Evolutionstheorie in den Grundschulunterricht

ROSSDORF. (hpd/gwup) Das Projekt “Evokids”, initiiert von Evolutions­biologen, Biologie­didaktikern, Philosophen und Pädagogen, will die Evolutions­theorie in die Grund­schulen bringen. Derzeit ist das Thema meist erst in Jahr­gangs­stufe 10 an der Reihe. Für die Grund­schul-Lehr­pläne sei es zu komplex, heißt es.

Ein Irrtum, sind die Initiatoren überzeugt. Unter der Leitung von GWUP-Wissen­schafts­rats­mitglied Prof. Dittmar Graf, dem Philosophen und Autor Michael Schmidt-Salomon und dem Bio­philo­sophen Prof. Eckard Voland verfolgen sie das Ziel, das Thema in den Lehr­plänen der Grund­schule zu verankern. Auf diese Weise sollen Kinder bereits früh den Schlüssel zum Verständnis biologischer Wissen­schaft – und letzt­lich auch zu einem realis­tischen Selbst­verständnis als Mensch – erhalten. “Evolution ist das wichtigste Thema der gesamten Biologie”, ist das Evokids-Team überzeugt, “wer die Mechanismen der Evolution nicht versteht, dem bleibt nicht nur das Wesen der Biologie grund­sätzlich ver­schlossen, er kann auch nicht begreifen, wer oder was der Mensch ist.” Um die Prinzipien der Evolution alters­gerecht zu vermitteln, wurden an den Uni­versitäten Dortmund und Gießen Lehr­materialien erstellt, die demnächst auf www.evokids.de online gehen sollen.

Was spricht für diese Initiative und wie könnte ein spannender, sinnvoller Evolutions­unter­richt für Erst- bis Viert­klässler aussehen? Über Fragen wie diese unterhielt sich Skeptiker-Redaktions­leiterin Inge Hüsgen mit dem Grund­schul­lehrer André Sebastiani.

 

Inge Hüsgen: Evolutions­theorie im Grund­schul­unterricht: Was spricht aus Deiner Sicht als Lehrer dafür?

André Sebastiani: Einiges. Zunächst einmal haben Kinder ein grund­sätzliches Interesse daran, etwas über den Ursprung und die Entwicklung des Lebens auf der Erde zu erfahren. Häufig bringen sie im Grund­schul­alter auch schon etwas Halb­wissen über die Evolution mit, das sie aufgeschnappt haben. “Der Mensch stammt vom Affen ab”, habe ich beispiels­weise schon häufig gehört.

Außerdem lernen Kinder nach den bestehenden Lehr­plänen im Religions­unter­richt die religiösen Schöpfungs­mythen kennen. Die Kinder lernen aber nichts darüber, dass es als bewiesene Tatsache gilt, dass sich das Leben auf der Erde entwickelt hat und dass die Evolutions­theorie diese Ent­wicklung wissen­schaftlich beschreibt. Ich sehe da Nachhol­bedarf.

 

André Sebastiani

André Sebastiani

Derzeit ist das Thema noch nicht explizit in den Lehr­plänen verankert. Wie beurteilst Du die Spiel­räume, die die Vor­schriften engangierten Lehr­kräften schon jetzt ein­räumen?

Es stimmt, dass sich das Thema explizit nicht wieder­findet. Ich selbst habe die Evolutions­theorie auch noch nie im Unterricht behandelt, werde das aber bald ändern. Mit den allgemeinen Lern­zielen des Sach­unter­richts lässt sich das Thema nämlich sehr gut vereinbaren. Es findet sich praktisch in jedem Sach­unterrichts­lehrplan in der einen oder anderen Form das Unter­richts­ziel der “Umwelt­erschließung”: Der Sach­unter­richt soll dazu beitragen, dass Kinder ihre Umwelt mehr und mehr verstehen lernen, auch aus historisch/biologischer Perspektive. Er soll noch dazu wissen­schaftliche Arbeits­weisen anbahnen und die Kinder in die Lage versetzen, ihre Fragen an die Welt möglichst objektiv selbst zu beant­worten. Ein gut gemachter Unter­richt zur Evolutions­biologie kann all das leisten. Für die Entwicklung eines trag­fähigen Welt- und Menschen­bildes halte ich die Evolutions­theorie für außer­ordentlich wichtig.

 

Die Evolutionstheorie ist ein komplexes wissen­schaft­liches Gebilde, dessen volles Verständnis auch vielen Erwachsenen einiges an intellektueller Anstrengungen abverlangt. Wie könnte eine alters­gerechte Ver­mittlung von grund­legenden Evolutions­prinzipien für Grund­schüler aus­sehen?

Da sprichst du den stärksten Einwand gegen eine erste Themati­sierung der Evolutions­theorie in der Grund­schule an. Demnach sollten die Schüler zunächst Kennt­nisse in der Genetik erwerben, bevor sie sich mit der Evolutions­theorie befassen.

