In Kyritz, im nordwestlichen Brandenburg, ist nach Plön (Schleswig-Holstein) und Leimen (Baden-Württemberg) der dritte Evolutionsweg zum 21. März termingerecht fertig geworden. Die Eröffnung, geplant am Frühlingsanfang 2020, gleichzeitig Tag des Waldes, wurde aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Initiator Peter Linke ist dennoch guter Dinge, stolz und fröhlich. Ein Gespräch vor Ort.
hpd: Herr Linke, Sie sind Revierförster, ist der Beruf initiativ für Ihr Engagement?
Peter Linke: Eigentlich hat eher mein Klassenkamerad Hardy die Schuld. In meiner Schulzeit wurde ich erstmals mit dem Thema Evolution konfrontiert. Wir wurden mit Mitose, Meiose und den Mendelschen Regeln getrietzt. Unsere Biolehrerin erklärte uns die Entwicklung der Arten. Hardy fragte: "Ist es möglich, dass ein anderes Tier die Intelligenz des Menschen erreicht?" Nach kurzer Pause entgegnete sie: "Nein! Diese Stelle ist besetzt." Dieser Widerspruch, einerseits Dynamik in der Entwicklung der Arten, jedoch Stillstand, wenn es um den Menschen geht, zeigt einen Dualismus, der einen unüberbrückbaren Unterschied zwischen Mensch und Tier konstruiert, obwohl die Wissenschaft längst bewiesen hat, dass wir durch eine ununterbrochene Lebenskette miteinander verbunden sind. Erst viel später begriff ich, dass sie, trotz der Unterrichtung der Evolutionslehre, sich von den archaischen Vorstellungen unserer Ahnen emotional nicht trennen konnte und nur partiell wissenschaftliche Erkenntnisse vertrat. Ein Ausdruck frühkindlicher Indoktrination.
Hat das eine Rolle für Ihre Berufswahl gespielt?
Die Förster gehören zu denen, die die Waldpädagogik entscheidend geprägt haben. Gemeinsam mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, der viele Förster angehören, rückte die Förderung von Naturbewusstsein neben dem Waldschutz in den Vordergrund. Dazu wurden Schulwälder eingerichtet, Waldjugendheime und "Häuser des Waldes" eröffnet. Seit 2004 ist im Landesbetrieb Forst Brandenburg die Waldpädagogik Dienstaufgabe. Sie ist Instrument, um Wissen über den Wald und dessen Funktionen zu vermitteln. Heute sind wir noch einen Schritt weiter gegangen. Wir erkennen den Wald als Lernort, der sich hervorragend, eignet, Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen deutlich zu machen, aber auch die Ideen der Bildung für nachhaltige Entwicklung anzuwenden. Es ist uns wichtig, Menschen und insbesondere Kindern anschaulich zu zeigen, welche Auswirkungen ihr Handeln hat, sie zum Hinterfragen und Nachdenken anzuregen und ihnen Kompetenzen an die Hand zu geben, die sie auf andere Lebensbereiche anwenden können.
Kinder haben das Recht auf eine rationale, evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Bildung. Sie sollen vorurteilsfrei von den Realitäten des Lebens erfahren, verschiedene Perspektiven kennenlernen, mit deren Hilfe sie später ihre eigene Sicht der Dinge entwickeln können, ohne sie ideologisch in eine bestimmte Richtung zu lenken. Gerade als Beamte im öffentlichen Dienst obliegt uns das Prinzip der Neutralität, das im Beamtenstatusgesetz klar geregelt ist. Weltanschauliche oder politische Perspektivverengungen dürfen nicht aktiv unterstützt werden. Eine anspruchsvolle Aufgabe, aber gibt es zur Umsetzung eine perfektere Kulisse als den Wald? Das Haus des Waldes in Stuttgart startete eine Initiative, um die Evolution im Wald zu thematisieren. Da ich in der Oberförsterei Neuruppin für die Waldpädagogik verantwortlich zeichne, lag es nahe, die Ideen aufzugreifen. Der 21. März ist der Internationale Tag des Waldes. Dieser Tag wäre perfekt zur Eröffnung des Evolutionslehrpfades gewesen.
Gab es eine Initialzündung, dass dieser Weg hier entstehen sollte?
