Ob Gentechnik-Ängste oder UFO-Verschwörungsglauben, ob Hoffnung auf Quantenheilung oder Psychopathie-Mythen – die Vorträge der Kortizes-Vortragsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" beleuchteten auch dieses Jahr wieder Themen, bei denen Fehlvorstellungen verbreitet sind und die Rationalität gerne mal auf der Strecke bleibt.
In Zusammenarbeit mit dem Planetarium Nürnberg und der GWUP Regionalgruppe Mittelfranken bot das Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes auch im Juni/Juli 2018 wieder die Vortragsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" an. Zu Gast waren diesmal: Nikil Mukerji, Martin Moder, Holm Hümmler und Lydia Benecke. Ein Überblick über die Vorträge:
Der Verstand lässt sich fitmachen
Die Reihe startete am 12. Juni mit Nikil Mukerjis "Plädoyer für den gesunden Menschenverstand". Der Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph warb in seinem Vortrag nicht etwa um blindes Vertrauen in diffuse Bauchgefühle, sondern im Gegenteil für das bewusste Trainieren des eigenen Verstandes. "Wir sind nicht von Natur aus vernünftig", betonte er. "Wir haben zwar die Veranlagung dazu, aber es ist eine Entscheidung, ob wir diese auch nutzen wollen." Auch intelligente Menschen müssten klares Denken ohne Denkfehler erst erlernen und einüben.
Bei Mukerji ging es – für den Start in die Reihe sehr passend – um Grundregeln des Denkens und Argumentierens, die für den Umgang mit allen Themen wichtig sind. Das, was dabei zu beachten ist, hat er auch in seinem Buch "Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstands" zusammengefasst, das letztes Jahr erschienen ist.
Es geht ihm bei seinen Tipps um elementare Grundlagen, die dennoch erstaunlich oft nicht beherzigt werden, also etwa darum, Schlussfolgerungen zurückzuweisen, die auf unklaren Aussagen, Widersprüchen oder Argumentationslücken aufbauen. Das Ziel soll sein, zu einem möglichst klaren, präzisen Denken zu kommen, das die typischen Fallstricke vermeidet. Und davon gibt es ja so einige.
So riet Mukerji: "Seien Sie schlauer als ein junger Jagdhund." Denn genauso wie ein solcher Hund erst lernen muss, seiner Fährte weiter zu folgen, auch wenn ein stinkender Hering quer dazu gezogen wurde, müssten wir lernen, emotional aufgeladene, aber irrelevante Gesprächseinwürfe einfach zu ignorieren, und uns davon nicht von unserer Argumentation ablenken zu lassen. Auch warnte er etwa davor, auf eine Umkehrung der Beweislast hereinzufallen oder sich beim Argumentieren von Gruppendruck einschüchtern zu lassen. Wer Grundregeln wie diese beherzige, sei wesentlich weniger anfällig für den "Bullshit" unserer Zeit, ist Mukerji überzeugt.
Dämonisierung verstellt den Blick
In seinem Vortrag "Giftige Gene?", den es im Youtube-Kanal des Veranstalters Kortizes zu sehen gibt, formulierte der Molekularbiologe und Science Slammer Martin Moder am 26. Juni seine Hoffnung auf einen vernunftorientierten Umgang mit der Grünen Gentechnik. Unaufgeregt klärte er dabei über populäre Mythen auf, die sich um gentechnisch veränderte Pflanzen ranken. In vielen Beispielen zeigte er etwa, wie irreführend es ist, konventionelle Züchtung als Garant für Natürlichkeit und Unbedenklichkeit darzustellen und Gentechnik als etwas automatisch Riskanteres. Diese Sicht sei mit den Fakten nicht vereinbar.
Moder freute sich, dass auch aus der grünen Politik zunehmend Stimmen zu hören sind, die die Dämonisierung der Gentechnik kritisieren und sich bei der Einschätzung von Nutzen und Risiko wieder mehr an der Forschungslage orientieren wollen.
Denn natürlich sei es möglich, dass Genveränderung von Nahrungspflanzen Probleme verursache. Dies sei aber unabhängig von der Methode, mit der die Gene verändert werden. Auch durch normale Kreuzungen seien schon Sorten erzeugt worden, die bei Menschen Gesundheitsprobleme verursachen, wie die Kartoffelsorte Lenape, die wegen zu hoher Alkaloid-Werte wieder vom Markt genommen werden musste. Studien hätten immer wieder gezeigt, dass solche Risiken bei konventionellen Zuchtmethoden genauso groß sind wie bei gentechnischen Methoden.
