazu gehört natürlich auch der Umweltschutz, ich möchte ja nicht in einer Betonwüste leben und andere empfindungsfähige Lebewesen, mein Leben möchte ich ja nicht auf das Leid anderer aufbauen. Das ist ein dringendes Anliegen. Ich mag natürlich das Leben und möchte es so vielen Menschen wie möglich ermöglichen. Das kann manchmal im Widerspruch zu dem stehen, was das beste für diesen Planeten wäre. Das sind unsere Probleme. Um diese beiden Ziele in Einklang zu bringen, muss man alles ganz genau betrachten.

Wie bringt ihr eure Gedanken den Bürgern näher? Gibt es Analysen, Fakten und Zahlen, oder Bücher?

Menschen, die in die gleiche Richtung denken, gibt es viele, Veranstaltungen, ja auch, wenn ich da z. B. an den March of Science denke, der sich gerade etabliert. Wir versuchen auf so vielen wie nur möglich präsent zu sein und mit so vielen Menschen wie möglich in Kontakt zu kommen. Analysen gibt es ebenfalls zu jeglichem Thema haufenweise. Da wir ein wissenschaftliches Verständnis der Welt vertreten und versuchen Probleme ebenso wissenschaftlich zu lösen, setzen wir stark auf die Veröffentlichungen von Experten in den jeweiligen Fachgebieten. Aus diesen wissenschaftlichen Analysen geht dann die Datenlage zu Problematiken hervor. Wir möchten Probleme auf die effektivste Art lösen. Doch wenn es das Individuum betrifft, also eine Handlungsweise wichtiger für den Einzelnen als für die Gesellschaft ist, dann sollte das mit größtmöglicher Eigenverantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten geregelt werden.

Das ist ein nachvollziehbarer Punkt zum Thema Eigenverantwortung. Quintessenz ist handele verantwortlich im Leben. Das dürfte ein Dorn im Auge elitär geleiteter Organisationen sein

Ja.

Gilt Eigenverantwortung in allen Bereichen?

In allen, die nur den Einzelnen betreffen. Wenn es sich um gesamtgesellschaftliche Probleme handelt, dann muss die Gesellschaft darüber einen Diskurs führen, wie dieses Problem zu lösen ist.

Gilt es für Berufe und Unternehmen, dann dürften wohl einige Bereichen sozusagen leerlaufen.

Es geht nicht darum, allen komplett freie Hand zu lassen in dem was sie machen, denn daraus kann auch schwerer Schaden für die Gesellschaft entstehen. Es geht um verantwortungsvolles Handeln. Es muss auch Richtlinien für gemeinschaftliche Unternehmungen geben. Jemand der in der Verantwortung eines hohen Amtes - sei es in der Politik oder in der Wirtschaft - steht, muss sich auch an gewisse Spielregeln halten. Das meinte ich mit "gesamtgesellschaftlichen Problemen". Sofern deine Handlungen nur dich selbst betreffen, solltest du frei in deiner Entscheidung sein. Je mehr deine Entscheidungen aber das Leben und Wohlergehen anderer Menschen beeinflussen, um so mehr muss man auch darauf schauen, dass man gute und positive Ergebnisse für alle Menschen erzielt.

Wie kann es bei Kindern gehen, die erst einmal von ihrer Umgebung das vorgelebte als richtig annehmen und ihre eigene Lebenserfahrung gewinnen. Ich denke an die Schule. Gibt es eine Vorstellung, sie an Selbstbestimmtheit heranzuführen?

Bei uns in der Partei gibt es dazu keine feste Vorstellung. Ich finde es einerseits wichtig, den Kindern beizubringen, dass es ‚früher’ schon viele Erkenntnisse gab, die sie zunächst begreifen und erlernen müssen. Den Satz des Pythagoras muss man nicht neu erfinden. Andererseits muss man ihnen die Freiheit geben, Dinge neu zu erforschen.

Ich unterrichte auch an der Hochschule und sage zu einem Thema: das sind die Prämissen, die sind erkannt worden und in diesem Rahmen bewege dich frei. Manchmal kannst Du auch die Prämissen ändern, wenn z. B. neue Forschungsergebnisse vorliegen, wenn dir das möglich ist, dann ändere sie. Zum Beispiel die Schwerkraft, die kann man nicht ändern oder wegdiskutieren. Die ist da, das ist Fakt, den kann man beibringen, da muss man nicht lange drüber nachdenken. Aber und das ist wichtig: Innerhalb dieser Prämissen bewege Dich so frei wie möglich, decke eventuelle Widersprüche auf, kritisiere und bediene dich deines Verstandes.