Zunehmend verärgerte mich die Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit in der Gesellschaft, auf welcher Ebene auch immer. Verschärfend wirkte das Festhalten an Mythologien in meinem unmittelbaren Umfeld, wodurch gar das Neutralitätsgebot des Staates ignoriert wird. Durch diese in mir aufgebaute Spannung wuchs der Ansporn, nicht nur hilflos der Entwicklung zuzusehen, sondern persönlich etwas zur Aufklärung beizutragen. Bei den Recherchen zur Umsetzung des Themas Evolution im Grundschulalter stellte ich fest, dass Kinder zwar mit der christlichen Schöpfungsmythologie konfrontiert werden, jedoch nicht mit der wissenschaftlich-faktenbasierten Evolution in Berührung kamen. Bundesweit fand sich kein Lehrplan, der eine Richtlinie sein konnte. Gleichzeitig stieß ich auf das Evokids-Projekt der Giordano-Bruno-Stiftung, in dem ich wertvolle Anregungen fand.
Im Januar 2019 eröffneten die Säkularen Humanisten – gbs Rhein-Neckar einen Lehrpfad zur Evolution. Es war einer der Momente, wo man sich fragt: "Warum bist du da nicht selbst draufgekommen?" Die räumlich-übersichtliche Umsetzung der für den Normalbürger unüberschaubaren Zeitdimension! Begeistert setzte ich mich ins Auto, fuhr die circa 700 Kilometer nach Leimen, um mich zu informieren. Der Entschluss stand fest: Der Evolutionsweg muss in mein Forstrevier.
Alternativ fasste ich als Standort meine Heimatstadt Kyritz ins Auge. Die Bürgermeisterin Nora Görke stand dem Projekt aufgeschlossen gegenüber. Den Fakt, dass alle Lebensformen auf der Erde zusammen eine einzigartige große Familie bilden, deren Ursprünge in winzig kleinen Zellen liegen, welche vor Urzeiten auf der Erde entstanden sind, zu multiplizieren, um schließlich die Erkenntnis reifen zu lassen, dass im Hinblick des langen gemeinsamen Weges mit anderen Tierarten, Menschen unterschiedlicher Herkunft mehr miteinander verbindet, als sie voneinander trennt, empfand sie als spannend. So fanden wir schnell diesen privilegierten Platz in einem touristisch wertvollen Gebiet, der auch von Schulklassen schnell erreicht werden kann.
Wie ging es weiter und wäre an der Herangehensweise etwas zu ändern?
Das Interesse am Objekt sollte im Vorfeld in der Öffentlichkeit geweckt werden. Das ist nicht mit dem postalischen Versenden von Sponsorenmappen getan. Das persönliche Engagement, die Gespräche mit potentiellen Sponsoren sind unabdingbar. Man sollte nicht um finanzielle Unterstützung betteln, sondern sollte ihnen die Möglichkeit unterbreiten, sich öffentlich für eine wissenschaftliche Weltanschauung engagieren zu können. Schulen profitieren von der Möglichkeit eines abwechslungsreichen Angebots zur Umsetzung des Lehrplans. In den Schulleitern sowie den Fachbereichen Biologie gewinnt man Mitstreiter. So können von mehreren Seiten politische Entscheidungsträger sensibilisiert werden.
Ihr Rat, damit weiter Evolutionswege entstehen und realisiert werden können?
Das Primat sollte in der Betonung der Vermittlung eines faktenbasierten Weltbildes liegen. Das vordergründige Verteufeln der Schöpfungsmythologien sollte unterlassen werden. Es birgt die Gefahr, sich an den in der öffentlichen Wahrnehmung als sozial geltenden Kirchen zu reiben. Offensichtliche Kontroversen können später gern am umgesetzten Projekt diskutiert werden, im Stadium der Planung wäre diese Auseinandersetzung eher kontraproduktiv.
Verbinden Sie Wünsche mit dem Evolutionsweg?
Der Weg ist ein fantastisches Instrument, um gegen Wissenschafts- und Faktenfeindlichkeit in der Gesellschaft im Allgemeinen und das Festhalten an Mythologien im Besonderen argumentieren zu können. Vertretern des unreflektierten Wunschdenkens, des Populismus und des Tradierens bronzezeitlicher Mythen in die heutige Gesellschaft können hier mit den Vorteilen des wissenschaftlichen Denkens konfrontiert werden. Es sollte sich herumsprechen, dass Aussagen auf Widerspruchsfreiheit geprüft und Tatsachenbehauptungen der Erfahrungswirklichkeit entgegengesetzt werden müssen, um gültige Erkenntnisse zu gewinnen und so – last but not least – unsere Umwelt humaner gestalten zu können.
Entstanden ist der Weg dann nicht im Alleingang – gab es neben Befürwortern auch ablehnende Stimmen?
Im Allgemeinen stieß ich auf offene Ohren. Einige Sponsoren meldeten sich aufgrund eines Artikels in der lokalen Presse bei mir oder luden mich sogar zu einem Gespräch ein. Der Wermutstropfen lag in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, entgegen der Planung der Stadtverwaltung, den Weg zwar zu tolerieren, ihn aber nicht materiell oder finanziell zu unterstützen. Über die Gründe gibt es unterschiedliche Aussagen.