Wenig bekannt ist, dass zu den konventionellen Methoden auch die Mutagenese gehört. Viele der heute bekannteren Sorten, die auch im Bioladen verkauft werden, seien entstanden, als man Pflanzen mit Chemikalien und radioaktiver Strahlung behandelt hat, um die Zahl der Mutationen zu erhöhen, erklärte Moder. Vielfach habe man sich noch nicht damit beschäftigt, wie viele und welche Gene dabei verändert wurden. Und diese Sorten mussten auch nie ein besonderes Zulassungsverfahren durchlaufen.
Würde man in diesem Verfahren nur eins der veränderte Gene also mit Hilfe von Gentechnik in eine andere Sorte übertragen, würde diese plötzlich als gentechnisch verändert gelten und die Zulassung der so entstandenen neuen Sorte würde Jahre dauern und Millionen kosten. Ökonomisch bedeute das, dass sich nur sehr große Firmen diese präzisere und gezieltere Art der Pflanzenzucht leisten können. Moder hofft daher, dass das neue Verfahren der Genänderung – die Gen-Editierung – vom Europäischen Gerichtshof nicht als Gentechnik eingeschätzt wird. So hätten auch kleinere Züchter wieder eine Chance.
Seit einigen Tagen ist bekannt, dass Martin Moders Hoffnung enttäuscht wurde. Der EuGH stufte Crispr/Cas9 in seinem Urteil vom 25.7.2018 als Gentechnik ein, was mit hohen Hürden für die Zulassung der damit entwickelten Pflanzensorten einhergeht.
Vom wissenschaftlichen Establishment unterdrückt?
In einem eingeschobenen Sondervortrag der Reihe am 4. Juli, der ebenfalls auf Youtube zur Verfügung steht, stellte Dr. Holm Hümmler einen Helden der UFO-Szene vor. Der in der esoterischen Literatur als "zweiter Einstein" gefeierte Burkhard Heim wollte die sogenannte vereinigte Feldtheorie weiterentwickeln. Seine Anhänger behaupten, er habe dabei wesentliche Durchbrüche erzielt, die aber vom wissenschaftlichen Establishment unterdrückt würden.
Hümmler ging dem nach und skizzierte im Vortrag den von Tragik überschatteten Werdegang von Heim. Der Forscher hat zuerst als Chemiker gearbeitet, dann aber durch eine Explosion beide Hände verloren und war seitdem stark seh- und hörbehindert. Um nicht mehr im Labor, sondern theoretisch arbeiten zu können, hat Heim noch Physik studiert und schließlich von Zuhause aus an Ideen gearbeitet, die die Luft- und Raumfahrt revolutionieren sollten.
Doch dazu kam es nicht. Zwar wurde Heim anfangs in den 60ern noch finanziell vom Flugzeug-Unternehmer Ludwig Bölkow unterstützt und hatte auch Fürsprecher in der Wissenschaft, doch schafften es seine Anti-Gravitations-Antriebe nie in eine wissenschaftliche Veröffentlichung. Kein Wunder, setzte Heim dabei doch auf ein Forschungsgebiet, das sich längst als nicht mehr zukunftsfähig erwiesen hatte, so Hümmler.
Einstein hatte versucht, die Relativitätstheorie zur vereinigten Feldtheorie weiterzuentwickeln, die auch den Elektromagnetismus erklären sollte. Doch so aussichtsreich das als Forschungsfeld bis in die 1930er Jahre gewesen sei, erklärte Hümmler, so aussichtslos erschien es schon bald nach Entdeckung der Quantenelektrodynamik und der Entdeckung der Kernkraft. Dass Heim dennoch an dem Thema hängen blieb und dabei immer mehr in esoterische Zirkel abglitt, beschrieb Hümmler dabei auch als Resultat von Heims zunehmender Isolation, die von Schwierigkeiten in der Kommunikation mitverursacht sein könnte, an denen er durch seine Behinderungen litt.
Psychopathie in seiner weiblichen Form
Aufklärungsarbeit in Sachen Persönlichkeitsstörungen leistete am 10. Juli die Kriminalpsychologin und prominente Buchautorin Lydia Benecke. In ihrem Vortrag gab sie einen intensiven Einblick in das Phänomen der Psychopathie und der Besonderheiten ihrer Ausprägung bei Frauen, um das sich auch ihr neues Buch "Psychopathinnen" dreht.
Ihr war dabei wichtig zu vermitteln, dass Psychopathie keine eigenständige Diagnose ist. "Wir wissen heute, dass Psychopathie das Resultat der Mischung verschiedener Persönlichkeitsstörungen ist", erläuterte Benecke. Bei einer Kombination von narzisstischen oder dissozialen, emotional-instabilen oder histironischen Störungen komme es oft zu höheren Psychopathie-Werten. Bei der US-Mörderin Theresa Knorr, die 2 ihrer 5 Kinder zu Tode quälte und ihre anderen Kinder zwang, ihr dabei zu helfen, sei mit gleich vier verschiedenen Persönlichkeitsstörungen eine wahre "Psychopathie deluxe" zusammengekommen, wie Benecke mit schwarzem Humor erklärte.