Frei sein, dürfte eines der schwierigsten Themen sein.

Ja. Ich weiß nicht, ob die alle Menschen wirklich frei sein wollen. Es gibt Menschen, die wollen so etwas wie einen Rahmen vorgegeben haben, in dem man zu sein hat.

Wie setzen sich Freiheit, Emanzipation in einem politischen Programm um?

Das versuche ich zu erklären. Einen Punkt gibt es, der mich immer schon geärgert hat. Ich habe mich immer als liberaler Mensch verstanden. Im Bundestag haben wir ein breites Spektrum. Die FDP versteht sich als die liberale Partei. Ich konnte sie aber nie wählen, weil sie eben zu sehr und fast einseitig auf die Freiheit der Wirtschaft bestanden hat, ohne die gesellschaftliche bzw. kollektive Situation zu bedenken. Die CDU konnte ich aus verständlichen Gründen nicht wählen. Im Gegenzug gibt es Parteien, ähnlich wie die PdH auch mit dem Ansatz, alle Menschen sind gleich in ihren Rechten Das finde ich schon besser. Dann aber zu sagen, alle Menschen haben gleich, zu sein, ist auch Blödsinn. Menschen sollten gleichberechtigt sein. Ob nun einer den Müll abfährt oder ein anderer Professor ist, ist egal. Zwischen den beiden Polen, dem, ich sage mal rein wirtschaftsliberalen und dem kollektiven Gedanken gibt es keine Partei. Dazwischen fehlt eine Partei. Bei den Linken gibt es wiederum eine Überbetonung auf die Erwerbsarbeit , ich glaube, dieser Gedanke ist ursprünglich calvinistisch gewesen.

"Ob nun einer den Müll abfährt oder ein anderer Professor ist, ist egal."

Ich will hier noch einmal auf das universelles Grundeinkommen eingehen: Du bekommst Geld zum Leben. Das heißt, wir, die Gesellschaft vertraut darauf, dass Du damit etwas zur Gemeinschaft beitragen wirst. Da sagen manche, das wird so nicht funktionieren. Wenn ich mir aber heute schon das ehrenamtliche Engagement ansehe, denke ich, dass das funktionieren könnte. Deswegen streben wir ja auch eine schrittweise Einführung mit einer entsprechenden Evaluation an.

Es sollte nicht so sein, dass der Mensch eine Erwerbsarbeit annehmen muss, allein um seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder besser noch, allein um tätig als beschäftigt zu sein. Ich sage deutlich, das geht nicht. Es ist ein Überbleibsel des Sozialismus und der Idee, dass Vollbeschäftigung zum sinnvollen Leben dazu gehört. Dass man also Menschen beschäftigen muss, egal ob das eine sinnvolle oder weniger sinnvolle Tätigkeit ist, Hauptsache sie tun etwas und kommen nicht auf dumme Gedanken.

Das eigene Lebenskonzept gibt den Ausschlag und da ist es interessant, der eine möchte Kinder haben, der andere reisen. Das ganze Rentensystem funktioniert nicht so gut.

Dafür bräuchten wir eine höhere Geburtenrate und vor allen Dingen mehr sozialversicherte Beschäftigungsverhältnisse. Aber wollen das auch die Menschen? Manche sicherlich, andere würden viel lieber freier arbeiten. Nur um das bisherige Rentensystem am Laufen zu halten, muss ich die Menschen doch dort nicht hinein pressen, sondern schauen, wie kann ich das an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Da gibt es sogar schon in Europa bessere Lösungen, da muss ich noch nicht einmal das Rad neu erfinden. Schauen wir doch erstmal dorthin, bevor wir immer nur eine hohe Geburtenrate - wir haben in Deutschland schon eine recht hohe Bevölkerungsdichte – fordern und mehr sozialversicherungspflichte Jobs fordern. Ich weiß nicht, ob für die Deutschen das jetzige Rentensystem so aufgeht. Da gibt es schon in anderen Ländern bessere Lösungen.

Wo können interessierte Menschen die Fakten lesen?

