In der neuen Nürnberger Vortragsreihe "Vom Reiz des Wissens" ging es um das Wesen der empirischen Wissenschaften. Alle vier Referenten unterstrichen, wie wichtig es gesellschaftlich ist, die Wissenschaft mit richtigen Augen zu sehen.
Um auch Darstellungen der Wissenschaftsgeschichte und -theorie für das breite Publikum anzubieten, wurden die beiden bewährten Nürnberger Vortragsreihen "Vom Reiz der Sinne" und "Vom Reiz des Übersinnlichen" um eine dritte Reihe erweitert. Für das Programm "Vom Reiz des Wissens" hat sich das Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes und das Nürnberger Planetarium mit dem ZiWiS der Universität Erlangen-Nürnberg zusammengetan, dem "Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen".
Die vier Denkerinnen und Denker, die von Januar bis März ihre Vorträge im Nürnberger Planetarium hielten, lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Während für die Professoren und Sachbuchautoren Ernst Peter Fischer und Franz Wuketits die Vermittlung von Wertschätzung für wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Geschichte im Mittelpunkt steht, gehört für die Professoren Gerhard Ernst und Rafaela Hillerbrand auch eine gewisse Begeisterungsbremse dazu. Denn sie sehen ein Problem nicht nur in der Unterschätzung der empirischen Wissenschaften, sondern auch in ihrer Überschätzung.
Wissenschaft entzaubert nicht
Ernst Peter Fischer eröffnete die Reihe am 23. Januar mit einer Kritik an einem bestimmten Bild von Naturwissenschaft und der damit verbundene Abwertung ihrer Erkenntnisse. Die gemeinte Fehldarstellung kursiere schon seit Max Webers Buch "Wissenschaft als Beruf" von 1917 und hätte über die Sozialwissenschaften erheblichen Einfluss genommen.
Der Naturwissenschaft wird dabei vorgeworfen, dass sie der Welt ihre Geheimnisse rauben würde, dass sie sie nur berechnen und beherrschen wolle. Dem widersprach Fischer mit vielen Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte, die zeigen, dass die großen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse die Welt gerade nicht vollständig erklärt haben, sondern stets aufzeigten, was wir alles noch nicht wissen. Sie hätten den Zauber der Welt also stets vertieft und mehr neue Fragen aufgeworfen, als sie beantwortet haben.
Fischer sieht seine Aufgabe darin, die Neugier, das Staunen und den Wissensdurst zu stärken in Bezug auf die Naturwissenschaften und Fehldarstellungen wie diesen entgegenzuwirken.
Es gibt nicht die wissenschaftliche Methode
Dem Erlanger Philosophieprofessor Gerhard Ernst ging es am 6. Februar um das Wesen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Es war ihm dabei wichtig zu zeigen, dass die empirischen Wissenschaften den Geistes- und Sozialwissenschaften ähnlicher sind als die Forscher selbst meinen.
Es gäbe nämlich nicht die wissenschaftliche Methode, mit der allein sich eindeutig entscheiden lasse, welche naturwissenschaftlichen Erkenntnis als gültig angesehen und welche verworfen werden soll. Die Wissenschaftstheorie der letzten hundert Jahre habe vielmehr gezeigt, so Ernst, dass keine einzelne Methode – insbesondere weder Induktion noch Falsifikation allein – die naturwissenschaftliche Erkenntnisweise angemessen beschreibe.
Vielmehr würden Erklärungen und Theorien durch sie betreffende Evidenz jeweils ein Stückchen auf- oder abgewertet. Ob und wann eine Erklärung dann noch als gültig oder nicht mehr gültig angesehen werde, ergebe sich nicht eindeutig aus einer bestimmten Faktenlage, sondern sei Sache der Aushandlung zwischen Forscherinnen und Forschern in einem Prozess des Argumentierens und Abwägens.
Auch große Erkenntnisse stoßen manchmal zunächst auf Ignoranz
Über den Beitrag von Pionieren und Außenseitern der Wissenschaft sprach am 20. Februar der an der Wiener Uni lehrende Biologe und Wissenschaftstheorie-Professor Franz Wuketits. Er stellte Figuren der Wissenschaftsgeschichte vor, die durch besondere Produktivität, Kreativität und besonderen Ehrgeiz hervorstachen – einige davon mit sehr prominenten Namen wie Charles Darwin oder Alexander von Humboldt, andere mit weniger bekannten Namen, wie der Pionier der Philologie und Naturforschung im 16. Jahrhundert, Konrad Gessner, der in Fachkreisen als richtungsweisend gilt.
Wuketits berichtete auch von denen, die es schwer hatten für ihre Leistungen Anerkennung zu finden, weil sie – wie er es ausdrückte – einem gewissen "intellektuellen Anarchismus" anhingen, also unkonventionelle Ideen verfolgten oder unkonventionelle Methoden anwendeten. Etwa der Querdenker Alfred Wegener, der nicht mehr erleben durfte, dass sich seine Theorie der Kontinentalverschiebung in der Geologie doch noch durchsetzte. Oder der Grenzgänger Hans Hass, der als Unterwasserfilmer Pionierarbeit besonders bei der Erforschung der Haie leistete, dem aber trotzdem die akademische Lehrbefugnis verwehrt blieb.