Wo und wer waren Ihre ersten Unterstützer?
Der erste mir bekannte Evolutionsweg wurde durch die Giordano-Bruno-Stiftung in Leimen angelegt. Es lag nahe, dass ich mich zwecks Umsetzung des ersten Evolutions-Lehrpfads im Land Brandenburg an die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg (ehbb) wandte. Zentrale Anliegen wurden von hier aus gelenkt, das Sponsoring, die Leistungsausschreibungen und Umsetzung der Arbeiten wurden vor Ort realisiert. Mit anderen Worten, wir fanden eine praktisch-orientierte, positive Zusammenarbeit.
Sind weitere Kooperationen entstanden?
Bisher bin ich im Nordwesten des Landes Brandenburg als Einzelkämpfer unterwegs. Das Vorstellen des Projektes in der Öffentlichkeit oblag also mir. Durch das Engagement der Pastafari wird in diesem Jahr ein Evolutionslehrpfad in Templin entstehen. So konnten wir beim Einholen von Angeboten verschiedener Herstellungs-Firmen und der Zuschlagserteilung kooperieren, wodurch wir günstigere Preise erzielten. Zusätzlich unterstützte uns die Ostprignitz-Jugend beim Aufbau der Schilder. Sie hätten auch Aufgaben bei der nun leider abgesagten Eröffnungsveranstaltung übernommen.
Entsteht eine Dokumentation?
Der Evolutionsweg ist selbsterklärend. Zusätzliche Informationen können über einen QR-Code abgefragt werden. Besucher können frei, ohne Führung oder Geld die Erkenntnis erfassen. Den Schulen der Stadt wurde das Projekt vorgestellt, sie haben die Möglichkeit, ihren Unterricht in die Natur zu verlagern. Ich werde nicht von allen Aktionen erfahren. Jede Dokumentation wäre lückenhaft.
Ihre Ziele? In Kyritz selbst oder gar weltweit?
Ich hoffe, dass der Pfad durch die Schulen angenommen wird. An Evolutionsbiologen und Biologiedidaktikern mangelt es im Revier. Wie Führungen angeboten werden können, wird das kommende Jahr zeigen. Primär ist, dass der Pfad körperlich vorhanden ist und ständig zum Diskurs "Wissen statt Glauben" auffordert.
Wie werden Menschen auf den Evolutionsweg aufmerksam?
Neben der Berichterstattung in der lokalen Presse können die Evolutions-Lehrpfade Deutschlands, so auch der Kyritzer, im Internet abgerufen werden.
3 Kommentare
Kommentare
Bernd Kockrick,... am Permanenter Link
Herzliche Gratulation zu diesem wichtigen Schritt. Mich erschüttert auch, dass in unserer angeblich so aufgeklärten Zeit der Schöpfungsmythos so fest verankert ist.
Ich wünsche euch weiterhin gute Fortschritte und viel Resonanz, besonders in den Schulen.
awmrkl am Permanenter Link
Herzlichen Glühstrumpf für dieses verwirklichte Projekt!
Einige Sätze fielen mir in diesem tollen Interview besonders auf:
- "Kinder haben das Recht auf eine rationale, evidenzbasierte und weltanschaulich neutrale Bildung." - BAMM!
- "Man sollte nicht um finanzielle Unterstützung *betteln*, sondern sollte ihnen die Möglichkeit unterbreiten, sich öffentlich für eine wissenschaftliche Weltanschauung engagieren zu können." - BAMM!
Ich wünschte mir, es würden möglichst alle -v.a. im politischen und öffentlichen Dienst/Umfeld- solche klaren Aussagen treffen!
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Nach einer Befragung in Deutschland akzeptieren 21%, in den USA 66% und in der Türkei 76% nicht die Evolutionstheorie nach Darwin und Wallace. Die Ablehnung ist wahrscheinlich hauptsächlich religiös bedingt.
Das Wissen um die Evolutionslehre ist auch für die Medizin von großer Bedeutung und sollte im Medizinstudium viel stärker betont werden. Viele physiologische und anatomische Eigenschaften des Menschen lassen sich erst im Lichte Evolution erklären. In der gegenwärtigen Corona-Krise ist ja nur eine vage Vorhersage im weiteren Verhalten des Virus möglich, das liegt eben daran, dass das Eintreten von Mutationen zufällig ist. Aber das ist ein weiteres Thema, was ich hier jetzt leider nicht erörtern kann.