Auf unserer Homepage haben wir das Programm und das Leitbild. Am 1. und 2. April 2017 werden wir unseren 4. Parteitag haben und beraten, was in die Bundestagswahl einzubringen ist. Wir werden also noch einmal versuchen, die Punkte darzulegen und unsere programmatischen Schwerpunkte für die Bundestagswahl setzen.

Wir sind eine junge Partei und haben viele neue Ideen.

Wie ist die Partei der Humanisten zu treffen?

In Berlin haben wir einmal im Monat einen Stammtisch. Wir haben Landesverbände in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, auch dort finden Stammtische statt, dazu kommen Infostände.

Was liegt jetzt direkt an?

Wir wollen zur Bundestagswahl antreten. Zuvor müssen wir Unterschriften sammeln und diese dem Wahlleiter vorlegen und damit unsere Chance glaubhaft machen, gewählt zu werden. Um in einem Bundesland antreten zu können, müssen wir 2.000 Unterschriften von Wahlberechtigten des jeweiligen Bundeslandes vorlegen. In Berlin brauchen wir die Unterschriften von Berlinern und so weiter, also die Unterschriften von Wahlberechtigten Bürgern in den Bundesländern, in denen wir Landesverbände haben.

Sandra Pacholke beim Straßenwahlkampf in Berlin. Foto: © Evelin Frerk
Sandra Pacholke beim Straßenwahlkampf in Berlin. Foto: © Evelin Frerk

Wie groß ist die Manpower?

Wir sind im letzten Jahr deutlich gewachsen, in Berlin bspw. haben wir doppelt so viele Mitglieder als zur Landtagswahl vor einem Jahr.

Wir haben, dieses Mal auch mehr Zeit, die Deadline für die Unterschriftensammlung zur Bundestagswahl ist Anfang Juli. Fünf Monate liegen vor uns, um das Ziel zu erreichen und das sollte möglich sein. Auf unserer Homepage sind die entsprechenden Unterschriftenformulare hinterlegt, diese müssen ausgedruckt, handschriftlich unterschrieben und an die entsprechenden Adressen versandt werden.

Wird bei den künftigen PdH-Wählern eher an Säkulare gedacht?

Nicht nur. Unser Programm steht für auch für Selbstbestimmung und mehr Forschung.

In Berlin sind 62 Prozent der Bevölkerung konfessionsfrei, 74 Prozent sind säkular. Das ist eine hohe Quote. Nicht alle davon sind wahlberechtigt und, Säkulare sind keinesfalls alle gleich. Ich möchte schon annehmen, viele werden zu unserer Partei und unserem Programm hinschauen, den Anreiz annehmen, vielleicht sich damit auseinandersetzen. Nun sind Säkulare in sich sehr verschieden. Ich denke, unsere Wähler-Innen gehen quer durch die Bevölkerungsschichten ebenso wie unsere Kandidat-Innen.

In Berlin ist die Kirche gar nicht mehr so präsent, sie merken es nicht mehr wirklich, wie dogmatische christliche Voraussetzungen sie beeinflussen. Ein Beispiel ist das Sterbehilfegesetz, besser gesagt, das Verbotsgesetz zur Sterbehilfe. Wenn ich nicht entscheiden kann, wann ich sterben möchte, etwa weil ich unheilbar krank bin und nur noch an Maschinen hänge und die Gesetzeslage das Recht dazu verweigert? Das kommt meiner Meinung nach noch aus dem Glauben, dass nur Gott ein Leben beenden darf und nicht der Mensch selber. Es ist den meisten Menschen nicht bewusst, wie sehr religiöse Gedanken und Regelungen den Alltag beherrschen. Ich komme noch einmal auf das universelle Grundeinkommen zurück. Das ist für mich wichtig. Ich arbeite und zahle dafür in die Sozialkassen ein. Nur wer arbeitet lebt. Diese evangelische Arbeitsmoral dringt so tief in das Bewusstsein ein und beeinflusst die Leute. Der Ansatz dazu wird nicht bemerkt.

Na, ja, religiöse Dogmen stehen wohl grundsätzlich gegen Selbstbestimmung oder lassen sich diese beiden Pole vereinbaren?

Ja zum ersten, nein zum zweiten.

Kann ein religiöser Mensch die PdH wählen?

Ja, sicher sind wir für religiöse Menschen wählbar, wenn auch nicht für alle. Es gibt Christen, die aus der Tradition heraus Kirchenmitglied bleiben und dennoch fortschrittlich denken.