Dass manche Erkenntnisse zu Lebzeiten der Forscher so gar nicht Fuß fassen konnten, gebe aber manchmal im Nachhinein auch Rätsel auf, so Wuketits. Warum tat sich die Ärzteschaft in Wien und Budapest so schwer, die Ergebnisse von Ignaz Semmelweis zu akzeptieren, dass simple Handhygiene die Todesrate der Wöchnerinnen senken konnte? Und woran lag es, dass Gregor Mendels genetische Erkenntnisse 40 Jahre lang unbeachtet liegen blieben? War er zu früh dran? War seine Veröffentlichung zu unverständlich geschrieben? Und welchen Einfluss hat unbesonnenes Auftreten? Hat Paracelsus sich damit den Weg zum eigentlich verdienten Ruhm selbst verbaut?
Objektiv und wertneutral = gute Forschung?
Rafaela Hillerbrand, die am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) Professorin für Technikethik und Wissenschaftsphilosophie ist, erklärte in ihrem Vortrag am 6. März, dass sowohl der sogenannte Trump-Effekt als auch der Anti-Trump-Effekt in ihren Augen der wissenschaftlichen Praxis gefährlich werden kann.
Die Abwertung der Klimaforschung durch den US-Präsidenten, also seine Aussage, ihre Ergebnisse seien nur eine Meinung unter vielen, lehnte Hillerbrand klar ab. Für ebenso wenig zielführend hält sie jedoch Übertreibungen in der Verteidigung gegen Trump, in der die empirischen Wissenschaften als objektiver dargestellt werden, als sie sind. Wichtig sei vielmehr, ein realistisches Bild der Wissenschaft zu vermitteln.
Dazu gehöre auch, die in den Klimaprognosen enthaltene Unsicherheit mit zu kommunizieren. Sie zu verschweigen würde nur den Klimaleugnern in die Hände spielen. Für die Politikberatung sei entscheidend, Verständnis dafür zu erzeugen, dass sich Klimaforschung gerade durch die Angabe der Unsicherheit in ihren Berechnungen als wissenschaftlich ausweisen.
Auch sei es wichtig zu erklären, dass Risikoforschung grundsätzlich nicht wertneutral sein könne, weil schon die Definition des möglichen Schadens normative Aussagen erfordere. Diese Mischung von Beschreibung und Werten mache angewandte Wissenschaft wie die Klimaforschung mitnichten zu einer schlechten Wissenschaft. Es liege vielmehr in der Natur ihres Gegenstandes und sei unvermeidbar. Umso mehr gelte es, damit richtig umzugehen, etwa indem implizit enthaltene Werte transparent gemacht werden.
Im April startet die nächste Vortragsreihe "Vom Reiz der Sinne", die vom Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes in Kooperation mit dem Planetarium Nürnberg veranstaltet wird.
Zu beachten ist dabei ein Termintausch: Die Reihe beginnt am 3.4. nun mit Prof. Dr. Alexander Schütz' Vortrag über "Sehen im Augenblick – Wie Augenbewegungen bestimmen, was wir sehen können". Der in älteren Versionen des Flyers für diesen Termin angekündigte Vortrag von Prof. Bülthoff zum Thema "Wie fühlt sich ein fliegendes Auto an?" ist auf den 29. Mai verschoben worden.
Dazwischen spricht am 24.4. Prof. Dr. Annekathrin Schacht über "Jenseits der Ratio – Wie Motivation und Emotion unsere Wahrnehmung beeinflussen" und am 15. Mai wird es mit Dr. Markus Zedler, Vlada Khallieva und Christine Söffing um Synästhesie gehen: "Von vermischten Sinnen". Terminübersicht: http://kortizes.de/vortragsreihen/#Sinne2018.
Mitte April lädt Kortizes zudem zu einem ganzen Wochenende voller Vorträge über Psychologie, Hirnforschung und Philosophie ins Germanische Nationalmuseum Nürnberg. Thema des Symposiums: "Was hält uns jung? – Neuronale Perspektiven für den Umgang mit Neuem". Für ärztliche und psychotherapeutische Berufe ist es als Fortbildungsveranstaltung zertifiziert.
6 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Interessant.
Aber, lieber Franz Wuketits, nein - Wegeners Theorie hat sich nicht durchgesetzt (der hpd berichtete in seinem Plattentektonik-Artikel).
René am Permanenter Link
Kannst Du das detaillierter ausführen?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hier beim hpd in die Suchleiste Plattentektonik eingeben. In dem einzigen Artikel zu dem Stichwort habe ich das sehr detailliert ausgeführt; auch in den Anmerkungen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Hier beim hpd in die Suchleiste Plattentektonik eingeben. In dem einzigen Artikel zu dem Stichwort habe ich das sehr detailliert ausgeführt; auch in den Anmerkungen.
Gernot am Permanenter Link
Wunderbar!...sehr guter Artikel! Mit der Vortragreihe wurde ein guter Beitrag zum Verständnis von Wissenschaft für die Allgemeinheit gemacht.
Paul am Permanenter Link
--"Der Naturwissenschaft wird dabei vorgeworfen, dass sie der Welt ihre Geheimnisse rauben würde, dass sie sie nur berechnen und beherrschen wolle."--
Es ist mir ein Buch, auf dem Physik steht und mir annähernd die Welt erklärt, alle mal lieber, als einer dieser Zauberkünstler, die aus Wasser und Wein das Blut eines Gottessohnes zaubern, was aber nach den Zauberworten immer noch so aussieht und schmeckt wie Wein und Wasser(Geheimnis des Glaubens). Beherrschen lag oder liegt meist im Sinne der Religion und wie gut, dass man sie entzaubert hat.