Anhand von bekannten Serien und Filmen wie "Sherlock" oder "Basic Instinct" zeigte Benecke, welche populären Darstellungen von psychopathischem Verhalten mit der Sicht der Wissenschaft übereinstimmen und welche nicht. Der beliebte Begriff der Soziopathie etwa sei in Forschung und Diagnostik nicht gebräuchlich, erklärte sie. Aber die von Sharon Stone gespielte Serienmörderin zeige tatsächlich übliche Eigenschaften – wie das Fehlen von Angst und Schuldgefühlen und die Freude am Risiko – sowie Züge, die typisch für weibliche Psychopathie seien – wie die gezielte Anwendung sexueller Reize als Manipulationsmittel.
Zu den populären Irrtümern gehöre, dass hohe Psychopathiewerte sich bei betroffenen Personen immer mit einem Wunsch zum Töten verbinden, so Benecke. Das sei jedoch ausdrücklich nicht der Fall. Psychopathen seien nicht mordlustiger als andere Menschen, sie hätten nur weniger Gewissensbisse als andere, wenn sie in eine Situation kommen, in der Töten eine Option ist. Aber natürlich könnten sich in einer Persönlichkeit sadistische Tendenzen oder andere Risikofaktoren zu hohen Psychopathiewerten dazugesellen, was es wahrscheinlicher macht, dass jemand einen Mord begeht.
Relativer Quantenquark
Zum Abschluss der Reihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" sprach am 24. Juli noch einmal Dr. Holm Hümmler. In seinem zweiten Vortrag widmete er sich der Widerlegung des populären Irrglaubens, die moderne Physik liefere Belege für die Esoterik – ein Thema, mit dem er sich auch in seinem Blog quantenquark.com beschäftigt und zu dem er im letzten Jahr das Buch "Relativer Quantenquark" veröffentlichte.
Hümmler lieferte im Vortrag auch kurze, allgemeinverständliche Einführungen sowohl in die Relativitätstheorie als auch in die Quantenphysik. Wobei ihm wichtig war zu vermitteln, dass zwar die Phänomene, die diese beiden Konzepte beschreiben, jeweils merkwürdig klingen, dass die Forschung dazu aber genauso eindeutig, prüfbar und reproduzierbar ist wie die der klassischen Physik.
Nur weil der Raum gekrümmt sein kann oder die Zeit für ein Teilchen langsamer vergeht, wenn es sich schnell bewegt, bedeutet das nicht, dass die Grenzen der Wissenschaft fließend geworden sind, wie Esoterik und Parapsychologie anzunehmen scheinen. "Die Relativitätstheorie besagt nicht, dass alles relativ ist, oder gar, dass alles subjektiv ist. Sie macht sehr klare Vorhersagen, die stimmen, und die etwa zur korrekten GPS-Ortung notwendig sind."
Auch diejenigen, die sich gerne auf Quanteneffekte wie Verschränkung oder den Beobachter-Effekt beziehen, um ihren Therapien oder Geräten einen scheinwissenschaftlichen Anstrich zu geben, musste Hümmler enttäuschen: "Die Quantenmechanik brauchen Sie nur dann für Ihr Leben, wenn Ihr Körper aus wenigen Atomen besteht oder wenn Ihre Körpertemperatur unter -270° C liegt."
Hümmler kritisierte jedoch auch, dass Physiker manchmal selbst dazu beitragen, dass Missverständnisse verfestigt werden. So findet er es irreführend, in Pressemitteilungen davon zu reden, dass Quanteneffekte auch bei "makroskopischen" oder "sichtbaren" Objekten aufgetreten seien, wenn diese sich beim Lesen des dazugehörigen Fachartikels als Moleküle oder Viren herausstellen, also als Objekte, die in Nanometern gemessen werden.
Das Institut Kortizes geht in die Sommerpause. Im Herbst geht es mit monatlichen Veranstaltungen des Humanistischen Salons Nürnberg weiter. Ab Januar 2019 stehen wieder Vorträge über Wissenschaft im Planetarium auf dem Programm. Im Frühjahr findet das populärwissenschaftliche Symposium Kortizes statt. Thema: "Hirn im Glück. Freude, Liebe, Hoffnung im Spiegel der Neurowissenschaft." Wer über alle Termine informiert bleiben will, findet in der Seitenleiste von kortizes.de Links um Kortizes in den Sozialen Medien zu folgen bzw. die Möglichkeit, Veranstaltungsankündigungen per E-Mail zu abonnieren.
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Konrad Schiemert am Permanenter Link
"dass Physiker manchmal selbst dazu beitragen, dass Missverständnisse verfestigt werden"