Ich denke, viele Menschen können sich für uns interessierten und uns wählen. Für Fundamentalisten allerdings sind wir auf gar keinen Fall wählbar, das sehe ich so.

Fünf Monate also liegen vor euch, um in die Wahllisten zur Bundestagswahl 2017 aufgenommen zu werden. Wie rollt die Welle der politischen Selbstbestimmtheit, dem Selbstbewusstsein zur Selbstbestimmtheit, dem eigenverantwortlichen Denken, Abwägen und Entscheiden in die Öffentlichkeit und auf die Bürger zu. Inszeniert ihr so etwas wie die Schule des selbstbestimmten Denkens, geht ihr in Talkshows?

(Lacht laut) Das ist die Frage. Da habe ich keine Erfahrung, wie es mit dem Politikbetrieb ist und wie der Weg dort hin ist. Eine große Provokation ist auf jeden Fall ein Weg.

Die Piraten haben früher in Berlin ziemlich gute Arbeit geleistet und gingen von einer Talkshow in die andere. Das hat sich geändert. Die Piraten gibt es dort in den Talks nicht mehr. Aber, man muss wohl ein Stück provozieren, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Wichtig ist, dabei darf man sich nicht verlieren. Für mich steht fest, ich stehe hinter dem, was ich tue. Arbeit ist in der Öffentlichkeit, in Talkshows nicht gefragt, dort muss man eine Show bieten!

Selbst denken, ist das nicht eine Show

(SP lacht, schaut wieder aufmerksam)

Du hast doch eine Show. Freies Denken, verantwortliches Denken, das spricht den reflektierenden Menschen an, der selbstbestimmt leben möchte. Könnte dieses Dein Thema auch als Politikerin werden?

Kürzlich bin ich gefragt worden, wen ich als meine Vorbilder sehe: Da ist Marc Aurel, der hat schon interessante philosophische Gedanken zur Orientierung und Selbstbetrachtung gehabt. Gelebt hat er im 2. Jahrhundert.

Zu jeder Zeit haben Menschen selbst gedacht.

Es ist für manche Menschen extrem schwierig, wenn er keinen dafür verantwortlich machen kann, dass er etwas nicht getan hat. Er ist selber verantwortlich.

"Es geht um hier und heute."

Es geht um hier und heute. Menschen sollen, müssen sich darüber im Klaren werden, was sie wollen. Dafür ist der Weg zu finden und der muss realisierbar sein.

Ich habe zum Beispiel keine reichen Eltern gehabt und mir trotzdem einen Freiraum geschaffen. Meine Großeltern, väterlicherseits waren Bauern. Es heißt, sie wären recht glücklich mit ihrem Leben gewesen. Aber sie mussten immer Bauern bleiben. Ich habe andere Talente und Möglichkeiten. So ist das eben. Ich glaube, ich wäre auch Bäuerin nicht unglücklich, aber ich habe andere Möglichkeiten, auch gesellschaftlich gesehen und kann andere Dinge realisieren als meine Vorfahren, anders als bspw. im Mittelalter. Um Neues zu tun, musste ich mich ein Stück von den Wurzeln entfernen.

Gibt es bei Dir das Wort Kompromiss?

Ja, es geht nicht ohne. Auf der Baustelle bspw. bin ich offen und schaue die Kosten für Maßnahmen niedrig zu halten. Ich arbeite ja mit Steuergeldern und muss jonglieren, abwägen, möglichst wenig ausgeben. Besteht aber bspw. Gefahr für Menschen, gibt es keinen Kompromiss, dann kostet es das Geld, das es kostet.

Auf das Wort Geld, da steige ich jetzt nicht ein – oder doch. Eine letzte Frage zur Verantwortung und dem Abwägen zum Kirchentag 2017 und der Luther-Dekade. Wie gut siehst du da die Steuergelder eingesetzt?

Ja, sie werden eingesetzt, aber, dazu sage ich nein.

Sandra Pacholke, schönen Dank.

Nach einer Stunde trennen sich wie vereinbart unsere Wege. Die Politiker, auch meine Interviewpartnerin, drehen auf dem Asphalt vor der U-Bahn-Station Warschauer Strasse weiter kleine Runden. Passanten bleiben stehen. Gespräche entstehen.