Ich denke aber, dass es möglich ist, grund­legende Prinzipien der Evolution für Grund­schüler verständ­lich zu vermitteln. Wichtig ist dabei, dass man die Kinder möglichst viel selbst erfahren lässt und nicht zu abstrakt wird. Ich könnte mir zum Beispiel vor­stellen, die Kinder kleine Mäuse auf einer Folie mit verschiedenen Farben färben zu lassen. Die Folie mit den verschieden­farbigen Mäusen legt man dann z. B. auf die Luft­aufnahme eines Feldes. Wenn man die Kinder jetzt auffordert die Perspektive eines Greif­vogels einzu­nehmen, werden sie merken, dass die am besten ange­passten Mäuse die besten Chancen haben, nicht entdeckt zu werden.

Man könnte über die verschiedenen Haut­farben von Menschen nach­denken und dazu z. B. einfache Versuche zu Absorption und Resorption durch­führen.

Die ungeheuer großen Zeit­räume, die die Evolution benötigt, sind für Kinder außerhalb der Vor­stellungs­kraft. Auch wir Erwachsene tun uns da schwer. Man könnte aber mit einem großen Zahlen­strahl arbeiten, den man in der Klasse aufhängt. Darauf könnte man ein­tragen welche Arten zu welcher Zeit auftauchen, um z. B. zu verdeut­lichen, dass wir Menschen noch nicht lange mitspielen im Spiel des Lebens. Auch an die Interessen der Kinder kann man an­knüpfen. Die Dino­saurier sind als Thema ja ein Dauer­brenner, dass sich sicher­lich eignet, um daran im Rahmen eines ersten Evolutions­unterrichts anzuknüpfen. Und nicht zuletzt könnte man eine stärker historische Perspektive einnehmen und den Kindern ver­mitteln, wie Darwin auf seine Ideen zur Evolution gekommen ist, z. B. anhand der Darwin-Finken und ihrer unter­schiedlicher Schnabel­formen.

 

Wie schätzt Du die Offenheit der Lehrer­schaft für das Thema ein? Empfinden die Kollegen ein Update der Lehr­pläne überhaupt als notwendig beziehungs­weise positiv, begegnest Du anderer­seits eventuell sogar Vorbe­halten gegen­über der Initiative?

Bislang wird das noch kaum diskutiert, die Initiative ist ja auch noch frisch. Ich könnte mir vor­stellen, dass Kolleginnen und Kollegen das Thema in der Grund­schule als zu früh ange­setzt ansehen. Es gibt auch ein Zeit­problem, weil immer mehr sinn­volle Themen, in den Sach­unter­richt drängen, ohne dass dafür mehr Zeit zur Ver­fügung stünde. Außerdem sind wir Grund­schul­lehr­kräfte meistens All­rounder. Längst nicht jede Lehr­kraft, die Sach­unterricht unter­richtet, hat das Fach auch studiert. Viele Lehr­kräfte stellen die natur­wissen­schaftliche Perspektive des Sach­unterrichts hintan, weil sie sich selbst unsicher fühlen und z. B. glauben, auf Schüler­fragen nicht kompetent antworten zu können.

Ein Update der Lehr­pläne ist ein lang­wieriger und sicher­lich wichtiger Prozess. Wichtiger wären aus meiner Sicht aber gut aus­gearbeitete, fertige Unterrichts­materialien und -einheiten, am besten mit begleitenden Fort­bildungen, damit die Kolleginnen und Kollegen sich fit fühlen, das Thema zu vermitteln.

 

Auch die Wünsche und Positionen der Eltern spielen eine enorme Rolle bei der Gestaltung des Grund­schul­unterrichtes. Gibt es in dieser Hin­sicht Erfahrungen, etwa dezidierte Eltern­stimmen pro oder contra?

Mangels einer breiten Diskussion über die Initiative habe ich bis­lang keiner­lei Erfahrungen. Aber auch in der Sekundar­stufe wird die Evolutions­theorie von kritischen Stimmen aus der Schüler- und Eltern­schaft begleitet – vor allem aus religiösen Kreisen. Das wird im Grundschul­bereich nicht anders sein.

 

Welche Strategien zur Etablierung der Evolutions­theorie im Grund­schul­unterricht versprechen aus Deiner Sicht den besten Erfolg?

Das wird auf jeden Fall ein langer, steiniger Weg. Die Initiative hat ja bereits 5000 Euro für die Entwicklung von geeigneten Unterrichts­materialien ausgelobt. Das ist ein erfolg­ver­sprechender Schritt. Auch aus den Universitäten heraus kann da einiges entstehen und Dittmar Graf ist da ja auch schon sehr umtriebig. Für eine feste Lehr­plan­verankerung muss man wichtige Gremien und Fach­verbände für sich ein­nehmen. Allen voran wäre da die GDSU, die Gesellschaft für die Didaktik des Sach­unterrichts, zu nennen. Die GDSU ist ein Fach­verband von Hochschul­lehr­kräften, Lehrer­ausbilder­innen und -ausbildern und Sach­unterrichts­lehr­kräften. Die GDSU gibt mit dem “Perspektiv­rahmen Sach­unter­richt” eine Art inoffiziellen Lehr­plan heraus. Ihre Mitglieder sind an den Gremien, die an den Lehr­plänen mit­wirken, maßgeblich beteiligt.

 


Dieses Interview erschien zuerst im Skeptiker 3/14.